Xaver Engelhard

Bill & Bill


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klar, aber doch nicht Musiker wie du. Der Mambo, der Son, der Bolero, das ist alles unsterblich. Das wird hier immer gespielt werden.“

      „Ach ja?“, rief Nico höhnisch. „Auf der Straße vielleicht! Du meinst doch nicht etwa, dass die Americanos, wenn wir ihnen ihre Plantagen wegnehmen, weiter unsere Kasinos und Clubs besuchen, wo sie bisher fett dafür bezahlt haben, dass wir ihnen ein bisschen Leben in die Lenden blasen?“

      „Mein Gott, jetzt warte doch erst einmal ab! Das sind doch alles Spekulationen.“

      „So so, ich soll abwarten, während Balancero mit seinen marxistischen Studenten schon den nächsten Generalstreik plant!“

      Pierre blickte verblüfft zu Balancero, der sich verschämt zu ducken schien, was komisch wirkte bei jemandem mit seiner Körperfülle.

      „Ist das wahr? Ich dachte, nach dem letzten Reinfall wäret ihr geheilt.“

      „Wir haben mit dem Gedanken gespielt“, gestand Balancero kleinlaut.

      „Pass bloß auf mit dem Scheiß! Irgendwann holen sie dich ab und rammen dir einen glühenden Grillspieß in den Arsch, wie sie’s mit Enrique getan haben.“

      „Das erzählt sein Bruder doch nur um sich interessant zu machen“, warf Nico verächtlich ein.

      „Ja?“ Pierre funkelte ihn wütend an. „Und ist Enrique wieder aufgetaucht?“ Dann wandte er sich wieder an Balancero. „Am besten gehst du gleich zur Garnison und erzählst ihnen, was ihr vorhabt. Aber steck vorher noch ne Dose Vaseline ein!“

      „Der Congresso Estundantil ist ein offizielles Organ der Universität; und wir diskutieren dort über legitime politische Kampfmaßnahmen. Also überhaupt kein Grund für Paranoia!“

      „Natürlich! Denn wir haben ja einen demokratisch gewählten Präsidenten und eine Polizei, die sich selbst an die Gesetze hält, die sie zu schützen vorgibt. Es gibt keine Gewerkschaftler, die unerklärlich verschwinden; es gibt keine Politiker, die sich beim Verlassen ihres Hauses eine Kugel einfangen; und …“

      „Hey Pierre!“ Bill hatte sich mit zwei schlanken, verschwitzten Mädchen im Arm hinter seinem Freund aufgebaut. „Darf ich dir Marianna und Isabella vorstellen? Sie haben auf dem Dach alle Herren in den K.O. getanzt, sind aber immer noch nicht müde, und da dachte ich mir, wir befreien dich aus dieser verlogenen Diskussionsrunde. Balancero, dieser Heuchler, behauptet doch immer, zu den Armen zu halten, dabei hortet er in seinem Bauch genug Fett, um damit 100 Schulkinder ein ganzes Jahr lang zu ernähren.“ Er griff an Pierre vorbei nach einer der Flaschen auf dem Tisch, trank daraus, bis ihm der Rum über das Kinn lief, und reichte sie an Marianna weiter, die ihr langes, schwarzes Haar kunstvoll hoch gesteckt hatte. Ohne zu zögern setzte sie die Flasche an, trank drei tiefe Schlucke, und ehe sie sich mit dem Handrücken die Lippe abwischen konnte, hatte Bill sie gepackt und seinen Mund auf den ihren gepresst. Sie ließ sich das gerne gefallen, schlang ein Bein um seine Hüfte und reichte blind die Flasche an ihre Freundin weiter, eine Mulattin, deren kurze Locken den Schädel wie eine eng geschnittene Wollmütze bedeckten. Auch Isabella bediente sich vom Rum, ließ sich unvermittelt auf Pierres Schoß nieder und umarmte ihn mit der Flasche in der Hand.

      „Hallo!“, sagte sie mit rauchiger Stimme. „Kennen wir uns nicht?“

      „Das ist Pierre!“ Bill hatte sich ein wenig von Marianna gelöst. Seine Zähne blitzten, als wären sie mit Silber beschlagen. „Und mach dir keine Sorgen wegen des Rings! Den trägt er schon seit langem; und keiner weiß, warum.“

      Isabella griff nach Pierres rechter Hand, studierte kurz deren Schmuck und legte sie auf ihrem Schenkel ab.

      „Er ist süß.“ Sie lächelte Bill erleichtert zu.

      „Hab ich’s nicht gesagt?“ Bill blickte triumphierend in die Runde. Er fasste Marianna an der Hand, führte sie um den Tisch herum zu zwei freien Stühlen und stellte ihr seine Freunde vor: „Nico kennst du ja schon, Egberto akquiriert Werbung fürs Radio; Anita erholt sich von einer unglücklichen Ehe; die drei da drüben sind nichtsnutzige Studenten; Balancero ist Journalist mit den Spezialgebieten Handtaschenraub und Versäumnisse der Stadtverwaltung; und Bernardo war Offiziersanwärter bei der glorreichen kubanischen Marine.“

      „War?“ Marianna musterte Bernardo, einen hübschen Burschen, der mit glasigen Augen vor sich hin starrte.

