Stefan Heidenreich

Im Netz der Gedanken


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dem Essen setzte ich Klaus vor seinem Büro ab und bekam das übliche ‚Wir telefonieren‘ mit auf den Weg.

      Nun war ich auch nicht viel schlauer als vorher, aber um einiges ärmer. Wenigstens hatte ich eine warme Mahlzeit zu mir genommen, was ja bekanntlich schon weiterhelfen soll.

      Meine Termine für den Rest des Tages sagte ich ab und begab mich mit den Aktenordnern und Präsentationsmappen der letzten Woche in mein Büro. Vorsichtshalber stapelte ich noch weitere Papiere dieser Art um mich, um für das Gespräch am Mittwoch gewappnet zu sein. Wenn ich keine Papiere mitbringen soll, so wollte ich alles im Kopf parat haben um nicht, wie ein totaler Blödmann dazustehen. Bis auf zwei Termine, die bereits schon letzte Woche anstanden und nicht mehr zu verschieben waren, legte ich für Dienstag keine weiteren fest, sondern studierte bis tief in die Nacht hinein, die Unterlagen so ausgiebig, dass ich meinte in der Lage zu sein, jedes Seminar selbst abhalten zu können.

      Mittwoch:

      5:30 Uhr klingelte der Wecker. Ich hatte genügend Zeit, um mich optisch herzurichten, als ginge ich zu einem Vorstellungsgespräch. Ich zog meinen mit Nadelstreifen durchsetzten blauen Anzug an, den ich tatsächlich einst anlässlich eines zu erwartenden Vorstellungsgesprächs erworben hatte. Für dieses Stück hatte ich seinerzeit stolze 395,--DM investieren müssen. Und dies waren nur 305,-- DM weniger als ich für mein damaliges Auto ausgab.

      Und ich war mir immer sicher, dass es nicht an meinem Anzug lag, wenn ich die Stelle, um die ich mich damals bewarb, nicht bekam. Nach meiner Überzeugung gehörte ich einfach nur der falschen Religion an.

      So saß ich also in der Küche am Tisch und betrachtete die darauf verteilten Ordner und Mappen. Es gab kein Blatt Papier darin, welches ich nicht mindestens dreimal gelesen hatte. Trotzdem öffnete ich die meisten Ordner noch einmal.

      Alle Unterlagen noch einmal quergelesen und darüber nachgedacht, was ich diesem Menschen wohl angetan haben könnte, und los ging es.

      Punkt 8:45 Uhr fand ich mich am Treffpunkt ein, rauchte eine Zigarette nach der anderen und wartete. Also, es stimmt: Pünktlichkeit ist eine Zier!

      Um zwei Minuten vor 9:00 Uhr erschien Doktor Birnbaum und begrüßte mich mit einem breiten Lächeln, als ob wir alte Freunde wären. Er trug wie immer einen maßgeschneiderten Anzug, ein hellblaues Hemd sowie eine dunkelblaue Krawatte. Alleine die Krawattennadel, die das Bild eines Managers perfekt abrundete, musste ein Vielfaches dessen gekostet haben, was ich für meine komplette Kleidung, inklusive meines guten Anzugs investiert hatte.

      Eine Bedienung kam herangespurtet, um uns zum Platz zu führen. Aber Birnbaum entschied sich für einen Tisch, der so weit von den anderen entfernt stand, dass mir die Bedienung bereits jetzt leidtat.

      Nach einem kurzen Blick in die Speise- und Getränkekarte bestellte ich mir nur einen Kaffee und Birnbaum das kleine Frühstücksmenü für sich. (Ich hoffte, dass diesmal jeder seine Rechnung selbst begleichen würde, denn für dieses Frühstück hätte ich fast Klaus zum Mittagessen einladen können.)

      Die freundliche Frau, die neben unserem Tisch stand, notierte alles auf einen kleinen Block.

      „Ich kann Ihnen auch unser Gourmetfrühstück empfehlen.“ Sie schlug die vor mir liegende Karte noch einmal auf und deutete auf eine Auflistung der erlesensten Speisen. „Der Preis versteht sich inklusive einem Glas Champagner.“ führte sie ergänzend aus.

      Ich lehnte es mit den Worten „Ich muss noch fahren, dann trinke ich niemals Alkohol.“ dankend ab. Auch Birnbaum meinte, dass ihm sein kleines Frühstück heute reichen würde.

      Nachdem sie uns endlich wieder verlassen hatte, begann Birnbaum zu reden.

      „Sie fragen sich sicherlich, warum ich Sie heute hierher bestellt habe?“ Sagte er und bevor ich auf diesen Satz reagieren konnte, fing er auch schon an eine Antwort zu formulieren.

