Stefan Heidenreich

Im Netz der Gedanken


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griff instinktiv in meine Tasche und holte meine Zigarettenschachtel heraus. Im letzten Moment hielt ich allerdings inne und lies sie wieder in meine Tasche zurück gleiten.

      „Wir wissen, dass Sie das, was hier passiert, noch nicht so recht verstehen“ sagte Schwarzenbeck. „Ich würde Ihnen gerne erlauben, sich jetzt eine Zigarette anzuzünden. Aber leider haben wir in der kompletten Anlage ein unwiderrufliches Rauchverbot.“

      Ich musste an den Lungenpieper denken, der uns vorhin in der Halle entgegen kam. Der arme Kerl sah genauso aus, wie jetzt wahrscheinlich auch ich.

      Ja ich könnte jetzt gut eine Zigarette rauchen. Oder einen Cognac trinken. Aber zum einen hatte ich heute schon einen Cognac und zum anderen wäre es nicht gut jetzt meine Übersicht zu verlieren.

      Ich muss ausgesehen haben wie ein Höhlenbewohner in Disney–World. Und um ehrlich zu sein, fühlte ich mich in diesem Augenblick auch so.

      „Wenn Sie möchten, dann kann ich sie ins Parkhaus bringen lassen.“ sagte Birnbaum. „Dort können Sie dann ein bisschen Ihre Lunge ruinieren. Wenn Sie dann so weit sind, lassen Sie es uns wissen, und wir reden weiter. Okay?“

      Ich nickte. Birnbaum verließ den Raum und kam mit einer jungen Frau zurück, die mich zum Fahrstuhl begleiten sollte, der mich wieder an die Oberfläche des Planeten bringen würde. (Ich sollte wirklich nicht so viele Science-Fiction-Filme sehen. Meine Wortwahl leidet bereits darunter.)

      Ich folgte der jungen Frau in einem kurzen Abstand und hatte Schwierigkeiten, mich zu entscheiden, ob ich mich mehr für die mit Hightech gefüllte Halle oder doch für die bemerkenswerte Rückansicht meiner Führerin interessieren sollte. Ich entschied mich für das Zweite.

      Wenn sich vorhin niemand für die kleine Szene interessierte, die ich mit Birnbaum veranstaltete, dann würde es auch niemanden interessieren, wenn ich meine Blicke auf diese herrlichen Rundungen richtete. Ich hätte an mir selbst ge-zweifelt, wenn ich es nicht getan hätte. Nicht zuletzt brauchte ich das Gefühl, immer noch ich selbst zu sein.

      Im Fahrstuhl fragte mich die junge Frau, die sich als Yvonne vorstellte, ob ich neu hier wäre. Ich brauchte einen Moment, um zu antworten. Schließlich war ich zu sehr in meine Gedanken vertieft, um ihre Frage zu hören. (Um welche Gedanken es sich handelte, möchte ich nicht näher beschreiben, denn diese waren nicht unbedingt jugendfrei.)

      „Bitte?“ Forderte ich sie auf ihre Frage zu wiederholen.

      „Ich fragte, ob Sie neu in der Gruppe sind“ sagte sie mit einem Lächeln, als ob sie genau wusste, aus welchen Träumen sie mich gerade gerissen hatte. Ich merkte, wie mir das Blut in den Kopf schoss. (Es gibt tatsächlich noch Situationen, in denen ich rot werde.)

      „Oh. Ich weiß nicht“ stotterte ich.

      „Sie wissen nicht?“ Fragte sie mit einem mitleidigen Lächeln.

      „Ich weiß nicht, ob ich überhaupt in der Gruppe bin. Aber Sie haben recht. Ich bin heute zum ersten Mal hier. Kennen Sie denn jeden, der dazugehört? Es scheinen mir unheimlich viele zu sein.“

      Sie lachte diesmal laut. „Da Sie offensichtlich nicht zum Führungsstab gehören, aber dennoch einen Anzug tragen, war es nicht schwer zu erraten.“

      Na klar entweder man trägt einen Armani – Anzug oder gar keinen. Und Anzüge tragen offensichtlich nur Leute wie Birnbaum, die zum Führungsstab gehören, aber sich trotzdem noch in der Welt da draußen bewegen und dort ihre Rolle zu spielen haben.

      Ich glaube in diesem Moment wurde mir klar, dass dort unten eine andere Welt existierte als oben. Dass diese Formulierung genau das beschrieb, worum es ging, sollte ich erst später erfahren.

      Endlich stoppte der Fahrstuhl und wir stiegen aus. Yvonne schaltete das Licht im Parkhaus an, während ich bereits die erste Camel aus der Schachtel fingerte und sie hastig zwischen meine Lippen schob.

