Monika Kunze

Steh-auf-Frauchen


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Rolf und Marlene wurden Eltern. Die Schwangerschaft wurde kurz vor den Abiturprüfungen auch vom Arzt bestätigt. Hätte es einen schöneren Anlass für eine Versöhnung geben können? Eltern, Schwiegereltern und alle Anverwandten waren sich einig: Jetzt wird geheiratet.

      Die Hochzeit fand wenige Monate nach ihrem Abitur und seinem Lehrabschluss statt. Marlene war im fünften Monat schwanger und stellte sich alles einfach und romantisch vor. Sie liebten doch einander wie niemand sonst auf der Welt. Glaubte Marlene.

      Doch die Hochzeit erwies sich alles andere als romantisch. Von wegen ganz in Weiß, mit einem Blumenstrauß! Marlene erschien auf dem Standesamt in einem grünen Samtkleid und langen weißen Handschuhen. Einen Schleier zu tragen, war angesichts des gewölbten Bäuchleins der Braut ebenso unsinnig wie der Myrtenkranz der Unschuld. Darin waren sich Schwiegermutter Walburga mit den Pflegeeltern Hilde und Franz einig. Ein Widerspruch der Brautleute verbot sich von selbst.

      Einen Brautstrauß zu besorgen, hatte Rolf nicht für notwendig erachtet. Als er den niedergeschlagenen Blick von Marlene bemerkte, hatte er sie kurz in den Arm genommen und nur gesagt: »Wozu brauchen wir alle diese Äußerlichkeiten? Wir haben doch uns!«

      Und hatte er da nicht recht? Marlene nahm es hin.

      Die Standesbeamtin wunderte sich. Noch vor der Trauung nahm sie das dünne, junge Mädchen beiseite und flüsterte ihr zu: »Wissen Sie, Sie kommen hierher, ohne Blümchen, ohne alles, aber mit traurigen Augen. Dabei sollte das doch der schönste Tag in Ihrem Leben sein. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass es heutzutage keine Schande mehr ist, als ledige Frau ein Kind zu bekommen. Sind Sie sicher, dass Sie heute hier den richtigen Schritt tun?«

      Marlene schwirrte der Kopf, sie wagte nicht, den Blick der Frau zu erwidern, nickte stur und schaute hinab auf ihren sich schon leicht wölbenden Bauch.

      Doch bald sollte sich zeigen, dass es für beide nicht der richtige Schritt gewesen war. »Wir werden versuchen, alles besser zu machen als die Eltern«, hatten sie sich bei ihrer armseligen Hochzeit geschworen, die schließlich damit geendet hatte, dass sie aus der pflegeelterlichen Wohnung hinausgeworfen wurden. Der Schwiegersohn hatte dem Schwiegervater, eben jenem Franz, nach einem Streit eine Schnapsflasche auf dem Kopf zerschlagen.

      »Du kannst hierbleiben«, hatte die Pflegemutter ihrer Tochter nachgerufen.

      Selbst Franz der Fünfte hatte zustimmend gebrummelt.

      Doch Marlene schaute sich nicht um, sie hatte ja jetzt einen Mann. Wenn er hinausgeworfen wurde, dann wollte sie mit ihm gehen. Etwas anderes kam für sie – ebenso wie für ihn – gar nicht infrage. Eigentlich waren Rolf und Marlene zu jener Zeit selbst noch Kinder.

      So waren sie nach Finsterbusch gefahren, hatten dort für ein paar Wochen bei der Großmutter Unterschlupf gefunden, ehe sie ihre erste »Wohnung« bezogen. Die bestand aus einem Raum im Parterre, einem ehemaligen Stall, den sie mit einem Vorhang in Küche und Wohnzimmer unterteilten. Darüber befand sich ein weiterer Raum. Um zu diesem, ihrem Schlafzimmer zu gelangen, mussten sie eine schmale Stiege erklimmen. Sie hatten gehört, dass früher der Stallknecht dort oben gewohnt habe – und unten die Tiere, das sei halt damals so gewesen.

      Zum Glück für Rolf und Marlene war die Nachbarin ihrer Großmutter, eine alte Frau, in den Westen übergesiedelt.

      »Was soll ich mit dem alten Zeug?«, hatte sie leise gefragt, war durch ihre zwei Stuben gegangen, hatte die hohen Bettpfosten gestreichelt, das Vertiko mit einem Blick umfasst, als müsse sie sich von einem lieben Bekannten für immer verabschieden. »Ist schon verständlich, dass man uns Rentner hier rauslässt, wir kosten den Staat bloß Geld«, hatte sie geseufzt und mit ihren knochigen Händen nicht vorhandene Falten an ihrer Schürze glatt gestrichen. Und schließlich hatte sie mit einer ausladenden Geste auf alle Möbel gewiesen und den entscheidenden Satz zu den beiden frisch Vermählten gesagt: »Meine Schwester hat mir in München schon ein Zimmer eingerichtet, hab schon Fotos davon gesehen. Ihr beiden könnt das alles hier haben.« Am Ende war ihre Stimme immer leiser geworden, als hätte sie den Satz schon bereut, ehe er zu Ende gesprochen war.

