Georg Linde

Suilenroc - Krieger des Lichts


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das? Er weiß nichts, nur wo sein Speer rein will. Von dir weiß er nichts. Bereite dich vor oder lass es. Bleibe die nächsten Nächte hier und erforsche deinen Körper, dafür ist dein Holzstab da. Und steck ihn einmal ganz tief in deine Spalte hinein, das tut zwar einmal weh und es blutet, doch dann wirst du mehr Freude beim ersten Mal mit deinem Tonreg haben.‘

      Als sie seinen Namen zu ersten Mal aussprach, fing ich wieder an zu beben und mein Herz sagte, sie hatte Recht.

      Danach war ich sechs Nächte im Zelt der Frauen und erforschte meinen Körper. Es war ein unglaubliches Erlebnis. Ich lernte in dieser Zeit Dinge über mich, die ich nie für möglich gehalten habe. Und das war nur der Anfang. In der siebten Nacht holte mich Tonreg in sein Zelt und es war...“ Sie stockte und unterbrach ihre eigene Geschichte.

      „Wer ist es?“, fragte sie.

      Ich schaute verlegen zu Boden und sagte kaum hörbar: „Suilenroc.“

      Grinsend nickte sie: „Ja, das wusste ich. Sehnst du dich nach ihm?“

      „Ich weiß es nicht. Es kribbelt, wenn ich ihn sehe. Mir wird warm. Es ist einfach anders als früher. Doch ich weiß, dass dort noch etwas Anderes ist. Ich spüre seine Unruhe, seine Suche, sein...“ Ich wusste nicht, wie ich es ihr beschreiben sollte.

      „Ich weiß, was du meinst, auch ich spüre da etwas in ihm, etwas...“, auch sie hielt kurz inne, fuhr dann aber fort, „er wird gehen, er wird das Dorf verlassen, doch er wird wiederkommen, ich weiß nur nicht wann. Kannst du so lange auf ihn warten?“

      „Ja!“, wollte ich herausschreien, doch es ging nicht, das Wort blieb mir im Hals stecken. So sehr ich mich auch bemühte, ich brachte es nicht heraus.

      „Ariana, du schöne Ariana, vielen Männern wirst du den Kopf verdrehen und viele werden dich haben wollen und du suchst dir gerade den aus, der selbst sucht. Ich kann dir die Entscheidung nicht abnehmen, ich kann dir nur den Rat geben, den mir meine Mutter damals gab. Gehe ins Zelt der Frauen und bereite dich vor. Erforsche deinen Körper und du wirst dir dann selbst die Antwort geben.“ Sie schaute mich sehr besorgt an.

      Und dann kam der Tag der Jagd, der Tag an dem Suilenroc zum Jäger und Mann werden würde. Ich stand auf unserem Berg, wartend mit all den anderen Frauen, und konnte alles genau beobachten. Als Flaro von dem Büffel angegriffen wurde, brach ich in Tränen aus und griff nach meinem Stab in meinem Kleid. „Danke Flaro, auch wenn du nicht wusstest, was du da geschnitzt hast, danke Flaro...“ Ich wollte mich gerade in Gedanken von ihm verabschieden, als ich sah, wie sich Suilenroc und der Büffel gegenüber standen. Die anderen rannten zu ihnen, doch plötzlich blieben sie stehen. So, als wenn Suilenroc ihnen einen Befehl erteilt hätte. Lange standen sich der Bulle und er gegenüber, es sah so aus, als wenn sie miteinander sprachen, dann näherte sich der Bulle Suilenroc und dieser tötete ihn mit seinem Speer.

      Ich verstand nicht, was ich da sah. Doch nun war ich mir sicher. Ich wusste, heute Nacht würde ich ihn wollen, ihn und keinen anderen.

      Als das Fest begann, hatte ich mich so einteilen lassen, dass ich ihm den Becher für das Büffelblut bringen konnte. Voller Freude gab ich ihm den Becher und berührte nur kurz seine Hand. Ein Kribbeln durchzog meinen Körper bis zu meinen Schenkeln. Doch sein leerer Blick traf mich und ich erschrak zutiefst.

      Ich ging zurück an meinen Platz und beobachtete ihn nervös. Ich bekam Angst, als ich sah, dass er das Blut nicht trank. Aliranas Gesang lag über dem ganzen Geschehen. Ihre wundervolle Stimme passte so gar nicht zu dem, was ich gerade sah. „Oder vielleicht gerade deshalb erst recht“, überlegte ich, als sie den letzten Ton sang und Suilenroc den Becher ansetzte und trank, so als ob er noch nie etwas Besseres getrunken hätte. Ich verstand ihn nun gar nicht mehr. Trotzdem fühlte ich mich immer stärker zu ihm hingezogen. Eine unerträgliche Spannung wuchs in mir.

      „Würde er mich auch wählen?“ Ich wusste es nicht.