      „Er ist kurz vor Weihnachten wegen Unzucht in einem Rettungsboot entlassen worden.“ Bill blickte zu Bernardo. „War doch ein Rettungsboot, oder?“

      Bernardo zuckte nur mit den Achseln. Er war der mittlere dreier Söhne eines Großgrundbesitzers aus dem Oriente. Der Älteste würde die Hacienda übernehmen; der Jüngste sollte studieren und Arzt oder Anwalt werden; und Bernardo musste der Familientradition entsprechend zum Militär. Es hatte ihn schon alle Kraft gekostet, wenigstens die Erlaubnis zu einer Laufbahn in der Marine anstatt der Armee zu erhalten. Sein Großvater, der Oberst, verachtete ihn seither unverhohlen; sein Vater hatte sich nach verbittertem Schweigen erst von der auf Knien weinenden Mutter dazu erweichen lassen, ihn nicht zu enterben: Alle Matrosen waren in seinen Augen Deserteure, die nur auf eine Gelegenheit warteten, sich nach Miami abzusetzen. Kein Kubaner hätte Schwimmen gelernt, wenn es nach ihm gegangen wäre. Er machte die Vereinigten Staaten und ihre geografische Nähe für alle Übel im eigenen Land verantwortlich.

      „Das Boot hat dich vor einem Leben als Soldat gerettet. Darauf sollten wir anstoßen.“ Bill füllte ein paar große Gläser mit Rum. „Auf die Freiheit!“

      Bernardo nahm eines der Gläser, zuckte aber unwillig mit dem Kopf.

      „Wenn jeder tut, was er will, ist das nicht Freiheit, sondern ihr genaues Gegenteil. Schau dich doch um!“ Er machte eine große, trunkene Geste. „Wir denken nur an uns. Wir haben nie gelernt, frei zu sein, weil wir uns nicht beherrschen können.“

      „Das Militär hat dich rausgeschmissen, deine Familie tut es sicher auch bald: Wie viel freier willst du denn sein? Verkauf Schuhe oder Bücher! Fahr zur See! Werd Schauspieler!“ Bill wirkte ganz beglückt von diesen Möglichkeiten und schlug Bernardo, der kaum jünger war als er selbst, kräftig auf den Rücken.

      „Es würde meine Mutter umbringen“, murmelte Bernardo und kratzte an einem Wachsfleck auf der Tischplatte.

      „Dann musst du es ihr halt schonend beibringen!“ Bill wandte sich an Pierre, der Isabella ein paar Zaubertricks vorführte. „Was hältst du von einem kleinen Ausflug in den Oriente? Ich war noch nie dort; und Bernardo hat Angst, alleine zu seinen Eltern zu fahren.“

      „Stimmt das?“ Pierre ließ eine Münze verschwinden und blickte verwundert zu Bernardo.

      „Schon, aber …“

      „Na also!“ Bill warf eine Hand in die Lust. „Wir fahren mit und erklären seinen Eltern die Sache mit dem Rettungsboot. Das wird viel lustiger als drei Tage Strand.“ Er sprang auf, packte Marianna am Handgelenk und zerrte sie lachend zu der Treppe, über die sie zur Dachterrasse und der dort unermüdlich plärrenden Victrola gelangten.

      Hätte mich auch gewundert, wenn jemand öffnet. Aber sie muss zu Hause sein, sonst wäre abgeschlossen. Dunkel und muffig, aber das war es vermutlich schon immer, zumindest so lange, wie ich mich erinnern kann; und das Licht strömt noch immer dunkelrot durch die Scheiben, die Eroberung des Westens als Legende vom Drachentöter, so hat er es mir zu erklären versucht, trotzdem ist es vor allem ein Blutbad, Ströme von Blut, welche die Prärien wässern und Mühlen treiben, und für mich war das riesige Buntglasfenster irgendwann ganz normal, aber für Amy war es ein Schock und sie hat geweint, weil Mutter ihr doch erzählt hatte, dass Indianer lieb sind und naturverbundene Heiler und Seher und nicht dreckige Alkoholiker wie die, mit denen Dad im Sägewerk gearbeitet hat. Irgendwer kümmert sich um sie, Essen auf Rädern, immerhin, aber die ganzen Zeitungen sind ein echtes Brandrisiko. Ich frage mich, ob Winston das weiß. Man sollte ihn zwingen, hier auszumisten für das ganze Geld, das er gestohlen hat.

      In der Küche alles beim Alten. Tante Fredda war die letzte, die sie benutzt hat. Hat sie entweiht und geschändet mit ihrer Unfähigkeit, ihrem Unwillen. Man