      „Wissen Sie, es gab in unserem Gespräch neulich ein paar Sachen, die mich nachdenklich gemacht haben! Ihre Art über bestimmte Dinge zu denken ist sehr ungewöhnlich.“

      „Meinen Sie geschäftliche Dinge?“, ´fragte ich.

      „Nein.“ Erwiderte er kurz. „Es ist vielmehr Ihre ganz persönliche Einstellung zu Gott. Zu Fragen wie: Was ist da draußen? Was ist hinter dem, was wir sehen und verstehen können? Diese Dinge sind es die mich nachdenklich gemacht haben.“ Sein Gesicht war diesmal viel ernster und in seinen Augen erkannte ich, wie wichtig das Ganze ihm war.

      Insgeheim hoffte ich immer noch, dass unser Gespräch keine negativen Auswirkungen auf meine Zusammenarbeit mit dem Konzern haben würde.

      „Das heißt, ich und auch ein paar andere Menschen, denen ich von Ihnen erzählt habe, interessieren sich auch dafür. Und ich möchte Sie mit diesen Menschen bekannt machen.“

      „Andere Menschen?“ Ich muss völlig verwirrt ausgesehen haben, sodass er sofort eine Erklärung nachschob.

      „Es sind Leute, die sich ernsthaft und professionell mit diesen Dingen befassen. Die Dinge wissenschaftlich untersuchen. Ich könnte Sie mit Menschen zusammenbringen, die mit Ihnen zusammen Dimensionen betrachten, die Sie alleine aus verschiedenen Gründen kaum erreichen können.“

      Ich saß da und spürte, dass hier etwas ganz anderes ablief, als ich mir überhaupt vorstellen konnte. Ich war unfähig meinen Kaffee zu trinken. Hier konnte mir auch Klaus nicht helfen.

      „Was passiert, wenn ich diese Leute treffe?“ Fragte ich und die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.

      „Wenn diese Leute der Meinung sind, dass Sie in ihren Kreis gehören, dann würde sich vieles, wenn nicht sogar alles, für Sie ändern.“ Seine Stimme klang extrem ruhig und besonnen, während seine Augen sich tief in die meinen bohrten.

      „Wissen Sie, es sind Menschen, die nicht gerade auf Werbetafeln zu finden sind. Leute, die Sie weder in Zeitungen noch im Internet finden. Und wenn Sie dazugehören, dann müssten Sie in der Lage sein, alles was Sie erfahren für sich zu behalten. Ich habe Sie beobachtet. Ich habe gesehen, wie Sie Heuchlern und sogenannten Realisten gegenüberstehen. Das, was ich Ihnen anbiete, ist nichts was mit der Firma oder Ihrem bisherigen Leben zu tun hat. Sie würden keine Zeit mehr haben, sich um den Verkauf von irgendwelchen Produkten zu kümmern. Denn all das ist nebensächlich. Ich habe bereits unser Kommen angekündigt. Das heißt natürlich, Sie glauben tatsächlich an das, was Sie mir neulich Nacht im Hotel erzählt haben. Das ist, was ich Ihnen anbieten kann. Nun liegt es an Ihnen. Wir können aufstehen und einfach wieder dahin zurückgehen, wo wir hergekommen sind. Dann hätte dieses Gespräch nie stattgefunden. Ich greife zum Telefon und sage meinen Freunden ab. Oder wir fahren zu meinen Freunden und ich zeige Ihnen, was ich meine. Dann allerdings sind Sie mittendrin. Wissen Sie es gibt dabei kein kurzes ‚über den Zaun gucken‘. Es gibt nur ein Drinnen oder ein Draußen.“

      Er atmete noch einmal tief ein, um die Wirkung zu verstärken. Dann ging er zur Endphase über.

      „Also, was sagen Sie?“

      Ich rang nach Luft, hoffte die Bedienung zu sehen, um sie heranzuwinken. Ich bin inzwischen ein Mensch, der es verabscheut, wenn Menschen vormittags trinken. Aber in diesem Moment brauchte ich dringend einen Cognac.

      Es gibt absolut nichts, was mich mehr interessieren könnte, als meine Gedanken und Theorien mit jemandem zu teilen. Natürlich wollte ich diese Leute kennenlernen. Aber was meinte er mit ‚nicht nur kurz über den Zaun sehen. ‘; ‚Drinnen oder Draußen?‘

      Endlich kam die Bedienung. Eine freundliche junge Frau in sauberer Uniform, so wie sie bei den großen Fast Food–Ketten wie McDonald vorgeschrieben sind. An der Brust hatte sie ein Namensschild angesteckt, welches sie als Melanie auswies. Normalerweise hätte ich meine Blicke eher hinter dem Namensschild wiedergefunden, aber in diesem Augenblick las ich nur ihren Namen und hoffte, dass Melanie mir eine Antwort oder einen Rat geben konnte.

      Warum