Georg Linde

Suilenroc - Krieger des Lichts


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etwas zu Essen für ihn mit.

      Im Laufe der Zeit redeten wir sehr viel miteinander, ohne dass wir uns sahen, da die Grube so tief war. Wenn ich mich mal traute, vom Rand nach unten zu schauen, sah ich nur Dunkelheit.

      Er erzählte mir immer mehr von seinen Eltern und seinem Bruder, den er fast nie sah, und dass sie ihm sehr fehlten. Er erzählte, was er schon alles versucht hatte, um in das Zelt seiner Eltern zurückkehren zu dürfen und wie er jedes Mal scheiterte. Einmal erzählte er mir von seiner Geburt und wie sich seine Zwillingsschwester Aleyna bei der Geburt von ihm verabschiedet hatte. Ich hörte ihn leise weinen, als er mir davon erzählte. Auch ich war traurig, aber vielmehr dadurch, dass ich ihn nicht trösten konnte.

      „Ich habe das erst sehr wenigen Menschen erzählt“, gab er bedrückt zu, „und bis auf Eiramsor und Flaro glaubt mir niemand. Und du wohl auch nicht, so häufig wie du sonst immer lachst.“

      „Ach Sui“, so nannte ich ihn immer liebevoll, ich durfte das aber nur, wenn niemand zuhörte, „Ach Sui“, versuchte ich ihn aufzumuntern, „du weißt doch, wie gerne ich lache und jetzt freue ich mich nur. Ich freue mich, dass du so viel Vertrauen zu mir hast, dass du mir diese Geschichte erzählst. Und ja, ich glaube dir. Mir ging es genauso. Auch ich kann mich ganz genau an meine Geburt erinnern und wie mein Vater mich stolz der Sonne entgegenstreckte und an deinen Vater und...“, ich stockte, „... und an das erste Gesicht, das ich sah...“ Ich schluckte laut, doch Suilenroc hörte es nicht mehr.

      Suilenroc verbrachte viel Zeit in der Grube und schließlich es kam mir so vor, als ob er gerne dort unten war. Irgendwann kam auch Flaro mit mir an die Grube und wir drei wurden unzertrennliche Freunde.

      „Wäre es nicht auch mal schön, wenn wir zusammen hier draußen etwas unternehmen könnten?“, fragte ich eines Tages.

      Sulienrocs Stimme klang unsicher: „Äähhh...“ Mehr konnten wir nicht hören.

      „Ach komm, Ariana. Lass ihn doch da unten, da fühlt er sich doch am Wohlsten und wir brauchen dann auch nicht sein hässliches Gesicht sehen“, zwinkerte Flaro mir grinsend zu.

      „Meinst du?“, sagte ich genauso zwinkernd zu ihm, „na dann... Puh, ist das heiß heute, findest du nicht auch, Flaro?“

      „Jaaaaaa, sooo heiß“, erwiderte er laut und tat so, als wenn er sich den Schweiß von der Stirn wischte. „Ich glaube, ich gehe zum Fluss schwimmen. Kommst du mit, Ariana?“

      „Ich weiß nicht“, antwortete ich, „Suilenroc, kommst du auch... Ach ja, du kannst ja nicht. Du bist ja mal wieder in der Grube, weil es da unten ja soooooo schön ist.“

      Ich machte noch keine kurze Pause und sagte dann laut: „Ja, Flaro, ich komme mit. Mir ist auch sehr heiß. Bis Morgen, Suilenroc.“

      Ich hörte ihn noch leise fluchen.

      Es war das vorletzte Mal, dass er Zeit in der Grube verbrachte.

      Mit sieben Sommern kam ich in die Obhut der Frauen. Suilenroc und Flaro waren schon seit zwei Sommern bei den Männern und so verbrachten wir immer weniger Zeit zu dritt. Waren wir aber zusammen, so hatten wir immer noch sehr viel Spaß. Besonders Suilenroc genoss diese gemeinsame Zeit. Wir rannten durch das Lager, wir lachten und sprangen und überall wo man uns sah, freuten sich die Anderen mit uns.

      Gelegentlich war Suilenroc alleine. Manchmal konnte ich ihn dann beobachten, aber dann sah ich ihn nie lächeln.

      Flaro verbrachte viel Zeit bei den Frauen, da er so wunderbare Geschichten erzählen konnte und so geschickt mit seinen Händen war, obwohl er eigentlich bei den Männern untergebracht war. Seiner Mutter war das nicht so Recht, da sie wollte, dass er ein stolzer Jäger wie sein Vater werden sollte.

      Wir wuchsen heran und bald konnte ich nicht mehr verheimlichen, dass ich zur Frau wurde. Mit 12 Sommern begannen meine Brüste derart zu wachsen, dass ich sie in meinem weiten Kleid nicht mehr verstecken konnte. Auch bekam ich in diesem Sommer zum ersten Mal meine Blutung. Ich wusste, dass es irgendwann passieren würde, aber als es soweit war, hatte ich große Angst und mich überkam Scham. Ich krümmte mich vor Schmerzen. Einige ältere Frauen bemerkten, was mit mir vor sich ging und entbanden mich von meiner Arbeit. Sie brachten mich in das große Frauenzelt, wuschen mich und zeigten mir liebevoll, wie ich mir einen saugstarken Verband zwischen den Beinen anlegen konnte.

