Stefan Heidenreich

Im Netz der Gedanken


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Vollbart und Bauchansatz und Mr. Janson aus den Vereinigten Staaten, der mich stark an Sean Connery erinnerte. Allerdings hatte Mr. Janson noch seine Haare.

      Zu guter Letzt stellte sich der Präsident selbst als Reiner Schwarzenbeck, der Leiter des Projektes, vor und bat uns darum alle Platz zu nehmen. Ich saß zwischen Birnbaum und dem jungen weiblichen Mathematikgenie.

      „Nun mein Lieber“, begann er das Gespräch, während er die Hände vor sich wie zu einem Gebet faltete. „Sie fragen sich bestimmt, was wir hier tun und warum sie hier sind!“

      „Nun ja,“ begann ich vorsichtig „Herr Birnbaum sagte mir, dass Sie sich hier Gedanken über das Leben an sich machen.“

      „So ungefähr könnte man es formulieren“, erwiderte Schwarzenbeck. „Doch zuvor gestatten Sie uns noch ein paar Fragen. Schließlich wollen wir Sie etwas näher kennenlernen.“

      ―Also, doch ein Vorstellungsgespräch― dachte ich bei mir. ―Ein Glück, dass du den richtigen Anzug angezogen hast.― Ich legte meine Hände vor mir auf den Tisch und versuchte so interessiert wie möglich auszusehen.

      Schwarzenbeck gab mir zu verstehen, dass Birnbaum ihm schon viel von mir erzählt hatte, aber die anderen noch nicht so viel über mich wussten. Sie waren lediglich davon unterrichtet, dass ich ein selbstständiger Kaufmann sei, der in einer Geschäftsbeziehung zu dem Unternehmen steht, dem Birnbaum angehört. Nun wollte man sich aber ein genaueres Bild von mir und meinen Ansichten machen. (Wenn ich es nicht leid gewesen wäre, permanent Lebensläufe zu schreiben bzw. zu kopieren, dann hätte ich mich nicht selbstständig machen müssen.)

      Ich erwartete also die üblichen Fragen, die ich früher oft genug bei Einstellungsgesprächen beantworten musste und inzwischen selbst stelle, wenn ich auf der Suche nach einem neuen Mitarbeiter bin. Dieses kam zum Glück in den letzten Jahren nur sehr selten vor. Ich war stolz darauf, eine Crew zu haben, die inzwischen in der Lage völlig selbstständig zu arbeiten und mich z. B. in Urlaubszeiten eine Zeit lang zu vertreten.

      Und so saß ich da und erwartete mit Ungeduld die erste Frage.

      „Glauben Sie an Gott?“ Fragte ausgerechnet Frau Kerner die Ex–Theologin.

      Ich glaube, dass ich auf so ziemlich alle möglichen Fragen vorbereitet war, aber um hierauf zu antworten, brauchte ich einen kleinen Moment. Ich musste völlig umdenken und meine Worte mit Bedacht wählen. Alle sahen mich erwartungsvoll an.

      „Ich denke, dass wir das alle auf die eine oder andere Art tun.“ Erwiderte ich.

      „Darf ich also davon ausgehen, dass sie ein gläubiger Mensch sind?“ Wollte sie als Nächstes von mir wissen.

      Also versuchte ich ihr zu vermitteln, was ich unter Gott verstehe: „Wie gesagt, ich glaube, dass es etwas gibt, das sich mithilfe unserer Physik nicht mehr erklären lässt. Etwas, das über den Dingen steht. Allerdings personifiziere ich den Begriff Gott nicht so, wie es üblicherweise in unseren Kirchen gepredigt wird. Sie wissen schon. Alter Mann, weißer Bart und so.“

      Scholz, der bis dahin nicht einmal den Mund öffnete, sah mich aus seinen tiefen Augenhöhlen heraus an, und sprach dann so ruhig, dass ich Schwierigkeiten hatte, die Bewegungen seiner Lippen hinter seinem Bart zu erkennen. „Nein wissen wir nicht. Und genau darum sind wir hier. Um zu erfahren, aus welchem Blickwinkel man Gott noch sehen kann. Oder genauer gesagt, zu welchen Erkenntnissen Sie für sich gekommen sind.“

      Ich schaute mich genauso hilflos wie auch neugierig in der Runde um. Ich hatte den Eindruck, als ob sie alles viel genauer wissen wollten, als jeder andere, dem ich bisher versuchte meine Standpunkte zu diesem Thema klarzumachen.

      Ich begann also sehr zögerlich die Wissbegierde meines Gegenübers zu stillen und meine Ansichten in Worte zu fassen.

      „Na, im Allgemeinen ist es doch so, dass man, wenn man an Gott denkt, einen Menschen vor sich sieht, der etwas vom liebenswerten Großvater hat. Oder zumindest vom Weihnachtsmann, an dem man nur als Kind glaubt. Aber wo soll dieser Gott leben? Etwa im Himmel, so wie meine Oma es mir weismachen wollte?“

      Ich erzählte einfach drauf los. Wenn denen das, was ich sagte, nicht passte, dann könnten sie mich ja immer noch vor die Tür setzen.

