Thomas Spyra

Wildgänse


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Arbeiter in der Mitte Oliven auf die immer wieder frei werdende Steinfläche.

      „Das ist unsere Ölmühle. Schau hier tropft das Olivenöl heraus.“ Der quirlige Junge deutete auf ein Rohr, aus dem das Öl in ein Fass lief.

      Jetzt erst bemerkte Tommaso, dass der untere Stein mit Rillen versehen war, in denen sich der herausgequetschte Saft der Früchte sammelte und träge in eine Rinne floss.

      Christiano nahm die Hand seines neuen Spielkameraden und hielt sie unter das Tropfrohr.

      „Nun schleck schon ab! Das schmeckt gut!“, befahl er.

      Sie leckten beide das Öl aus ihren Handflächen.

      Dann rannten sie weiter, durch verschiedene Geräte- und Lagerräume, links und rechts vom Torturm. Ein Wächter hielt im Turmzimmer Tag und Nacht Wache, er überschaute von dort oben alle Zufahrtswege, sodass kein Unbefugter sich unbemerkt der Anlage nähern konnte.

      Über die Tenne kamen sie dann in die Käserei.

      „He Sebastiano! Wir wollen Panna Dolce“, forderte Christiano von dem an einem großen Trog mit einem Holzlöffel rührenden Käser.

      „Ja gleich Signorino, sofort!“ Geschwind verschwand er hinter einem Bottich und kam mit zwei Bechern wieder. Die beiden Jungen tranken genussvoll die süße Sahne bis auf den letzten Tropfen aus und sprangen wieder davon zur hinteren Tür hinaus in den Garten.

      Tommaso kannte ja den Garten seiner Familie und auch den von ein paar Landarbeitern, aber so etwas hatte er noch nicht gesehen. Schnurgerade Wege, mit frischem Kies, ohne ein Hälmchen Unkraut dazwischen. Alle Beete eingefasst von geschnittenen kleinen Büschen. Auf den Beeten Blumen, viele verschiedene Blüten so weit das Auge reichte. Wozu waren denn die gut? Die konnte man doch nicht essen!

      „Aber Christiano, wo ist das Gemüse?“, fragte er seinen Begleiter.

      „Wieso Gemüse? Das kommt doch von den Feldern außerhalb der Fattoria. Wir wollen hier doch nur spazieren gehen. Aber weiter hinten, da gibt es ein paar süße Früchte.“ Und schon wieder preschte er davon, zu einem Mann, der hinten im Garten beschäftigt war.

      „Giovanni hast du etwas Gutes für uns?“

      „Ja Signorino Christiano, die Erdbeeren sind reif.“ Der Mann, der Gärtner, wie Tommaso später erfuhr, bückte sich und zupfte einige leuchtend rote Beeren ab.

      „Hier lasst sie Euch schmecken, dieses Jahr werden sie besonders süß.“

      „Oh, ja, Erdbeeren wie herrlich“ sofort schob sich Christiano ein paar davon in den Mund. Tommaso zögerte.

      „Nun iss schon, die schmecken gut“, stupste ihn der Principe an.

      So viel neue Eindrücke, so viele Sachen, die er nicht kannte. Tommaso wurde es ganz schwindelig. Wo war er da hingeraten, sah so das Paradies aus, gab es das wirklich?

      „Nun hab ich dir genug gezeigt, ich habe Hunger. Komm beeil dich, wir gehen zu Cecilie und lassen uns was zu essen geben.“

      Tommaso hatte Mühe mitzuhalten, gewöhnlich war er denn halben Tag lang irgendwo im Schatten bei den Ziegen gelegen. Aber Christiano schien nicht normal laufen zu können, immer musste er rennen.

      In der Mitte der Küche stand ein runder gemauerter Herd mit acht einzelnen Feuerstellen. Auf allen konnte gleichzeitig gekocht werden. Der Rauch zog über ein von der Decke hängendes Rohr nach außen ab. In der hinteren Küchenecke war ein Brunnen mit einer Winde, hier konnte das frische Wasser direkt von weit unten hochgezogen werden.

      Mehrere Bedienstete bereiteten gerade das Mittagsessen vor.

      „Cecilie, liebste Cecilie, wir haben Hunger“, säuselte Christiano der Köchin ins Ohr.

      „Aber Signorino Christiano, Ihr wisst doch, Eure Mutter hat mich angewiesen, Euch nichts außerhalb der Mahlzeiten zu geben.“

      „Bitte, bitte nur eine Kleinigkeit“, bettelte Christiano mit treuherzigen Augen - die Frau konnte nicht widerstehen.

      „Also gut, aber nichts der Contessa verraten. Jeder eine kleine Arancine, mehr gibt es nicht.“

      Auf einem Holzteller brachte sie jedem ein kleines, noch sehr heißes Reisbällchen.

