wollend.
Der Wind flüsterte. Blätter rauschten. Sonnenstrahlen drangen durch sie und trafen auf mein Gesicht. Ich wunderte mich darüber, hatte mich in meiner Kammer doch zuvor nie am Morgen der wärmende Kuss der Sonne liebkost. Erst jetzt begriff ich, dass ich nicht mehr in ihr war, und erinnerte mich wieder an alles. Schließlich fand ich die beiden Männer, die völlig überrascht von meinem seltsamen und übertriebenen Gebaren neben meiner Decke und meinem Kissen standen und mich anstarrten. Sie tauschten ratlose Blicke aus, nicht wissend, wie sie das Gesehene einordnen sollten. Der Moment zog sich unnatürlich in die Länge. Eine schwere Stille lastete auf uns, die ausgerechnet Rousel durchbrach und der unangenehmen und auch irgendwie peinlichen Situation ein Ende bereitete.
Der Kutscher presste die Lippen fest aufeinander, die in seinem struppigen Bart nur als schwarze Striche auszumachen waren, schnaubte und verdrehte die Augen. Er beugte sich hinunter, wobei ihm die zerzausten, schmuddeligen und kinnlangen Haare ins Gesicht fielen, und klaubte mein Schlafzeug zusammen. Kopfschüttelnd zog er davon und ließ mich mit de Forestier allein zurück. Dieser trat einen Schritt beiseite und vollführte eine Handbewegung, die mich nicht aufforderte, sondern einlud mitzugehen. Ich entspannte mich langsam und ließ den Stock ins Laub fallen, den ich umklammert hatte wie eine Rettungsleine. Ich erhob mich, richtete meinen Habit und nahm seine Einladung an, nicht ohne den Versuch, de Forestier eine Erklärung zu geben, als ich an ihm vorbeilief. Behutsam hielt er mich am Arm zurück und schüttelte den Kopf.
„Du musst dich nicht rechtfertigen, Michael. Es gibt stets gute Gründe, wieso sich ein Mensch so oder so verhält. Doch ich muss dir gestehen, dass ich davon begeistert bin, wie flink du bist“, sagte er augenzwinkernd. „Das dürfte sich in der Zukunft als nützlich erweisen.“ Tiefe Falten traten auf meine Stirn, als ich verwundert über seine Worte die Augenbrauen zusammenzog. Er hatte lediglich vier Sätze hervorgebracht, hatte mir Verständnis und Nachsicht angedeihen lassen, obgleich er oft vulgär war, nur um am Ende Neugierde und Verwirrung in mir zu erzeugen. War es seine Absicht gewesen, um mir meine Befangenheit zu nehmen, die sich an diesem Morgen auf mich gelegt hatte?
Ob er es nun geplant hatte oder nicht, es funktionierte. Die Verlegenheit war verschwunden. Ich sorgte mich nicht mehr, was er oder Rousel von mir hielten. In meinem Kopf war nur noch Platz für eines: die Frage, inwiefern meine Fähigkeit, mich flink zu bewegen, nützlich sein würde? Ich öffnete den Mund, um de Forestier dahingehend zu befragen, doch er schien zu wissen, was ich vorhatte, und würgte mich umgehend ab. „Folgen wir Rousel. Er hat lange genug auf uns gewartet und wird deswegen noch unausstehlicher sein als sonst. Außerdem drückt es auf sein Gemüt, dass ich ihn im Morgengrauen ausgeschickt habe, die Umgebung zu inspizieren. Kurz bevor er dich geweckt hat, ist er zurückgekehrt mit der freudigen Nachricht, dass die Pferde noch da sind, der Wagen ganz und die Straße frei ist von Wegelagerern, sodass wir unsere Reise getrost fortsetzen können“, erklärte er und fügte weitere ausschweifende Beschreibungen über Gesocks hinzu, dessen unerfreuliche Bekanntschaft er bereits des Öfteren nach dem morgendlichen Aufbruch gemacht hatte, wenn sich zuvor kein Späher umgesehen hatte.
Er sprach in einem fort, ohne Luft zu holen. Nicht einmal der Marsch durch den Wald, das Ducken unter Ästen hindurch und das Steigen über umgestürzte Bäume brachten ihn zum Pusten oder Schnaufen, während mir die Zunge aus dem Hals hing, ein Pfeifen aus meiner Brust drang und mir der Schweiß den Rücken hinunterlief. „Solche Spießgesellen sind äußerst nervig, weswegen ich dir eine solche Begegnung tunlichst ersparen möchte“, schloss er ab, als wir endlich an unserem Gefährt angekommen waren. „Geht es dir gut? Du siehst fiebrig aus“, merkte er an und nahm mich genau in Augenschein.
„Ich -“, schrie ich über das Rauschen meines Blutes hinweg, das mir laut in den Ohren dröhnte, „mir – geht – es – gut.“ Ich japste nach Luft und wischte mir die Stirn trocken.
„Mon dieu!“, hörte ich Rousels Stimme rufen. Kurz darauf tauchte er zwischen den Pferden auf. Er bedachte mich mit einem vernichtenden Blick und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Hey, Graf Kotz“, sagte er, „ob du es wohl schaffen wirst, die Gäule aus dem Wald zu führen, oder brauchst du erst ein Schaumbad, Quasten und Puder, um wieder zu Kräften zu kommen?“ Mein Kopf ruckte zurück, die Kinnlade fiel mir auf die Brust. Schockiert sah ich den Bischof an.
