Christine Schöpf

Mein Leben mit dir... endet nicht hier


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Hanna, das möchte ich nicht. Es war für mich und Benno von vornherein klar gewesen, dass ich das mit ihm alleine durchziehe. Dich und Aaron in meiner Nähe zu wissen, gibt mir Kraft genug. Mach dich ruhig jetzt auf den Weg, wenn sich hier was tut und ich dich brauche, melde ich mich bei dir.“

      Hanna schaute Nelly fragend an, „Ehrlich? Ich kann auch bleiben…“

      „Ehrlich Hanna, bitte geh jetzt. Ich brauche diese Zeit jetzt, um Abschied zu nehmen, ich kann das jetzt.“

      Und dabei lächelte Nelly Hanna an. Hanna nickte Nelly zu, und strich noch einmal über die Bettdecke von Benno.

      „Mach es gut alter Freund, wir sehen uns auf der anderen Seite“, und damit ging Hanna aus dem Zimmer.

      Nelly lies ihren Blick nicht von Benno und lauschte seinem Atem. Nellys Gedanken, welche sich eben noch in ihren Kopf überschlagen hatten, wurden immer langsamer und Nelly fand ihre innere Ruhe. Ihr war plötzlich ganz klar, dass Benno nun von ihr gehen würde, und egal was auch immer passiert war, sie hatte ihn geliebt und sie empfand tiefe Freundschaft für ihn. Nein, Nelly war ehrlich zu sich selbst. Nein, dachte sie, sie liebte ihn nicht mehr, wie man seinen Partner lieben sollte. Aber das war auch okay, das Thema hatte sie mit Benno abgeklärt. Sie hatte ihm verziehen und ehrlich gesagt, er hatte ihr für einen kurzen Zeitraum das Herz gebrochen, es ihr aber nicht aus der Brust gerissen. Er hatte nur das getan, was irgendwann sowieso passiert wäre, er hatte sich von ihr entfremdet. Und das er glaubte, dass sie seine große Liebe war, lag nur daran, dass sie jetzt bei ihm war. Nelly streichelte Bennos Hand. Sie wusste nicht, wie lange sie so dasaß, die Schwestern waren gekommen und gegangen und es war bereits dunkel draußen. Man hatte ihr ein kleines Licht angemacht und etwas zu trinken und zu essen hingestellt, aber Nelly hatte von all dem nichts angefasst. Sie hörte Bennos Atmung zu und hörte, dass dieser immer schwächer, immer langsamer wurde und irgendwann konnte sie seine Atmung nicht mehr hören. Als ihr das bewusst wurde, schaute sie auf die Geräte und konnte erkennen, dass Benno so gut wie keinen Herzschlag mehr hatte. Nelly stand auf, beugte sich über Benno und gab ihm einen Kuss auf die Stirn, die sich kalt und trocken anfühlte. Als sie sich wieder aufrichtete hatte er keinen Herzschlag und Puls mehr, und die Geräte gaben einen sehr leisen kontinuierlichen Summton von sich.

      Der Gedanke war so klar für Nelly: Benno war gerade von ihr gegangen, leise und friedlich, so wie er es gewollt hatte. Nelly setzte sich wieder neben ihm und nahm seine Hand. Sie verspürte keine Trauer und sie hatte keine Tränen mehr. Nelly war über sich selbst überrascht, was hatte sie die ganze Zeit geweint, sie hatte Tränenmeere geweint und nun, da Benno Tod war, war da nichts.

      Nelly hörte wie die Tür aufging und die Schwester mit dem Professor in das Zimmer traten.

      „Frau Lange“, der Professor sprach Nelly leise und sanft an.

      „Frau Lange, Herr Schrimpf ist von uns gegangen, unser herzliches Beileid.“ Nelly nickte.

      „Frau Lange, wir werden jetzt die Geräte abschalten und den Todeszeitpunkt dokumentieren.“

      Nelly nickte wieder. Was um sie herum geschah, nahm sie wahr, und doch war das alles so surreal. Sie sah dem Professor und den Schwestern bei der Arbeit zu, sah Benno in seinem Bett liegen mit einem friedlichen Lächeln und sie fühlte Ruhe in sich. Sie war müde, aber nicht so fertig müde wie nach einem langen anstrengenden Tag, eher müde wie nach einem langen Saunagang.

      Es war 21:34 Uhr und Benno war Tod.

      „Frau Lange, möchten sie sich noch von ihrem Mann verabschieden?“

      Der Professor legte seine Hand auf Nellys Schulter und Nelly zuckte zusammen. Der Professor nahm seine Hand sofort wieder herunter.