      „Ich glaube die da unten sind ganz zufrieden, mich für ein paar Augenblicke losgeworden zu sein“ versuchte ich ein Gespräch zu beginnen.

      „Warum? Haben Sie etwas gesagt, was die verärgert haben könnte?“ bekam ich als Reaktion zu hören.

      „Ich weiß nicht. Aber sicherlich werden sie jetzt über mich reden. Was macht Ihr da unten eigentlich?“ Ich hoffte so endlich zu erfahren, was dort unten überhaupt vor sich ging.

      Yvonne wollte in dem Moment etwas sagen, als eine kleine Gruppe von Geschäftsleuten, die offensichtlich aus den oberen Etagen kamen, das Parkhaus betrat, um es mit ihren Autos zu verlassen. Das Licht ging aus und sie eilte erneut zum Schalter, um ihn zu betätigen. Als sie wieder bei mir stand, hingen meine Augen förmlich an ihren Lippen.

      „Heißt das etwa, Sie wissen nicht was wir hier tun?“

      „Nein, ich weiß es wirklich nicht“ erwiderte ich und hätte auf den Knien um eine Antwort flehen können.

      „Es tut mir leid,“ sagte sie „aber das darf Ihnen nur einer der Sechs aus dem Konferenzzimmer erklären.“

      Hastig drückte ich die inzwischen dritte Zigarette aus und bat sie, mich wieder zu ihnen zu bringen. Also machten wir uns wieder auf den Weg nach unten. (Wo haben die nur diese bemerkenswerten Handys her?)

      Kaum dort angekommen, teilte mir Schwarzenbeck mit, dass er sowie auch seine fünf Mitstreiter davon überzeugt war, mit mir eine passende Ergänzung für ihr Projekt gefunden zu haben. Wenn ich also bereit wäre mit ihnen zusammenzuarbeiten, dann würde er sich freuen mich an Bord Willkommen zu heißen.

      Selbstverständlich hätte ich noch Gelegenheit, meine persönlichen Vorbereitungen zu treffen, denn ich würde mich für eine unbestimmte Zeit fast ausschließlich in der Anlage aufhalten. Birnbaum fügte noch hinzu, dass er kein Problem darin sah, meine dadurch entstehenden beruflichen Einschränkungen für die Außenwelt darzustellen. Schließlich wäre es mehr als ein glücklicher Zufall, dass ich im weitesten Sinne für den Konzern arbeitete, in dem er eine bescheidene Rolle spiele.

      Bei der Umschreibung ‚bescheidene Rolle‘ mussten unweigerlich alle schmunzeln. Und auch ich konnte mich dem nicht entziehen.

      Ich hatte zwar immer noch keine Ahnung, was hier genau gespielt wurde, aber der Gedanke an die von Schwarzenbeck beschriebene Bibliothek alleine reichte aus, um die Waagschale meiner Entscheidung ein Stück in Richtung ‚Pro‘ zu beschweren.

      Trotzdem setzte ich mein kühlstes Pokerface auf und fragte tollkühn. „Wissen Sie, was Sie da von mir verlangen? Wissen Sie, welche Einbußen ich habe, wenn ich mich selbst für unbestimmte Zeit beurlaube? Gut meine Mitarbeiter haben in der Vergangenheit mehr als einmal bewiesen, dass sie in der Lage sind, den Laden über eine kurze Zeit hinweg alleine zu schmeißen. Aber auf unbestimmte Zeit?“

      Schwarzenbeck stand nun vor der Aufgabe, mich zu beruhigen, was er auch ganz gut hinbekam.

      „Sie können mir glauben, dass wir diese Überlegungen kennen und nicht die geringsten Schwierigkeiten haben, alles passend zu regeln. Und über Ihre eigene finanzielle Lage müssen Sie sich am wenigsten Gedanken machen. Hier haben Sie die einmalige Möglichkeit, Ihren persönlichsten Interessen nachzugehen. Und nebenbei würden sie für ihre Mitarbeit noch entlohnt werden, als ob sie gegen Mike Tyson im Ring stünden.“

      Nun, dasselbe Honorar wie ein Tyson-Gegner zu erhalten, ohne dafür zu Brei geschlagen zu werden, war bestimmt eine verlockende Herausforderung.

      Aber mal ehrlich, hätte ich in diesem Moment wirklich Nein sagen können, ohne mir gleichzeitig eine Mütze mit der Aufschrift

      ‚D O O F‘ über den Kopf zu ziehen?

      Dieses Angebot konnte ich wirklich nicht ausschlagen. Birnbaum hatte mir bereits vor Stunden klargemacht, dass ich mich nur einmal entscheiden könne. Ich hatte also keine andere Wahl.