      Rolf und Marlene wussten nicht, ob sie froh oder betroffen sein sollten. Doch letztendlich siegte die Freude, wenigstens ein paar altmodische Möbel in ihre seltsame Unterkunft stellen zu können.

      Rolf hatte sofort Arbeit in einem Betrieb gefunden, in dem Elektroden und Schweißmaschinen hergestellt wurden. Marlene hatte anfangs mal da und mal dort ausgeholfen, denn mit ihrem dicken Bauch und nur dem Abitur in der Tasche, aber ohne Berufsabschluss, wollte sie niemand gleich einstellen. Geld war bei ihnen also immer knapp.

      Von Anfang an hatte Rolf deshalb auch in einer Feierabendbrigade mitgearbeitet. Das Hinzuverdiente sollte eigentlich dazu beitragen, das Familienbudget etwas aufzubessern. Aber es wurde ganz und gar nichts aufgebessert, denn was er auf dem Bau zusätzlich verdient hatte, rann meist noch am selben Abend in flüssiger Form wieder durch seine Kehle. Und wenn er dann betrunken war …

      Marlene mochte eigentlich nicht mehr daran denken, aber die Erinnerung an diese Zeit saß zu tief. Zu groß war ihre Angst gewesen – vor dem betrunkenen Rolf. Nüchtern war er freundlich und hilfsbereit, betrunken aber verwandelte er sich in ein Monster. Es war ihr unfassbar, dass es sich bei diesen gegensätzlichen Charakteren um ein und denselben Menschen handeln sollte.

      Jedes Mal, wenn sie ihn die knarrende Treppe heraufwanken hörte, fühlte sie Angst und Wut ihr die Kehle zuschnüren. Immer wieder war es zum Streit gekommen. Unausweichlich. Egal, was sie tat oder sagte, selbst, wenn sie überhaupt nichts tat oder sagte. Bis sie sich irgendwann gar nichts mehr zu äußern traute. Doch selbst ihr demütiges Schweigen half nichts, es schien ihn fast noch mehr aufzubringen. Sobald er betrunken war, hagelte es Beleidigungen und Schläge. Dabei bekam sie genauso viel ab wie ihr Sohn Karsten oder einmal auch die Hauswirtin, als sie an der Treppe stand und ihn eindringlich bat, sich zusammenzureißen und nicht wieder so schrecklich herumzubrüllen.

      Trotzdem wollte und konnte Marlene damals einfach nicht aufgeben. Schließlich war er ihr Mann und beteuerte stets, sobald er wieder nüchtern war, dass er sich gar nicht vorstellen könne, dass alle die blauen Flecken an ihren Armen, im Gesicht, auf dem Bauch oder am Hals womöglich von seinen Schlägen herrühren könnten.

      »Aber wenn doch, meine liebe Marlene«, wimmerte er, »dann bitte, bitte verzeih mir!« Er umklammerte ihre Knie, wenn er sich auf seine geworfen hatte, und beschwor sie: »Ich hab dich doch lieb! Ich brauche dich. Wenn du mich verlässt, nehme ich mir das Leben!«

      Dass er das nicht nur so dahingesagt hatte, unterstrich er dann gleich in einer der nächsten alkoholisierten Nächte ausdrücklich mit einem kühnen Sprung aus dem Fenster, wobei er aber glücklicherweise im Geäst eines Pflaumenbaumes hängen blieb und sich nur einen Leistenbruch zuzog. Sie beruhigte ihn und rief von der nächsten Telefonzelle aus den Arzt, damit er ihrem Mann helfe.

      Selbstmord? Nein, das wollte Marlene nun wirklich nicht auf ihr Gewissen laden. Sie gab also nach. An jenem Abend – und immer wieder. Immer wieder.

      Als die Wirtin sie eines Tages fragte: »Sagen Sie mal, Frau Koslowski, merken Sie denn gar nicht, dass es schlichte Erpressung ist, was Ihr Mann da mit Ihnen treibt?«, verwahrte sie sich gegen derartige Äußerungen.

      So waren sie, nach vielen Beteuerungen, dass er sich ändern wolle, wieder gemeinsam an die Ostsee gefahren, zu ihm nach Hause. Es war schließlich Weihnachten – Walburga erwartete sie.

      Klar, dass Rolf bei dieser Gelegenheit auch seine Kumpels besuchte. Und da war es dann passiert:

      Walburga stand am Fenster und wartete auf ihren Sohn.

      »Oh je, er kommt die Straße entlanggetorkelt«.

      Schnell zog sie die Gardine wieder vor.

      Die Angst in der Stimme der Schwiegermutter war nicht zu überhören. Irgendwie musste das Bild ihres Sohnes wohl die Erinnerung an ihren eigenen Mann wieder heraufbeschworen haben, auch wenn der schon jahrelang nichts mehr von sich hatte hören lassen. Walburga zitterte und wurde vor Erregung abwechselnd blass und rot.

      Nicht einmal ihren Töchtern,