Xaver Engelhard

Bill & Bill


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und die Zähne ihres schlecht sitzenden Gebisses klappern. Aber was ist das für ein schrecklicher Haarschnitt? Ist das jetzt modern? Ich hatte gehofft, in Princeton würde man dir beibringen, den Launen der Mode zu widerstehen.

      Im Gefängnis kriegen alle die Köpfe rasiert.

      Wieso solltest du aussehen wollen wie jemand aus dem Gefängnis? Ich verstehe das nicht. Genauso wenig habe ich verstanden, wieso Fredda immer wie die Vorsteherin eines kirchlichen Armenhauses aussehen wollte. Dabei hatte sie weder mit den Armen noch mit der Kirche etwas am Hut! Ich muss sagen, ich war direkt erleichtert, als sie verschwunden ist. Eine entfernte Verwandte deines Großvaters, wie du weißt, aber hat uns unsere gute Bessie leider in keiner Weise ersetzen können. Oder sollte ich besser Berenice sagen? Sie hat uns ihren richtigen Namen ja immer verheimlicht. Auch dieser Boxer, den Großvater immer so bewundert hat, nennt sich jetzt anders. Sein Taufname ist ihm nicht mehr gut genug. Groß gewachsener, gut aussehender Kerl, aber ich weiß nicht, was die mit ihren Namen haben. Afrikanischer Aberglaube, den sie besser im Busch gelassen hätten wie einige andere Unsitten auch! Oder würdest du anders heißen wollen?

      Ich hätte nichts gegen einen neuen Nachnamen. Ich stehe wieder auf und sehe mich im Zimmer um. Neben ihrem Sessel steht ein niedriger Tisch mit einem gehäkelten Deckchen, einem silbernen, mit Halbedelsteinen besetzten Pillendöschen, einer geschliffenen Wasserkaraffe und einem dazu passenden, halb gefüllten Glas. Auf der anderen Seite des Sessels eine Art Tablett auf Rollen. Wie im Krankenhaus! Auf dem Sofa eine große, weiße Plastiktasche, aus der ein Blutdruckmesser ragt.

      Sei nicht so nachtragend! Dein Vater hatte wirklich keine Schuld daran, dass wir uns ein paar Jahre lang um dich kümmern durften. Davon abgesehen war es uns wirklich eine Freude, und wir haben es nie bereuen müssen, so brav, wie du immer gewesen bist. Es war allein die Schuld deiner Mutter. Erst hat sie sich den falschen Mann ausgesucht und dann ist sie lieber Ski gefahren, als sich um ihr Kind zu kümmern, aber du weißt ja, sie war von Anfang an ein schwieriger, geradezu rebellischer Mensch. Ganz anders als du! Eher wie Amy! Seltsam, wie das manchen Menschen ins Blut gelegt ist! Sie seufzt und entschließt sich dann doch zu einem Lächeln. Außerdem hast du dich doch mit deinem Vater längst ausgesöhnt! Ich habe es damals natürlich bedauert, dass du nach Alex’ Tod nicht mehr hier bleiben wolltest, gleichzeitig konnte ich aber verstehen, dass ein Haus voll alter Frauen nicht das richtige ist für einen Jungen, und hoffte, dass dir die Bergluft gut tun würde, kränklich wie du warst. Ich habe um Alex getrauert und hätte dir nicht mehr die Pflege zukommen lassen können, die du immer nötig hattest; und Fredda war in dieser Hinsicht leider so wenig zu gebrauchen wie in jeder anderen. Und es war ganz einfach das Richtige. Nichts ist seliger als Vergeben! Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient; und er hatte ja bereits einige Jahre lang der Flasche entsagt; und schon vorher bist du jedes Jahr am Ende der Sommerferien so braun und gesund und voller Energie von dort oben zurückgekommen, dass ich mich ohnehin manchmal gefragt hatte, ob dir das regnerische Klima bei uns hier unten nicht schadet. Ihre zitternde Hand erreicht gerade noch das Glas. Sie trinkt einen winzigen Schluck, als wäre das Wasser bittere Medizin, und stellt das Glas zurück. Es ist schön, dass sich am Ende doch alles gefunden hat. Du und dein Dad, deine Mutter und dieser Zahnarzt! Die beiden mussten sich halt erst noch die Hörner abstoßen, jeder für sich. Sie waren damals einfach noch zu jung gewesen. Zu jung für die Ehe und zu jung für ein Kind!

      Weißt du, was mit Amy los ist?

      Nein! Sie schüttelt den Kopf und blickt zum Fenster, das mit einer dünnen Gardine verhängt ist. Sie war ja nie sonderlich anhänglich und kommt auch in dieser Hinsicht ganz nach ihrer Mutter.

      Ich will sie besuchen.

      Alles zu seiner Zeit! Zuerst einmal wirst du dich anständig anziehen müssen. Sie seufzt. Die Hosen sind ja ganz verwaschen. Wenn du willst, kannst du nachsehen, ob dir einer von Alex’ Anzügen passt. Du hast ungefähr seine Statur, wie du ihm überhaupt sehr ähnlich bist. Und er hatte diesen ausgezeichneten Schneider, der einmal im Jahr in die Stadt gekommen ist, um Maß zu nehmen. Aus der Savile Row! Ich habe sie alle aufgehoben. Ich habe es nicht über das Herz gebracht, sie der Heilsarmee zu geben. Heutzutage ist ohnehin auch der letzte Landstreicher fetter, als es dein Großvater je war. Und ich habe Platz genug! Ich hebe alles auf. Auch seine Lichtbilder! Von dir und von deiner Mutter!