      „Nein, daran kann ich irgendwie nicht glauben. Natürlich kenne ich das Gefühl, zu irgendetwas zu beten. Dies hat bestimmt jeder Mensch schon einmal getan. Allerdings bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass das was wir Gebet nennen, unsere Umwelt oder die Umstände die uns dazu führen direkt beeinflusst und sie sogar verändern kann. Nicht eine fremde Macht, sondern wir selbst sind es, die mit ihren Gedanken Einfluss auf die Ereignisse nehmen, für die wir beten. Ich weiß, dass dies für die meisten Menschen zu unglaubwürdig, zu abstrakt klingt. Denn wenn das so wäre, dann wären wir in der Lage, alles was wir sehen, hören und sogar das was wir ertasten können, direkt zu steuern und zu verändern. Also gehe ich auf meine Art schon mit der Theologie konform, die uns sagt, dass Gott in uns allen ist.“ Sagte ich so ruhig, wie ich es überhaupt vermochte.

      „Haben Sie schon mal gezielt versucht, dies zu tun? Bestimmte Ereignisse bewusst zu beeinflussen?“

      Diesmal kam die Frage von Birnbaum und ich wusste auf was er hinauswollte. Höchstwahrscheinlich hatte ich ihm am Abend im Hotel davon erzählt.

      „Sicherlich werden Sie mich für völlig durchgeknallt halten“, erwiderte ich, „aber es gibt Situationen, in denen ich mich für den Auslöser bestimmter Umstände halte. Alle meine Ver-wandten und Bekannten belächeln mich dafür, können mir aber keine plausible Erklärung dafür geben. Selbst diejenigen, die es schon selbst erlebt haben, erklären mir jedes Mal, dass dies reiner Zufall wäre. Wissen Sie, ich behaupte von mir, dass ich, wenn ich mit dem Auto irgendwo hinfahre, mir meinen Parkplatz dadurch sichere, dass ich einfach genügend viel Willenskraft aufbringe.“

      Da keiner meiner Zuhörer mit den Zähnen fletschte oder die Augen verdrehte, noch aufstand, um ein Taxi für mich zu rufen, fuhr ich einfach mit meiner Geschichte fort.

      „Ich besuchte z. B. mit meinem Freund Klaus ein Straßenfest am Kurfürstendamm. Klaus wollte bereits mehrere Querstraßen entfernt einen Parkplatz suchen, als ich ihm mitteilte, dass er bis zum Kurfürsten Damm fahren könne, weil dort bei unserem Eintreffen eine Parklücke frei werden würde. Klaus sah mich kurz skeptisch an, tat aber wie ihm geheißen. Es sah so aus, als ob bei unserem Eintreffen, der andere Autofahrer nur auf uns gewartet hatte, um seine Parklücke für uns zu räumen. Natürlich sprach Klaus von einem glücklichen Zufall. Als wir jedoch eine Woche später auf dem Parkplatz am Messegelände eintrafen, um dort eine Ausstellung zu besuchen, und sich die Situation wiederholte, wurde selbst Klaus nachdenklich. Denn schließlich teilte ich ihm nach unserer ersten Inforunde über den überfüllten Parkplatz mit, dass ich diesmal direkt vor dem Haupteingang parken würde. Es waren außer uns zu diesem Zeitpunkt noch ca. 30 weitere Fahrzeuge auf der Suche nach einem freien Platz. Unmittelbar bei unserem Eintreffen vor dem Haupteingang leuchteten bei dem vor uns stehenden Fahrzeug die Rückfahrscheinwerfer auf, und der Fahrer räumte, wie auf Kommando, den Parkplatz. Es gibt noch unzählige dieser Ereignisse.“ Beendete ich meine Parkplatzgeschichte, die im Übrigen auch von Klaus inzwischen gerne zum Besten gegeben wird.

      „Sie sind also davon überzeugt, dass man mit Willenskraft nicht nur Gedanken oder Materie beeinflussen kann, sondern auch beides gleichzeitig?“ Fragte jemand.

      „Ja! Genau das will ich damit sagen.“ Stimmte ich zu.

      „Wissen Sie, was ein Dejavue ist?“ Frau Kerner sah mich an, als ob sie mich mit dieser Frage in Verlegenheit bringen wollte.

      „Nun das, was ich darunter verstehe, ist das Gefühl oder besser die Gewissheit, eine momentane Situation schon einmal erlebt zu haben. Oftmals sind es nur kurze Augenblicke, in denen man genau weiß, was als Nächstes passiert. So ziemlich jeder Mensch, den ich kenne, hatte schon einmal Erlebnisse dieser Art. Aber niemand vermag dafür eine logische Erklärung abzugeben.