Walter Wosp

ASIA B-C


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Er sagt, ich soll das nicht so ernst nehmen, es sind gerade zwei Tage nach dem Unfall, man kann noch nichts Genaues sagen, ich muss Geduld haben.

      »Haben Sie eine empfindliche Haut?« fragt er plötzlich.

      Ich schaue ihn verblüfft an.

      »Nein, warum?«

      »Wollen Sie einen Polster zwischen den Beinen, wenn Sie auf der Seite liegen?«

      »Warum einen Polster?«

      »Wenn Ihre Haut empfindlich ist, wird es unangenehm, wenn der Druck zu lange dauert. Deswegen kann ich Ihnen einen Polster zwischen die Beine stecken.«

      Ich überlege.

      »Na ja, sicher ist sicher. Probieren wir es einmal mit einem Polster.«

      »Gut. Wie oft soll ich Sie in der Nacht umdrehen?«

      »Warum wollen Sie mich umdrehen? Das kann ich doch selbst.«

      Er schaut mich nachdenklich an.

      »Das können Sie nicht.«

      »Noch nicht«, sage ich.

      »Ich schlage vor, wir versuchen es einmal mit einem Dreistunden Rhythmus«, sagt er nach ein paar Sekunden Schweigen.

      »Okay. Mir ist es recht.«

      »Am Nachmittag kommt übrigens eine Psychologin, mit der können Sie dann Ihre Probleme besprechen.«

      Ich sage, ich habe keine Probleme, ich will wieder aufstehen und nach Hause gehen, was brauche ich eine Psychologin?

      »Sprechen Sie mit ihr, es wird Ihnen gut tun.«

      Dann kommen wir ins Reden, ich erzähle ihm was ich gemacht habe, er sagt, dass er nebenbei viel mit Computern arbeitet, in seinem Haus einen Server für alle Bewohner eingerichtet hat und so weiter. Wir haben eine gemeinsame Basis. Ich schlafe wieder ein.

      Am Nachmittag wecken mich Stimmen, Schwester Maria kommt mit einer älteren Dame, Typ Wirbelwind, schlank. Sie stellt sich vor, ich kann ihren Namen nicht verstehen. Sie fragt, wie es mir geht, ich sage gut, sie fragt, ob ich Schmerzen habe, ich sage ja, ich bekomme aber Medikamente. Sie deckt mich ab, fährt in zirka fünf Zentimeter Entfernung mit der rechten Hand über meinen linken Arm, dann über das linke Bein, geht ums Bett und wiederholt alles auf der rechten Seite.

      »Sie haben überall Energie, links etwas mehr als rechts, aber auch auf der rechten Seite und im rechten Bein ist Energie vorhanden.«

      Ich frage sie, was das bedeutet.

      »Es fließt Energie, nicht nur durch Ihre linke Seite, sondern auch rechts. Wenn Sie noch etwas von mir brauchen, sagen Sie es bitte den Pflegern, ich komme regelmäßig auf der Intensivstation vorbei. «

      »Aber, bitte, was heißt, ich habe Energie?« versuche ich es noch einmal.

      »Auf Wiedersehen«, sagt die Dame und wirbelwindet aus dem Zimmer.

      Etwas verblüfft frage ich Maria.

      »Wer oder was war das?«

      Sie sagt, dass das die Psychologin war, ich glaube der Auftritt war Maria etwas peinlich.

      »Und was heißt jetzt, dass ich Energie in den Beinen habe?« versuche ich es bei ihr.

      »Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen«, antwortet Maria unbestimmt.

      Ich sage, dass mir heiß ist und dass ich etwas Durst habe. Maria schlägt die Decke zurück dann drückt sie auf einen Knopf an einer Fernbedienung, die an der Seite des Bettes befestigt ist. Der Kopfbereich des Bettes hebt sich. Zusätzlich stützt sie meinen Oberkörper etwas hoch und hält mir eine Flasche mit einem Trinkhalm zum Mund. Ich sauge. Über die Flasche sehe ich nach unten und sehe einen Schlauch aus meinem Bauch ragen. Ich muss Husten, mir ist Wasser in die falsche Kehle gekommen.