      „So, Ariana, du bist zwar noch ziemlich jung mit deinen zwölf Sommern, doch ab jetzt könntest du Kinder bekommen, wenn du bei einem Mann liegen würdest. Daher kann ich dir nur raten, lass dich noch nicht auf einen Mann ein, auch wenn er dir Geschenke und schöne Augen macht. Drei Sommer solltest du noch warten, dann darf dich ein Mann erwählen und du ihn. Heute Nacht werden wir dich und deine Weiblichkeit feiern“, sagte Eiramsor feierlich.

      Mit dem Empfang des neuen Kleids, das ich an diesem Tag bekam, endete auch meine Kindheit. In dieser Nacht fand ein Fest zu meinen Ehren statt, bei dem nur Frauen im großen Zelt anwesend waren. Selbst Flaro war nicht dabei, auch wenn er mittlerweile jeden Tag bei den Frauen verbrachte. Es wurde viel gelacht und auch getanzt und gesungen. In dieser Nacht gingen die Frauen nicht ihn ihre Familien-Zelte. Sie blieben dort und ich konnte immer wieder sehen, wie sich Frauen, einzeln oder zu zweit in die hinteren Bereiche des großen Zeltes zurück zogen. Doch zu meiner Verwunderung schliefen sie nicht, wie ich zunächst vermutete. Ich hörte immer wieder Geräusche, Flüstern und Lachen von dort.

      „Was ist Ariana?“, fragte Eiramsor interessiert. „Stimmt etwas nicht? Du siehst verwirrt aus.“

      „Was machen die Frauen dort hinten?“, wollte ich neugierig wissen. „Sie hören sich fast so an, wie wenn Vater bei Mutter liegt.“

      „Sie feiern ihre Weiblichkeit auf Ihre Art und Weise. Du wirst bald selbst sehen und spüren, was das bedeutet. Denn von nun an bekommst du anderen Unterricht. Du wirst langsam dich und deinen Körper besser kennenlernen. Hier, ich habe ein Geschenk für dich. Flaro hat es mit seinen geschickten Händen geschnitzt und mit wunderschönen Verzierungen versehen.“

      Sie überreichte mir feierlich ein kleines Lederbündel. Ich rollte es aus und hielt einen kurzen runden Holzstock in der Hand. Er sah fast aus wie das obere Stück eines Speeres, nur nicht so spitz, sondern abgerundet. Er war zwei Daumen dick und ungefähr doppelt so lang wie meine Hand. Einige Frauen lachten, als sie mich mit einem ahnungslosen Gesichtsausdruck und dem Holzstück in der Hand sahen.

      „Was ist das?“, fragte ich wieder verwirrt.

      „Das werde ich dir bald schon erklären, sobald deine Blutung aufgehört hat. Flaro weiß auch nicht, was es ist. Er denkt, wir brauchen es, um das Essen vorzubereiten. Sag ihm nicht, wofür es verwendet wird. Die meisten Männer wissen es nicht und das ist auch gut so. Es ist nur für uns Frauen.“ Sie zwinkerte mir wissend zu. „So, und nun leg dich schlafen, es war ein langer anstrengender Tag für dich und auch in den nächsten Tagen wirst du noch Bauchkrämpfe habe. Also schone dich. Von den Arbeiten bist du befreit, so lange du deine Blutung hast.“ Eiramsor drehte sich um und ging ebenfalls in den hinteren Bereich des Zeltes. Sie verschwand in der Dunkelheit und ich legte mich auf mein Lager. Es war die erste Nacht, die ich nicht bei meiner Familie verbrachte. Erst jetzt merkte ich, wie aufgewühlt ich durch das Ganze war. „Ich werde heute Nacht kein Auge zu machen“, dachte ich noch. Von überall her hörte ich leises Stöhnen. Doch wie immer dachte Eiramsor an Alles. Kaum hatte ich die ersten Schlucke von dem Tee getrunken, den sie mir zum Abschied gab, spürte ich eine starke Müdigkeit in mir.

      Ich dachte noch: „Ach Eiramsor...“ Und ich schlief tief und fest ein.

      In den nächsten Tagen ging es mir nicht gut. Immer wieder bekam ich starke Bauchkrämpfe und meine Blutungen waren so stark, dass ich mehrmals am Tag einen neuen Verband zwischen meinen Beinen brauchte. Ich war sehr gereizt und selbst Flaro und Suilenroc gingen mir aus dem Weg. So blieb ich die meiste Zeit im Frauenzelt.

      Nach sieben Tagen hörten die Blutungen genauso plötzlich auf, wie sie begannen. Und auch mein Lächeln kehrte zurück. Eiramsor bemerkte das und nahm mich zur Seite.

      „Ariana, heute erkläre ich dir, was es mit dem Holzstab auf sich hat. Hast du ihn bei dir?“,