Frank Bartels

Raniten in der Furt


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erwiderte sie: »Also, giftig sind sie nicht aber sie … blähen.«

      »Was machen die?«

      »Sie blähen. Also, sie entwickeln im Bauch Gase. So wie Bohnen oder Linsen, nur viel stärker. So stark, dass man irgendwann einfach platzt. Der Bauch wird kugelrund und peng, platzt man wie eine Knallerbse«, erklärte Lilu und klatschte dabei laut in die Hände. Alexander war entsetzt. Das war ja noch schlimmer.

      »Sag, dass das nicht stimmt. Bitte, sag, dass das nicht stimmt. Ich habe von den Dingern gegessen«, jammerte er in der Gewissheit, sehr bald platzen zu müssen.

      Lilu kräuselte die Stirn, ließ ein paar Sekunden vergehen und fragte: »Wie viele hast du gegessen?«

      »Keine Ahnung, so zwei oder drei. Bestimmt nicht mehr, ehrlich.«

      Daraufhin lächelte sie: »Hi, hi. Keine Angst, Alexander, du wirst nicht platzen. Ein kleines Heberling kann platzen aber du wirst höchstens … pupsen.«

      »Pupsen?«

      »Ja, pupsen. Du bist groß und stark und kein Heberling. Du wirst nur pupsen müssen. Du wirst gar nicht mehr aufhören können. Hi, hi, hi«, lachte sie. »Pupsen ist immerhin besser als platzen, oder, mein Lieber?«

      Da war Alexander erleichtert, denn das war ja nichts Schlimmes. Wenn keiner dabei war, machte er das dauernd. Auf jeden Fall war es nicht so schlimm wie zu platzen. Im Unterholz entdeckte er einen groben, armdicken Ast, den er entschlossen an sich nahm. Lilu schien seine Wut und Verzweiflung zu spüren und fragte: »Was hast du vor?«

      »Ich werde das Ding kurz und klein hauen«, antwortete er grimmig. »Das wird jedenfalls kein Tierchen mehr fressen.«

      »Lass es lieber. Sei froh, dass sie nicht dich, sondern das kleine Heberling geschnappt hat. Wozu willst du dich denn jetzt noch auf einen Kampf mit einem Gegner einlassen, den du nicht einschätzen kannst. Das Tierchen kannst du sowieso nicht mehr retten. Und wer weiß, vielleicht hat die alte Guste ja noch andere Tricks auf Lager.«

      Nach anfänglichem Zögern entschied Alexander: »Na schön, aber den Knüppel nehme ich trotzdem mit. Man weiß ja nie.« Sie verließen den unglückseligen Platz nicht ohne einen letzten, misstrauischen Blick auf die alte Guste zu werfen und gingen zu ihrem Lager zurück.

      Lilu entfachte ein wärmendes Feuer, denn des Nachts wurde es doch ein wenig kühl so ohne Decke oder Schlafsack und Alexander legte sich in das Moos. Wie er so da lag und darüber grübelte, was schrecklicher war, die alte Guste oder sein Hunger, spürte er, dass etwas fehlte: »Wo … wo sind meine Schuhe? Hast du meine Turnschuhe gesehen? Das kann doch nicht angehen. Ich weiß genau, dass ich sie hier ausgezogen habe.«

      Wie ein aufgeschrecktes Huhn sprang er herum, wedelte wild mit seinen Armen und suchte hinter den Bäumen, unter dem Farn und zwischen den Steinen, doch von seinen Schuhen fehlte jede Spur.

      »So ein Mist, verdammter«, fluchte er. »Das gibt es doch gar nicht.«

      »Beruhige dich, mein Freund. Die werden sich schon wieder finden.«

      »Aber die sind hier nicht und ich kann doch nicht ohne Schuhe weitermarschieren«, jammerte er nunmehr verzweifelt. Sie suchten mehrfach all die Orte ab, an denen die Schuhe hätten sein können, doch konnten sie sie nicht finden.

      »Uns fällt schon eine Lösung ein«, versuchte Lilu zu beruhigen, obwohl es schon seltsam war, denn Schuhe verschwinden ja nicht von selbst. Da musste schon jemand nachgeholfen haben.

      »Ach, und an welche Lösung dachtest du? Gibst du mir deine Schuhe?«, fragte Alexander spöttisch und blickte dabei auf ihre Wanderstiefelchen.

      Dieses Abenteuer hatte seinen Hunger vergehen lassen, obwohl Lilu jede Menge leckere Beeren und Pilze gesammelt hatte. Sie griff einen Stock, fingerte in ihrem Bündel und zog ein beachtliches Messer hervor. Flink und unerwartet geschickt bearbeitete sie den Stock, steckte dann einige Pilze auf dessen Spitze und hielt ihn über das Feuer.