      „Wenn Ihr das gegessen habt, geht Ihr bitte auf Euer Zimmer Signorino und macht Euch zum Essen fertig. Du, Tommaso, bleibst so lange hier, bis es Zeit für den Unterricht ist.“

      Der Junge half in der Küche mit. Cecilie erklärte ihm, was er tun sollte. Nachdem die Diener bei der Herrschaft abgeräumt hatten, konnte das Küchenpersonal endlich selbst essen.

      „Uns geht es sehr gut hier, wir dürfen uns auch die Reste nehmen. Unser Conte ist sehr großzügig. Manch anderer der Grundbesitzer lässt nicht zu, dass die Dienerschaft die Reste bekommt“, klärte Michele Tommaso auf.

      Alle setzten sich an den großen Tisch im hinteren Küchenbereich und die Küchenmädchen trugen das Mahl auf. Heute gab es eine große dampfende Schüssel Pasta al Olio, Nudeln mit gewürztem Olivenöl, mit geriebenem Käse darüber und danach noch ein paar der übriggebliebenen Arancini. Die Männer bekamen dazu ein paar Fleischreste, klein geschnitten und nochmals angebraten mit Brot. Alle langten kräftig zu, nur Tommaso wollte es nicht so recht schmecken, er kannte solche Speisen nicht. Zu sehr waren ihm auch die Naschereien und die vielen neuen Eindrücke auf den Magen geschlagen. Zum Abschluss gab es dann noch Cannoli, mit süßer Creme aus Ricotta di Pecorino gefüllte Röllchen, die von der Tafel der Herrschaften fast unberührt zurückgekommen waren.

      Nachmittags nach der Siesta kam Emilio, der Hauslehrer, und holte Tommaso ab. Er nahm ihn mit ins Studierzimmer. Hinter einer Bank saß bereits Christiano auf einem Hocker. Tommaso nahm daneben Platz.

      „So, nun pass mal auf, du Ragazzo stupido, hier wird gemacht, was ich sage. Wenn du nicht folgst, gibt es was mit dem Stock“, er schwang eine armlange Gerte pfeifend durch die Luft, „Zuerst werden wir dir ein richtiges Italienisch beibringen. Für Euch Signorino Christiano ist es eine schöne Wiederholung.“

      Damit begann für den jungen Ziegenhirten eine ungewöhnliche Ausbildung. Normalerweise, wenn er Glück gehabt hätte, wäre er vielleicht für zwei oder drei Klassen nach Palazzolo gekommen. Das hätte bedeutet, jeden Montagmorgen sehr früh aufzustehen, erst die Ziegen mit hinauszutreiben und dann hurtig den etwa zweistündigen Weg zur Schule zulaufen. Aber nun eröffneten sich für ihn ganz andere Möglichkeiten, die er im Moment noch nicht überblicken konnte. Endlich durfte er lernen, bekam vielleicht Antworten auf die vielen Fragen, die er hatte. Wenn er später daran zurückdachte, war ihm bewusst, wie dankbar er dem Conte für diese Chance sein musste.

      Nach etwas mehr als einer Woche meinte die Köchin zum Conte, es wäre besser, den Jungen hier oben im Schloss zu behalten, denn morgens, wenn er von unten heraufkam, stank er wie ein alter Ziegenbock. So ergab es sich, dass Tommaso bei den beiden Küchenmädchen gleich hinter der Speisekammer einquartiert wurde. Hier stand ein riesiges altes Familienbett mit frischem Stroh, welches sie sich teilen mussten. Zu Hause hatten sie nur altes Stroh auf dem Boden der Schlafhöhle ausgebreitet und jeder suchte sich ein Eck zum Schlafen.

      Zu seiner Aufgabe gehörte es nun aufzupassen, dass niemand sich unbefugt in die Vorratskammer schlich, auch keine Ratten oder sonstiges Getier.

      Anfangs hatte er Probleme, wenn die beiden Küchenmädchen, Maria und Anna, sich spät abends nackt zu ihm legten und ihn am ganzen Körper streichelten. Zum Glück konnten sie in der Dunkelheit ja nicht sehen, wie seine Männlichkeit wuchs und sein Gesicht feuerrot erglühte. Ein paar Jahre später dann genoss er es, wenn die beiden sich darum stritten, welche er zuerst beglücken durfte. Das bescherte ihm so manche schlaflose Nacht, sodass er im Unterricht einnickte. Doch Emilio weckte ihn dann mit ein paar gezielten Rutenschlägen.

      Nicht nur vom Hauslehrer, auch vom Käser, vom Gärtner und sogar von der Köchin lernte er viel. In der Küche wollte er anfangs nicht so recht mithelfen, doch Cecilie ließ nicht locker. Sie bestand darauf, dass es auch als Mann nichts schade, wenn man kochen könne. Nach und