Walter Wosp

ASIA B-C


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      INTENSIVSTATION

      «Flapp, Flapp, Flapp«, ich sehe das Geräusch wie in einem Comic vor mir stehen. ›Ein Hubschrauber, ich liege in einem Hubschrauber. Aber warum sehe ich nicht raus?‹

      Plötzlich werde ich zornig. Ich bin immer für mein Leben gern Hubschrauber geflogen, jetzt fliege ich endlich wieder einmal und ich kann nicht aus dem Fenster sehen. Ich versuche mich aufzusetzen, versuche mich mit der rechten Hand aufzustützen. Die Hand bewegt sich nicht, ich versuche die Finger zu bewegen, keine Reaktion. Ich versuche mit dem Piloten zu reden, bring aber keinen Ton raus, nur ein Krächzen. Was ist los? Ich kann mich nicht bewegen und nicht mehr reden. Vorbei ist es mit der Ruhe, es gibt nur noch Panik, nur ohne die Möglichkeit, wild um sich zu schlagen oder davon zu laufen. Das Geräusch der Rotoren wird immer leiser, der graue Himmel über mir, das Dach des Helikopters immer verschwommener. Es wird wieder schwarz.

      »Stationäre Aufnahme am Unfalltag um 16.32 Uhr

      Erste Diagnose:

      Prellung des Rückenmarkes in Höhe der Halswirbelsäule

      Knöcherne Enge der Halswirbelsäule

      Teillähmung beider oberen Extremitäten

      Komplette Lähmung beider unteren Extremitäten

      Kopfprellung

      Rissquetschwunden im Gesichtsbereich

      Mehrfache Hautabschürfungen«

      »Guten Morgen, ich bin Dr. Schneyder.«

      »Freut mich, Wosp.«

      Ich kann wieder reden! Ich sehe einen Kopf schräg über mir, ein sympathisches Gesicht, ungefähr 45 Jahre, rasiert.

      »Können Sie bitte etwas näher kommen. Ich kann den Kopf nicht drehen.«

      Das Gesicht bewegt sich nach vorne. Ist jetzt in einem Abstand von ungefähr einem Meter genau über mir.

      ›Aha, ich habe meine Brille wieder auf. Na also, so schlimm kann es nicht sein, es ist alles wieder da.‹

      »Sie hatten einen schweren Unfall, können Sie sich an etwas erinnern?«

      Ich denke nach. »Nein, keine Ahnung, ich kann mich nur an eine blonde Notärztin erinnern.«

      Das Gesicht schmunzelt.

      »Na, jetzt müssen Sie mit Männern vorlieb nehmen, Sie sind aber trotzdem in guten Händen.«

      »Und wo bin ich?« ›Ha, jetzt hat es funktioniert, die Standardfrage, wie aus der Pistole geschossen.‹

      »Sie sind in einem Unfallkrankenhaus, wir sind gerade mit der ersten Untersuchung fertig.«

      »Warum, was habe ich?«

      »Wie ich schon sagte. Sie hatten einen schweren Unfall mit ihrem Rad, Sie hatten einen Zusammenstoß mit einem Auto.«

      Plötzlich fällt mir auf, dass sich die Decke des Raums bewegt, ich reime mir zusammen, dass ich auf dem Rücken liege und mich bewege, nein, ich werde bewegt, über mir zieht das Muster des Plafonds vorbei. Die Decke wechselt von grau auf metallisch glänzend, wir rollen in eine Aufzugkabine. Ich sehe mich wie in einem leicht verschwommenen Spiegel, der Körper ist zugedeckt mit einem grünen Tuch, nur der Kopf und die Hände schauen heraus. In der Spiegelung sehe ich eine leichte Abschürfung auf dem Nasenrücken, etwas Blut auf der Lippe und eine Abschürfung auf dem Mittelfingerknöchel der rechten Hand.