      „Frau Lange, …“

      „Ja, ich möchte noch eine Weile hier sitzen, wenn das okay ist.“

      Nelly hörte sich selbst und ihre ruhige Stimme kam ihr fremd vor.

      „Selbstverständlich“, der Professor sah Schwester Susanne an und diese nickte ihm zu.

      „Wenn sie fragen oder Wünsche haben, die wir ihnen erfüllen können, wird ihnen Schwester Susanne gerne helfen.“

      Nelly schaute Schwester Susanne dankend an.

      „Das ist sehr lieb, aber ich würde einfach noch gerne eine Weile mit Benno allein sein.“

      „Natürlich. Rufen sie nur kurz durch, wenn sie mich brauchen,“ dabei hielt sie ihr Handy in die Luft und schüttelte es dabei.

      „Das mache ich“.

      Als die Türe wieder geschlossen wurde, konnte Nelly die Stille im Raum hören. Totenstill fuhr es Nelly durch den Kopf. Nelly wusste nicht, was sie jetzt machen sollte. Sie fühlte nichts, keine Trauer, keinen Zorn, keine Erleichterung, nur eine unglaubliche Leere, die sie bewegungsunfähig machte. Sie wusste nicht, wie lange sie da saß, als sie ein ganz leises Vibrieren wahrnahm und erkannte, dass es ihr Handy sein musste. Nelly schaute sich um, draußen war es mittlerweile stock dunkel. Sie kramte ihre beiden Handys aus der Tasche und sah, dass auf beiden Nachrichten hinterlassen wurden. Als erstes schaute sie auf ihr eigenes Handy- 4 WhatsApp von Hanna, dann auf das Handy, was sie von Aaron mitgenommen hatte- 3 WhatsApp von Aaron.

      Nelly schaute auf die Uhr, 0:23Uhr.

      Sie rieb sich die Augen und streckte sich. Dabei bemerkte sie erst, dass ihr ganzer Körper unglaublich schmerzte, als hätte sie mega Muskelkater. Nelly stand auf und schaute zu Benno. Er sah so friedlich aus, dachte sie wieder. Ihre Augen brannten, aber keine Träne wollte aus ihren Augen rollen. Nelly nahm wahr, dass sie im Zimmer stand, aber es kam ihr vor, als wäre das eine andere Frau, die sie nur beobachtete. Sie setzte sich wieder, und konnte außer dieser leere nichts fassen.

      Als die Türe aufging, drehte sich Nelly um und sah Schwester Susanne vorsichtig ihren Kopf in das Zimmer stecken. „Frau Lange, wir würden Ihren Mann jetzt gerne mitnehmen, ist das okay für sie?“

      Nelly nickte.

      „Möchten Sie ein anderes Zimmer?“

      Nelly schaute die Schwester verständnislos an. „Frau Lange, viele Besucher können es nach dem Tod ihres geliebten Menschen nicht ertragen in dem Raum zu bleiben, in dem dieser gestorben ist. Das ist absolut nachvollziehbar und für diesen Fall, halten wir immer Einzelzimmer bereit. Oder möchten Sie in ein Hotelzimmer?“

      Nelly wusste nicht, was sie sagen sollte, oder was sie wirklich wollte. Es war spät und Nelly fühlte sich immer noch handlungsunfähig.

      „Ich weiß es noch nicht. Wie geht es nun weiter?“

      „Wir werden Ihren Mann bis zur Überführung nach Düsseldorf in den Aufbahrungsraum bringen. Wir fertigen die entsprechenden Papiere an, in ca. 3 Tagen kann er dann überführt werden. Sie sind hier herzlich willkommen und können solange bleiben wie sie möchten. Wenn sie vorher nach Düsseldorf zurück möchten, ist das auch kein Problem. Wir benötigen nur ein paar Unterschriften von Ihnen, das können wir aber später in Ruhe erledigen.“

      Nelly nickte: „Er ist nicht mein Mann, nicht mein Ehemann…“

      „Das wissen wir Frau Lange“, Schwester Susanne sprach ganz sanft.

      „Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll…“

      Schwester Susanne trat näher an Nelly heran:

      „Frau Lange, rufen Sie Ihre Familie an und sagen Sie ihnen, dass Benno von ihnen gegangen ist. Vielleicht verspüren Sie dann den Wunsch, nach Hause zu fahren, oder laden jemanden hier ein um bei ihnen zu bleiben, oder um Sie abzuholen.“

      Nelly nickte, konnte sich aber nicht