„Er ist auf mich sauer. Denke daran“, flüsterte dieser und schob mich in Richtung des Kutschers. Es war nett von ihm gemeint, aber ich konnte seinen Worten keinen Glauben schenken. Nichtsdestotrotz schluckte ich meinen Ärger hinunter und ignorierte meinen verletzten Stolz, der jammerte, dass nach dem verbalen Missbrauch im Kloster von Gourin weiterer in der vermeintlichen Freiheit stattfand. Ich wusste, ich konnte Paroli bieten. Ich war durchaus dazu in der Lage, hatte es bereits sowohl Rousel als auch einst Philippe bewiesen. Ich musste aber weiterhin meine Schlagfertigkeit üben, um nicht wieder in die Rolle des Opfers zu schlüpfen. Andernfalls würde ich diesen teuflischen Kreis niemals durchbrechen. Ich übernahm die Pferde, während ich Pläne schmiedete, wie ich mein Mundwerk besser in den Griff bekam, um unter den beiden Männern auch nur annähernd bestehen zu können.
Unsere kleine Karawane bestehend aus Tieren und Kutschwagen setzte sich in Bewegung und trat ächzend, knirschend, wiehernd und polternd aus dem Schutz des Waldes heraus. Jenseits der Bäume, Sträucher und Farne, die Schatten und Kühle gespendet hatten, herrschten ganz andere Temperaturen. Nur bruchstückhaft war der blaue Himmel durch das Blätterwerk zu sehen gewesen und die Sonnenstrahlen waren lediglich dünnen Fäden gleich in den Wald gefallen, die vom Tanz des Laubs gelegentlich unterbrochen wurden, wenn der Wind durch sie rauschte. Auf der Straße hatte sich das Verhältnis der Dinge gedreht. Während Sonne und blauer Himmel im Wald in der Minderheit gewesen waren, regierten sie davor die Welt. Und hatte der Wind darin noch vorgeherrscht, wehte außerhalb des Waldes keine angenehme Brise mehr. Die Luft stand förmlich und das, obgleich es noch früh am Morgen war. Der Tag würde heiß, stickig und unangenehm werden selbst für bretonische Verhältnisse. Das stand außer Frage.
Ich behielt diese Gedanken für mich und äußerte nicht meine Beschwerden. Ich ließ auch keinen Seufzer los, der ausdrückte, wie sehr ich unter der Wärme litt, auch wenn ich es liebend gern getan hätte. Manchmal geht es nicht anders. Dann muss man einfach seufzen, was ein Stück weit Erleichterung bringt. Doch so sehr ich es auch wollte, ich unterließ es. Zum einen lag es daran, dass ich ungern noch mehr tun wollte, das Rousel in seiner Meinung bestärkte, ich war ein adeliger, verzogener Bengel. Zum anderen saßen de Forestier und ich in der Kutsche, wo es schattig war und wir, müde von den hohen Temperaturen, dösen konnten. Rousel hingegen saß in seinen dunklen, verdreckten und geflickten Kleidern auf dem Kutschbock in der prallen Sonne und musste die ganze Zeit über wachsam sein, um den Wagen sicher zu lenken. Da konnte ich es wohl ertragen, meine Seufzer in mir zu behalten, oder nicht?
Dennoch war ich über die zahlreichen Pausen, die wir einlegten, froh. Noch mehr erfreute es mich festzustellen, dass wir dem Fluss, dem wir seit geraumer Zeit folgten und zu dem ich sehnsüchtig geblickt hatte, näher kamen. Seit ich zum ersten Mal das Glitzern auf der Wasseroberfläche und die Fische gesehen hatte, wie sie aus dem Wasser gesprungen waren, hatte ich mir gewünscht, es ihnen gleichzutun. Ich wollte auch in den Fluss springen, schwimmen und meine Geister wiederbeleben. Als Rousel schließlich den Wagen anhielt, konnte ich es kaum erwarten, aus ihm herauszukommen, musste jedoch warten, bis de Forestier ausgestiegen war. Immerhin war er der Bischof und der Vortritt gebührte ihm. Sobald er aber auf der Straße stand, gab es für mich kein Halten mehr. Natürlich stürmte ich nicht los, auch wenn mir danach war. Ich riss mich arg zusammen und ging gemäßigten Schrittes zum Flussufer. Dort angekommen hob ich den Saum meines Habits an und trat in das Wasser. Als es meine Knöchel und Waden umfloss, legte ich den Kopf zurück, lächelte und seufzte hörbar. Konnte es etwas Schöneres geben als das hier? Wohl kaum. „Herrlich, nicht wahr?“, ertönte de Forestiers Stimme neben mir.
Ich sah zu ihm hinüber. Auch er stand mit den Füßen im Fluss und genoss die Abkühlung. Ich nickte und grinste. Ich fragte mich, ob Rousel es uns gleichgetan hatte. Ich blickte mich nach ihm um und fand ihn einige Schritte von uns entfernt am Ufer stehen. Es hätte mich schockieren müssen zu sehen, wie er seine Kutte auszog, unter der er wie der Bischof keine Brouche trug, sondern nur Beinlinge, die er abwickelte und in das Gras fallen ließ. Doch es