Xaver Engelhard

Bill & Bill


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Galgen baumelt. Daneben wartet ein Heizlüfter auf den Winter. Das Haus hält den Regen ab, aber nicht die Kälte und nicht die Feuchtigkeit. Die Dampfheizung beschränkt sich auf die Produktion akustischer Effekte, die Neulinge am Schlafen hindern. Amy hat sich nie daran gewöhnt.

      Sei doch froh, dass sie für ein bisschen Ordnung sorgt!

      Eigensinnig sind sie. Schrecklich eigensinnig! Sie lässt mich nicht einmal meine Zeitschriften hier behalten. Ich bin nur froh, dass ich meinen Schmuck beizeiten von Winston auf die Bank habe bringen lassen, weil, ich sage dir, sie stehlen wie die Raben. Ich brauche nur etwas aus der Hand zu legen, schon ist es weg. Wie die Raben! Aber wie soll ich neues Personal finden? Wirklich, ich bin so froh, dass du jetzt da bist. Du musst mit dem Rasen anfangen! Wenn Rasen nicht zweimal die Woche geschnitten wird, kannst du ihn vergessen. Absolut vergessen! Und ich habe ihnen so oft gesagt, dass sie ihn mähen sollen, aber weißt du, was sie mir zur Antwort geben? Dafür werden sie nicht bezahlt! Stell dir das einmal vor! Und Winston, ach Gott! Winston ist so schrecklich alt geworden, und du weißt ja, wie das mit alten Leuten ist: Erst werden sie inkontinent, dann geizig. Nicht, dass ich dem guten Winston da etwas unterstellen wollte, aber er hat immer wieder neue Ausreden; und seine liebste Phrase ist: Verkaufen Sie das Haus und ziehen Sie in was Kleines, Pflegeleichtes! Und die Möbel?, frage ich dann für gewöhnlich. Das sind alles Erbstücke meiner Eltern. Vieles aus Europa! Davon trennt man sich so wenig wie von einem Arm oder einem Bein, mein Lieber. Nein nein, Winston ist auf seine alten Tage ein komischer Kauz geworden und richtig geizig. Als wenn es sein Geld wäre! Ist ja schön und gut, dass er auch an die nächsten Generationen denkt, aber für euch ist ja nun beileibe mehr als genug da. Das Monopol auf den Japan-Handel, stell dir das einmal vor! Das war zwar noch vor diesen ganzen kleinen Autos, die den Verkehr jetzt so schrecklich unübersichtlich machen, aber der Handel hatte dafür mehr Klasse, da braucht man gar nicht drüber zu diskutieren: Porzellan, Tee, Seide, aber auch Gewürze und Lebensmittel für die japanische Kolonie hier und Stahl und Stahlprodukte. Die Japaner sind ja nicht über Nacht zu einer Industrienation geworden; und mich persönlich hat das mit Pearl Harbour damals überhaupt nicht überrascht. Sie beugt sich mit halb ausgestrecktem Arm zu dem Glas, erreicht es mit Mühe und schlürft daraus. Ich hoffe übrigens, du spielst nicht mit dem Gedanken, einen Pool anlegen zu lassen. Das wäre mir höchst unwillkommen. Das sicherste Zeichen, um einen dieser Neureichen auszumachen! Riecht nicht nur nach Chlor, sondern auch nach Hollywood! Ausgesprochen vulgär, wenn du mich fragst! Wir hatten zu meiner Zeit gewiss auch unseren Spaß, sogar im Wasser, und Tippy Henron von der Henron Werft ist bei einem Fest sogar einmal in einen hineingesprungen mit nichts als ihrer Perlenkette bekleidet, weil sie irgendeine Wette verloren hatte, aber ich finde, jetzt, da jeder dahergelaufene Schauspieler sich so etwas graben lässt, wäre es eher an der Zeit, den eigenen Pool wieder zuschütten zu lassen. Sie fasst mich fest in den Blick, damit ich ja nicht aufspringe und mit einer Schaufel bewaffnet in den Garten renne und ein Loch aushebe.

      Keine Angst, Großmutter! Ich habe nicht die Absicht, hier irgendwas zu verändern. Ich will nur diese Karte von Amy, und ich glaube, ich werde jetzt schnell einmal in den Speicher gehen und schauen, ob ich sie nicht auch ohne Germaines Hilfe finde.

      Sei unbesorgt! Sie wäre eh keine große Hilfe. Meinst du, ich kriege sie dazu, mal ein wenig Staub zu wischen oder wenigstens die Vorhänge in die Reinigung zu bringen? Dafür werde ich nicht bezahlt!, heißt es nur immer wieder. Aber ich verzweifle nicht! Ich weiß, was ich meinem Herkommen und meiner Erziehung schuldig bin. Jetzt, da die nächste Generation auf den Plan getreten ist, wird sich hier eh einiges ändern; und das werden sie bald merken.

      Bestimmt! Ich gehe jetzt kurz auf den Speicher und dann komme ich noch einmal, um mich zu verabschieden.

      Sie lächelt und nickt voll greiser Gelassenheit; und ich gehe hinaus, öffne im Flur die in die Holztäfelung eingelassene Tür und klettere die steile Treppe hinauf.