      Das Ritual wurde fortgeführt, doch Suilenroc unterbrach es unerwarteter Weise. Er forderte das ganze Herz des Büffels, den er getötet hatte, für sich ein. Ich wusste genau, welches es war. Ich selbst hatte es dem Büffel heraus geschnitten. Ich brachte es ihm und er aß es, roh und ganz. Ich sah es und ich wusste, ich will diesen Mann heute Nacht, ganz und gar. Mein Verlangen nach ihm steigerte sich mehr und mehr.

      Das Ritual war nun beendet. Suilenroc war nun ein Mann und ein Jäger und er konnte sich eine Frau erwählen. Doch er tat es nicht. Während die anderen Jung-Männer um die Gunst der Jung-Frauen und ihrer Mütter buhlten, für viele war es eine größere Herausforderung, als die heutige Jagd und das anschließende Ritual, stand Suilenroc nur da und starrte abwechselnd ins Feuer, in den Nachthimmel und in die Ferne.

      Nachdem ich unzählige Männer genervt abgewimmelt hatte, ging ich zu ihm.

      „Sui, was ist los mit dir. Ich erkenne dich zwar an deinem Körper, aber sonst erkenne ich dich nicht wieder“, sagte ich vorsichtig zu ihm.

      „Mir geht es genauso“, sagte er nur kurz.

      „Sui, ich will dich, ich weiß, eigentlich müsste du mir das sagen, aber ich sehe, du kannst es gerade nicht. Ich will dich, es muss nicht jetzt sein, aber ich will dich“, flehte ich ihn immer wieder mit wachsendem Verlangen an. Die Worte schienen ihn aber nicht mehr zu erreichen.

      „Ich habe mit ihm gesprochen, ich habe sein Blut getrunken und sein Herz gegessen“, sagte er monoton und geistesabwesend.

      „Mit wem?“, fragte ich noch verwirrter als bisher.

      „Corrlad“, hauchte er.

      „Wer?“ Nun verstand ich gar nichts mehr.

      „Der Bulle, den ich getötet habe“, sagte er und fuhr fort: “Corrlad heißt er oder hieß er, so sagte er es mir. Er wollte, dass ich ihn töte und ich tat es. Nie wieder werde ich einen Büffel töten, nie wieder...“ Er schwieg nachdenklich für einen kurzen Augenblick.

      „Ariana, ich fühlte mich schon immer zu dir hingezogen. Und zwar von dem ersten Tag an, als du das Licht dieser Welt erblickt hast. Du, immer du, nur du und keine Andere und jetzt... Ich weiß es einfach nichts mehr.“ Wieder schwieg er. Der Trubel der Ritualfeier wurde immer lauter, doch wir beide bekamen davon nichts mehr mit. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Eiramsor uns sorgenvoll beobachtete.

      „Ich werde kein Zelt mit dir teilen, Ariana, so sehr ich es auch bis heute Morgen wünschte. Ich wollte dich fragen, wirklich, doch dann...“ Immer wieder geriet er ins Stocken. „Doch dann“, fuhr er endlich fort, „kam Corrlad. Ich verstehe es immer noch nicht... Ariana, ich werde das Lager verlassen.“

      „Ich komme mit dir!“, sagte ich sehr bestimmt, ohne nachzudenken.

      „Ich wusste, dass du das sagen würdest, doch es ist mein Weg. Ich werde wiederkommen, doch ich weiß nicht, wann.“ Wieder schwieg er und ich erinnerte mich an Eiramsors Worte.

      Beide starrten wir nebeneinander stehend ins Feuer. Ich nahm seine Hand, die kalt und feucht war, und sagte: „Ich weiß, du wirst gehen, alleine, du wirst lange Zeit fort sein... Ich werde auf dich...“ Ich konnte es nicht aussprechen. Würde ich wirklich auf ihn warten? Ich hatte Zweifel an meinen eigenen Worten. Wollte ich wirklich warten? Nein, ich wollte ihn, seine Haut berühren, seinen Körper spüren.

      „Ich will dich, auch wenn wir kein Zelt miteinander teilen werden, ich will dich heute Nacht!“, sagte ich zu ihm und schaute ihm dabei tief in die Augen. Ich musste mich dabei auf Zehenspitzen stellen. „So groß bist du geworden“, dachte ich still bei mir, „so groß und so weit weg.“

      „Komm, wir gehen zum Fluss. Du weißt, dort wo wir früher immer gebadet haben.“ Ich drückte seine Hand fester und zog ihn einfach mit mir.

      Fast niemand bemerkte uns, zu sehr waren alle mit sich beschäftigt. Nur drei Augenpaare beobachteten uns ganz genau. Während Eiramsor uns besorgt nachschaute, war Flodur sehr erstaunt. Anhoja hingegen kochte innerlich vor Wut, ich traf flüchtig ihren Blick und konnte es ganz genau spüren. Doch damals wusste ich nicht, warum - und ich wollte es auch nicht wissen.