      »Was ist das?«

      Ich deute mit einer Hand nach unten, ein Fehler, ich schlage ihr die Flasche aus der Hand. Egal, viel wichtiger ist: »WAS IST DAS???«

      »Sie haben einen Katheter in der Blase.«

      »Und?«

      »Durch den Katheter rinnt der Harn ab.«

      Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.

      Der nächste Tag, ein neues Gesicht.

      »Ich bin die Gisela, ich bin Ihre Physiotherapeutin, ich werde Ihnen ziemlich bald tierisch auf die Nerven gehen.«

      Ein cooler Einstieg, sie ist mir sofort sympathisch, sie ist auch wirklich ein einnehmender Typ. Sie lächelt immer, wenn sie nicht lächelt, lacht sie, Typ Sportlerin, drahtig, quirlig, schlank mit brauner Pagenfrisur. Ich frage, warum sie mir auf die Nerven gehen wird, sie sagt, sie wird mich ab jetzt täglich quälen, ich sage, von einer hübschen Frau lasse ich mich gerne quälen, sie lacht, wir verstehen uns auf Anhieb.

      Sie fragt mich, ob ich glaube, dass ich mich aufsetzen kann.

      »Warum soll ich mich nicht aufsetzen können, natürlich kann ich es.«

      »Versuchen Sie es.«

      Ich ziehe die Unterarme nach oben, versuche mich auf ihnen aufzustützen, komme aber keinen Zentimeter hoch. Ich probiere mich zur rechten Seite zu drehen, um mich mit der linken Hand abstützen zu können, bleibe aber, wie eine Schildkröte auf dem Rücken liegen.

      »Ich kann mich wirklich nicht drehen«, sage ich, mehr verblüfft als frustriert zu Mario, der neben meinem Bett steht und meine Bemühungen ebenfalls beobachtet.

      Er zuckt mit den Achseln.

      Gisela nimmt mich bei den Händen, zieht mich hoch, Mario nimmt meine Beine, zieht sie zur Seite, sie hängen jetzt neben dem Bett runter, ich sitze im rechten Winkel zum Bett.

      »Geht’s?«

      »Alles geht.«

      Gisela lässt meine Hände los. Ich falle um. Nach hinten, ins Bett. Im letzten Moment fangen mich Gisela und Mario auf.

      »Das habe ich fast erwartet«, sagt Gisela, »Sie haben Probleme mit dem Kreislauf durch das lange Liegen.«

      »Nochmals«, sage ich.

      Gisela zieht mich wieder hoch, lässt aus, ich falle um.

      »Das geht nicht.«

      »Noch nicht.«

      »Hmmm ...«

      »Nochmal.«

      Gisela zieht mich hoch, fragt mich, ob mir schlecht oder schwindlig ist, ich verneine, sie lässt eine Hand los. Ich bleibe sitzen, sie schaut mich fragend an, ich nicke, sie lässt die andere Hand los, ich bleibe sitzen.

      ›Na also, Superburschi, es geht doch.‹

      Gisela lächelt. Ich sage ihr, dass ich den New York Marathon laufen werde. Sie schaut mich verblüfft an, ich erkläre ihr, dass ich die Startberechtigung habe, und dass bis November noch ewig Zeit ist.

      »Sind Sie ein geduldiger Mensch?« fragt sie nach ein paar Sekunden Stille.

      »Ich weiß nicht einmal, wie man Geduld buchstabiert«, sage ich.

      »Wie meinen Sie das?«

      »Wenn etwas nicht sofort passiert, werde ich unruhig, wenn es länger dauert, werde ich reizbar, wenn es noch länger dauert, macht es keinen Spaß und ich hau den Hut drauf.«

      Sie blickt mich wieder an, ich glaube, mitleidig.

      »Ich wünsche Ihnen viel Glück, aber einfach wird es nicht, den Marathon sollten Sie trotz Ihrer Ungeduld vielleicht besser für nächstes Jahr einplanen.«

      »Wetten wir?« sage ich.

      »Ich wette nicht, aber ich mache alles, dass Sie die Wette gewinnen werden.«

      Ich probiere, ob ich mich wieder ins Bett legen kann, lasse mich langsam nach hinten kippen,