      ›Warum der ganze Aufwand wegen der paar Hautabschürfungen?‹ Ich drehe den Kopf wieder Richtung Dr. Schneyder. »Wo bringen Sie mich hin?«

      »Wir bringen Sie in den Schockraum.«

      »Warum, wegen der paar Abschürfungen, ist das nicht ein bisschen übertrieben? Was ist überhaupt ein Schockraum?«

      »In einen Schockraum kommen üblicherweise Schwerverletzte zur Erstuntersuchung.«

      »Ich bin doch mit den paar Abschürfungen nicht schwer verletzt.«

      »Sie haben leider auch andere Verletzungen, die etwas schwerer sind.«

      »Ja und, was habe ich?«

      Eine kleine, fast unmerkliche Pause, dann: »Sie haben eine Rückenmarkquetschung, wir können aber noch nichts Genaues sagen.«

      »Was bedeutet Rückenmarkquetschung?«

      Wieder eine Pause, dann: »Durch den Zusammenprall wurden ihre Rückenwirbel zusammengestaucht und dadurch ihr Rückenmark gequetscht. Jetzt hat sich im Rückenmark ein Ödem gebildet, das eventuell größer wird.«

      »Ich verstehe Sie, aber was bedeutet das?«

      »Das bedeutet, dass, wenn das Ödem größer wird, es von innen gegen die Halswirbel drückt und die Quetschung des Rückenmarks stärker wird.«

      »Bitte, Herr Doktor. Stellen Sie sich vor, ich bin ein Sechsjähriger und erklären Sie es mir so, dass ich es dann verstehe. Was bedeutet: Die Quetschung kann stärker werden?«

      Er denkt ein paar Sekunden nach, dann höre ich: »Wenn Sie Glück haben, passiert nichts, wenn Sie Pech haben, können Lähmungserscheinungen auftreten, wenn Sie großes Pech haben, sterben Sie.«

      Jetzt habe ich ihn verstanden, ich schlucke. »Wie sind die Wahrscheinlichkeiten?«

      »Seriös kann man derzeit gar nichts sagen, wir müssen warten, wie sich die Sache entwickelt. Haben Sie Platzangst?«

      »Wieso Platzangst?«

      »Wir müssen eine Computertomographie machen, dann wissen wir wahrscheinlich mehr. Wir stecken Sie in eine Röhre, das ist für manche Patienten etwas unangenehm.«

      »Mir ist das egal, ich habe keine Platzangst, tun Sie nur.«

      Eine neue Stimme, männlich: »Wir müssen Ihnen vorher die Ringe runter nehmen.«

      Ich habe auf dem rechten Ringfinger einen Ehering, den ich seit 25 Jahren nicht runter genommen habe, auf dem linken Ringfinger einen Ring aus Titan, der seit ungefähr 20 Jahren angesteckt ist. »Ich fürchte, Sie werden die Ringe runter schneiden müssen, die sitzen ziemlich streng.«

      »Keine Angst, es wird ihnen nichts passieren, wir bekommen sie auch so runter, wir haben so unsere Tricks.«

      Ich kann ihm keine Antwort geben, es wird wieder schwarz.

      »Die neurologische Untersuchung am Unfalltag um 16:40 zeigt einen wachen und orientierten Patienten mit unauffälligen Hirnnerven. Im Rumpfbereich wird ein vermindertes Hautgefühl ab dem Niveau TH 4 festgestellt und im Bauchbereich ein herabgesetztes bzw. fehlendes Berührungsempfinden angegeben. Die linke obere Extremität durch eine beidseitige Fixierung nur eingeschränkt beurteilbar. Es zeigt sich bis auf eine schmerzbedingte Verminderung des Faustschlusses eine unauffällige Kraft der rechten Hand.

      Im Bereich der unteren Extremitäten wird keine aktive Beweglichkeit festgestellt, wobei das Babinski-Zeichen beidseits positiv ist und die Patellasehnenreflexe beidseits schwach bis fehlend sind. Das Berührungsempfinden an der rechten unteren Extremität fehlend, an der linken unteren Extremität wird inkonstant ein Berührungsempfinden angegeben. Somit wird bei der neurologischen Untersuchung ein Hinweis auf die Querschnittsläsion Höhe Th 4 festgestellt.

      Das Polytrauma CT zeigt im Gehirn keine Hinweise auf ein rezentes knöchernes Trauma noch auf ein Trauma der Gehirnanteile. Das CT der HWS zeigt kein rezentes knöchernes Trauma, bei einer Osteochondrose C4 bis C7 und relativer Vertebrostenose C4 bis C6. Das CT des Thorax und des Abdomen ergeben keine Hinweise für eine Verletzung dieser Organe.

      Das am gleichen Tag durchgeführte MRT der Halswirbelsäule zeigt in Höhe von C4 bis C7 eine Signalanhebung mit einer Längsausdehnung von 18 mm zwischen C4 und C7, welches einem Rückenmarksödem bzw. einer Blutungszone entspricht.«

      »Können Sie mich hören? Herr Wosp, können Sie