      Bill, Pierre und die Mädchen sprangen in den Fiat, fuhren gefolgt von Bernardo und seinem Chevy in die Stadt zurück und borgten sich Kostüme in dem kleinen Theater, in dem Marianna gelegentlich in aktualisierten Versionen antiker Tragödien auftrat. Es war längst Nachmittag, als alle wieder in den Autos verstaut waren und wild hupend aufbrachen zu ihrer Expedition.

      Kaum hatten sie die Außenbezirke der Hauptstadt hinter sich gelassen, gerieten sie auf eine holperige Landstraße, die sonst nur von verbeulten Lastwagen mit hohen Ladewänden und von Militärkonvois benutzt wurde. Die Hitze nahm merklich zu. Die Blätter flackerten wie Flammen an den Ästen riesiger Ceibas, vereinzelte Relikte eines Urwalds, der längst weitläufigen Haziendas und kleinen Bauernhöfen gewichen war, die aus wenig mehr bestanden als einer Hütte und ein paar Beeten inmitten von Gesträuch. Schweine gruben in Schlammlöchern. Ziegen zerrten an Ästen. Hunde bellten. Halbnackte Kinder hoben die Hände zur Stirn, sahen den beiden Autos hinterher und begannen, vorsichtig zu winken.

      Sie kamen an einigen unverputzten, mehrstöckigen Häusern vorbei, deren Balkone von rostigen Baustreben gestützt wurden und noch ohne Geländer waren. Die Stadt, von der die Insassen des Fiats automatisch meinten, dass sie auf diese Mietskasernen unmittelbar folgen würde, tauchte erst eine halbe Stunde später auf. Schwer bepackte Mulis behinderten den Verkehr auf ihrer Hauptstraße. Die Männer, die sich an den Theken der Cafés drängten und an den Säulen der Arkaden lehnten, starrten die Fremden in den auffälligen Autos unverhohlen an. Isabella streckte ihnen die Zunge heraus und sorgte für Unruhe.

      Ein Telefonkabel folgte nun der Straße auf windschiefen Holzstangen. Die Landschaft wurde hügelig. Bernardo im Wagen vor ihnen hupte, als ihm ein rot gestrichener Viehtransporter entgegenkam. Zäune liefen davon, aber es war unklar, was sie abteilten.

      „Seltsames Land!“, stellte Marianna fest. Die Vier im Fiat hatten kaum gesprochen, seit sie losgefahren waren. Sie kannten eigentlich nur Havanna und die Küste bis rüber nach Varadero. Außer Pierre hatte bisher keiner von ihnen einen Ausflug in das Landesinnere gewagt, auf dem der Himmel schwerer lastete, als sie es gewohnt waren.

      „Asche zu Asche!“, murmelte Isabella, als sie an einem schwelenden Feuer vorbeikamen, über das ein Junge wachte, aufgestützt auf eine Harke. Er trug eine Machete im Gürtel und kaute auf einem Stück Zuckerrohr. Schwarze Rauchwolken verdunkelten den Horizont, als stünde auch der Rest der Welt in Flammen.

      „Sie fackeln die Zuckerrohrfelder ab, um die Ernte zu erleichtern“, erläuterte Pierre. Bill nickte desinteressiert. Er bereute die Idee zu diesem Ausflug längst und dachte an den Strand, an dem sie stattdessen hätten liegen können, ein Stück Melone oder einen eisgekühlten Drink in der Hand.

      Endlich bogen sie von der Landstraße ab, und nach weiteren 15 Minuten auf einer zunehmend löcherigen Piste, die über struppige Weiden mit einzelnen Rindern führte, erreichten sie die Ranch von Bernardos Eltern, deren Gebäude im Schatten einiger weit ausladender Bäume standen.

      „Willkommen auf Kuba!“, rief Bernardo, der lässig auf sie zu schlenderte, während sich die vier noch aus dem Fiat zu befreien versuchten.

      „Ich kenn dieses Land nicht.” Marianna sah sich um und schüttelte verwundert den Kopf.

      „Es ist unser Land. Unsere Erde!” Bernardo bückte sich, hob eine Handvoll rötlichen Dreck auf und ließ ihn andächtig durch die Finger rieseln. Er wirkte verändert. Er stapfte mit großer Selbstverständlichkeit über den gesprungenen, ausgedörrten Boden. Er trug plötzlich hochhackige Stiefel und hatte zum Schrecken der Frauen sogar die Hosenbeine in die schwarzen, mit aufwendigen Ziernähten geschmückten Schäfte gestopft.

      Sie folgten ihm zu dem Wohnhaus, das zwar groß war, aber längst nicht so herrschaftlich, wie Bill es sich vorgestellt hatte. Es war einstöckig und mit roten Ziegeln gedeckt. Das nur leicht geneigte Dach sprang weit vor und bildete so eine umlaufende, von dunklen, teilweise mit Schnitzereien verzierten Holzsäulen begrenzte Veranda. Wagenräder, Kummets und Zaumzeug hingen an der weiß getünchten Fassade. Abseits gab es noch einige andere Gebäude, aber bis auf den ebenfalls gemauerten Pferdestall waren es von Termiten befallene Holzkonstruktionen.

      Die schwere, mit handgeschmiedeten Angeln und Ziernägeln beschlagene Haustür öffnete sich; und eine grauhaarige Frau in einem langen Rock und roter, verblasster Bluse trat auf die Veranda: Bernardos