      Und von Sam, ich weiß.

      Weihnachten! Sie hat mir an Weihnachten geschrieben.

      Wer? Mutter?

      Deine Schwester! Ich war sehr überrascht, denn ich hatte zwei, drei Jahre lang nichts von ihr gehört.

      Hast du den Brief noch?

      Die Karte! Es war nur eine Weihnachtskarte, aber ich habe sie selbstverständlich aufgehoben. Die Leute schreiben ja nicht mehr so viel. Meine Enkelkinder am wenigsten von allen! Sie sieht mich an, und ich weiß, aber was hätte ich ihr sagen sollen, irgendwem, über das immer Gleiche, das Warten und Hassen, das sinnlose Lärmen derer, die tags prahlen mit ihrer tätowierten Verworfenheit und nachts blöken wir Lämmer im Schlachthof.

      Ist sie hier irgendwo? Ich sehe mich um.

      Hier? Hier bestimmt nicht! Hier habe ich nichts mehr zu sagen. Hier ist das Reich von Germaine, die zweimal am Tag kommt und tut, was sie will. Nein nein! Alles, was mir wichtig war, ist oben im Speicher in einem seiner Kartons. Du kennst ja Großvater: Kein Haus war besser bestellt als das seine. Die Anzüge hängen im Ankleidezimmer. Ich erinnere mich an einen braunen aus Kaschmir mit hellem Seidenfutter. Drei Knöpfe und zwei Schlitze, wie er sie getragen hat, seit wir uns kennengelernt haben auf dem Ball meiner Eltern! Er war immer so gut angezogen. Schon damals! Das ist das Erste, was mir an ihm aufgefallen ist: Der Schnitt seiner Uniform. Und seine Haltung! Solch eine prächtige Haltung! Dabei war er, man muss fast sagen, er hatte keinen guten Ruf; und meine Eltern machten sich verständlicherweise Sorgen, hielten ihn für einen Mitgiftjäger. Das hat mir mein Vater ins Gesicht gesagt. Und habe ich mich davon beirren lassen? Sie lächelt. Die Augäpfel sind noch weiß. Nur das Blau der Iris ist ein wenig verblasst. Nein!

      Scheint tatsächlich in der Familie zu liegen, sage ich, obwohl Amy nicht stark war, nicht widerspenstig, nicht als sie zu uns kam, weil die Geschichte sich wiederholt hatte und Mutter sich von ihrem Mann, ihrem Kind und ihrem ganzen Leben erneut überfordert fühlte. Sie hat sich so gefürchtet, dass sie neben meinem Bett auf dem Boden schläft. Kommt nachts rein auf nackten Sohlen, Decke und Kopfkissen im Arm, zerrt den Teppich näher heran, legt sich hin; und ich muss ihre Hand halten bis zum Morgen, und es waren nicht nur die Gewitter, es war das ganze alte Haus voll alter Leute, an das ich mich längst gewöhnt hatte und das mir zum ersten Mal komisch vorkam mit Amy, die lacht, wenn ich meine Übungen mache, Kalisthenie und handvermessene Dauerläufe rund um das Haus, und für die ich Geschichten schreibe voll Prinzessinnen und Drachen, je blutiger, desto besser. Sorgen mache ich mir erst, als sie auch lacht, während unser Kulissen-Rom brennt und die Flammen auf die Vorhänge übergreifen und es für einen Moment so aussieht, als würden wir das ganze verdammte Haus abfackeln, ihr Verließ, aus dem kein Prinz sie befreite, obwohl ich es versprochen hatte, aber Märchen sind nicht genug, im Gegenteil, sind Lüge und Kette, und sie es sich erträumt hatte, die Flucht Hand in Hand, immer Hand in Hand in den Tod, was der einzige Ausweg ist, aber dann kam Wyatt, die Parodie eines Prinzen auf einem röhrenden, knatternden Pferd, der bei ihr lag, der zwischen uns fuhr.

      Ich wollte Archäologin werden, kannst du dir das vorstellen? Ich schätze, die einzigen alten Knochen, mit denen ich es jemals zu tun bekommen werde, sind meine eigenen. Bin ja schon die reinste Mumie! Es war alles arrangiert. Ich war gut in alten Sprachen und sollte nach Bennington, aber dann tritt Großvater in mein Leben, und da war es um mich geschehen, und ich habe es keinen Moment bereut. Nur die Zeit wird mir allmählich doch sehr lang, und manchmal wünschte ich mir, es hätte ein Ende.

      Die Zeit ist die ursprüngliche Qual, hat er immer gesagt. Das nichtende Nichts. Um ihm zu entkommen, unterwerfen wir uns der Uhr, rasen im Minutentakt, weil wir sie nur in kleinen Stücken ertragen.

      Er war so ein weiser Mann! Ich vermisse ihn, und oft denke ich mir, es wird Zeit, ihm zu folgen. Deine Mutter wird richtig wütend, wenn ich sowas sage, als beleidige man sie damit persönlich, dabei kommt sie nur sehr selten zu Besuch, kaum öfter als früher, und wenn mit Winston,