      »Du hast ja ein Messer«, bemerkte Alexander verwundert.

      »Natürlich. Ein Messer ist doch ungeheuer praktisch. Man sollte niemals ohne Messer auf Wanderschaft gehen. Hm, köstlich. Solltest du auch mal probieren.« Obwohl es recht lecker duftete, lehnte er ab: »Nein danke. Ich habe irgendwie Bauchschmerzen; aber darf ich das Messer mal haben?«

      »Natürlich, aber schneide dir nicht die Finger ab. Es ist sehr scharf.«

      Und tatsächlich. Alexander bearbeitete mit dem Messer seinen Knüppel. Er entfernte die kleinen Ästchen, schnitzte den Stamm, und die Klinge glitt durch das Holz wie durch warme Butter. Nun taten die Kugeln ihre Wirkung und Alexanders Bauch war bereits angeschwollen und kugelrund, als hätte er eine ganze Melone im Stück verschluckt. »Und du bist dir sicher, dass das wieder weggeht?«, fragte er und hielt sich den dicken Bauch.

      »Keine Angst. Morgen wird es dir besser gehen«, versuchte Lilu ihren Gefährten zu beruhigen. »Oder übermorgen.« Sie grub mit einer Hand in ihrem Bündel und holte einen kleinen Metallbecher daraus hervor. Dann hielt sie Alexander ihr Stöckchen entgegen und sagte: »Halt mal bitte, aber lass sie nicht anbrennen. Immer schön gleichmäßig drehen.«

      Lilu ging und ehe der Junge noch etwas sagen konnte, stand sie wieder im Feuerschein. »Ich habe ein paar Kräuter gesammelt.« Sie erhitzte etwas Wasser in einem Tiegel, legte ein paar Kräuterblätter hinein und bot ihm den Becher: »Trink, der Tee wird dir gut tun.«

      Lilu hatte Tee, der beruhigte oder der aufmunterte. Sie hatte Tee, der Schmerzen linderte und welchen, der gut schmeckte. Manche Kräuter und Pflanzen trug sie in ihrem Bündel bei sich und andere Zutaten suchte sie im Wald: Kamille, Minze, Lavendel oder Melisse und andere Kräuter, die Alexander nicht kannte.

      »Was ist das für ein Tee?«, fragte Alexander, nachdem er einen Schluck probiert und einen leichten Lakritzgeschmack erkannt hatte.

      »Das ist Kamillentee mit einem geheimen Zusatz«, antwortete Lilu rätselhaft.

      Misstrauisch fragte er: »Und was ist das für ein Zusatz?«

      »Wenn ich dir das sagen würde, wäre er ja nicht mehr geheim.« Doch eigentlich wollte er das mit den Zutaten auch gar nicht so genau wissen; bestimmt waren da Sachen drin wie Spinnenbeine, Froschlaich oder Salamanderaugen – auf jeden Fall etwas Ekliges. Alexander trank trotzdem. Dann bereitete er das Nachtlager vor, indem er etwas Laub zusammenschob. »Schau, ich mache uns ein Nest, wir werden es weich und gemütlich haben. Wenn mein Bauch nur nicht so wehtun würde!«

      »Das ist beunruhigend.«

      »Finde ich auch.« Alexander rieb sich über den dicken, geschwollenen Bauch. »Wann wird das wieder weg gehen?«

      Lilu ergriff eine Handvoll Blätter und entgegnete: »Nicht dein Bauch. Schau dir die Blätter an. Sie sind vertrocknet und vom Baum gefallen.«

      »Na und? Blätter fallen nun mal von Bäumen.«

      »Ja, jedoch nicht im Sommer«, antwortete sie, ohne weiter darauf einzugehen. »Wenn ich mich nicht täusche - und ich täusche mich nie«, fuhr sie fort und schloss ihre Augen, »werden wir bald den dichten Wald hinter uns lassen und die Sonne wieder auf unserer Haut spüren dürfen.«

       Meister Adebar

      Und Lilu sollte Recht behalten. Am nächsten Morgen ging es Alexander bereits etwas besser. Das Unterholz wich nach und nach einem übersichtlichen, lichten Wald. Die Bäume standen nicht mehr so dicht bei einander, Farn und Dornengestrüpp wuchsen niedriger und wurzelten nur noch in kleinen Gruppen, nahe der Bäume.

      Ein erfrischender Luftzug strich durch das rauschende Blätterdach. Obwohl die Bäume nun höher zu sein schienen, stellten sie sich ihnen nicht mehr in den Weg, sodass sie müheloser vorankamen. Verschiedenste Vögel sangen ihre Lieder oder jagten über ihren Köpfen ihrer Beute nach. Der Pfad wich einem Weg, der auch ohne Schuhsohlen gut zu meistern war und es war eine Wohltat, die wärmenden Strahlen der Sommersonne auf der Haut