Georg Linde

Suilenroc - Krieger des Lichts


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wenigstens diese Aufgabe hatte mir mein Vater übertragen. Und damit hatte ich auch die Führung für die werdenden Männer übernommen. In weiter Entfernung sah ich meinen Vater auf einem Felsen stehen. Heute konnte ich ihm zeigen, wer ich bin. Er hob seinen Speer und ich wusste, das war wiederum mein Zeichen.

      Ich senkte die Hand und gleichzeitig sprangen mit mir über 30 werdende Männer schreiend auf und rannten, so schnell sie konnten, auf die Herde zu.

      Die Tiere erschraken, doch es dauert ein wenig, bis sich diese massigen Tiere in Bewegung setzten. Zu nah durften wir der Herde nicht kommen, da sonst die Bullen die Weibchen und Kälber beschützen würden. Es war meine Aufgabe darauf zu achten, dass die Anderen nicht zu nah an die Herde kamen. Immer wieder schrie ich Befehle nach rechts und links und sie befolgten sie.

      So gelang es uns, eine Gruppe von ca. 100 Tieren von der Herde abzutrennen und in Richtung Jäger zu treiben. Ich war ganz in meinem Element, ich genoss die Jagd. Nicht mehr lange und dann durfte ich mein erstes eigenes Tier erlegen.

      Die Tiere rannten genau auf die großen Felsen am Berghang zu, hinter denen die Jäger warteten. Der Schrei des Habichts erklang – das vereinbarte Signal - und die erste Gruppe Jäger sprang auf und warf den Büffeln ihre Speere entgegen. Jeder Jäger hatte mindestens fünf Speere. Meist reichte ein Speer nicht aus, um einen Büffel zu töten. Auch wenn wir von der Büffeljagd lebten, so verehrten wir sie und sie sollten kein langes Leid erfahren und mussten schnell getötet werden.

      Schon mit dem ersten Speerhagel wurden 20 Tiere getötet oder verletzt. Die Herde brach nach links aus, in Richtung der zweiten Gruppe Jäger. Während diese ihre Speere warfen, machten sich die ersten Jäger daran, die verwundeten Tiere zu töten.

      Mit dem zweiten Speerhagel wurden noch mehr Büffel getroffen. Panisch liefen die verbliebenen Tiere kreuz und quer durch das Tal.

      Meine Zeit war nun gekommen, jetzt durften wir Jungen selbst ein Tier erlegen. Ich rannte los und suchte mir den größten noch verbliebenen Bullen aus. Ich wollte beweisen, dass ich, Suilenroc, der größte und beste Jungjäger war.

      Der Bulle, größer als ich selbst, brach nach rechts aus. Schneller als ich es für so ein massiges Tier für möglich gehalten hätte. Verwundert änderte auch ich meine Richtung und plötzlich erkannte ich den Grund für den Richtungswechsel. Er rannte auf Flaro zu, der zitternd mit seinem Speer in der Hand auf den riesigen Bullen starrte.

      Ich schrie aus Leibeskräften: „Wirf den Speer!“ Doch er hörte mich nicht. Mein Schrei ging im allgemeinen Jubel der Jäger und der nun näher kommenden Frauen unter.

      „Wirf!“, schrie ich erneut und unsere Blicke trafen sich noch ein letztes Mal, bevor der Bulle ihn an der linken Schulter erwischte und er durch die Luft gewirbelt wurde. Der Bulle rannte noch ein Stück weiter, blieb dann stehen und drehte sich langsam zu mir um. Wir bewegten uns beide nicht. Mein Blick wanderte hinüber zu Flaros leblosem Körper. Wut und Trauer vermischten sich in meinem Inneren. Flaro! Meine Wut wurde stärker und gewann die Oberhand. Ich spürte eine nahezu unendliche Kraft in mir. Es fühlte sich an, als ob mein ganzer Körper bebte, jedoch stand ich völlig bewegungslos da. So wie der Bulle.

      „Alle Augen sind auf uns gerichtet, nur du und ich“, hörte ich plötzlich eine Stimme in meinem Kopf. Ich erschrak und drehte meinen Kopf. Es war niemand zu sehen, der das hätte sagen können. Die anderen Jäger und Frauen waren zu weit weg. Ihre Blicke waren jedoch auf den Bullen und mich gerichtet. Der Freudenjubel brach abrupt ab.

      „Nur du und ich“, hörte ich wieder diese Stimme.

      Einige Jäger rannten auf uns zu.

      „Wenn sie näherkommen, werde ich ihn töten.“ Der Bulle bewegte nur kurz seinen Kopf Richtung Flaro. „Sag ihnen, sie sollen stehen bleiben.“ Der Bulle bewegte ein Bein Richtung Flaro.

      „Du?“, fragte ich ungläubig. „Du kannst sprechen?“

      „Sag ihnen, sie sollen stehen bleiben“, kam wieder als Antwort.

      „Halt!“, schrie ich ohne zu überlegen aus Leibeskräften. Ohne den Blick von dem Bullen abzuwenden, spürte ich, dass nicht alle stehen blieben.

      Abermals schrie ich „Halt“, mit noch lauterer Befehlsstimme. Die Männer blieben stehen.

      „Wieso kannst du sprechen?“, fragte ich erstaunt den Bullen.

      „Wieso kannst du sprechen?“, erwiderte der Bulle spöttisch.

      „Mein Volk hat es mir beigebracht“, antwortete ich stur.

      „Und mein Volk hat es mir beigebracht.“

      Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.

      „Warum tötet ihr uns?“, wollte der Bulle wissen

      „Wir brauchen euch, um zu leben“, erwiderte ich nach kurzem Zögern.

      „Wir brauchen euch nicht, um zu leben!“

      „Was willst du?“, fragte ich nun.

      „Verstehen und meine Familie retten“, antwortete er.

      „Deine Familie retten?“

      „Ja, solange wir hier stehen und uns die anderen beobachten, können sie sich in Sicherheit bringen“, antwortete er. „Ich weiß, dass ich dann sterben werde - du wirst mich töten -, aber ich werde nicht mit dir kämpfen“, erklärte er weiter.

      „Nein“, sagte ich stolz, „ich will einen fairen Kampf!“

      „Einen fairen Kampf?“ Der Bulle lachte, warf seinen Kopf nach hinten und gab einen markerschütternden Schrei von sich. Die anderen Jäger wichen beängstigt einen Schritt zurück.

      „War das vorhin ein fairer Kampf? Uns aus dem Hinterhalt überfallen?“ Der Bulle schnaubte.

      „Komm her und töte mich!“, brüllte er mich an. „Komm her und stoß deinen Speer in mein Herz.“

      „Nein!“, schrie ich entsetzt zurück, denn ich wollte einen richtigen Kampf.

      „Tu es oder ich töte den da. Noch lebt er und wird überleben, aber nur, wenn du mich tötest! Los! Mach schon!“ Der Bulle schnaubte ungeduldig.

      „Eines Tages wirst du verstehen, doch noch bist du zu jung, um dich zu erinnern.“

      „Ich begreife das nicht“, entgegnete ich ihm nun etwas verwirrt.

      „Sag ich doch. Nun lass es uns zu Ende bringen. Meine Zeit ist gekommen. Ich habe meine letzte Aufgabe gleich erfüllt.“

      Und fast schon liebevoll fügte er noch hinzu: “Bitte, tue mir diesen einen Gefallen. Ich möchte dir nicht mit dem Tod deines Freundes drohen. Viele Dinge stehen dir noch bevor, aber sei gewiss, Suilenroc, du wirst einmal genauso sterben wie ich.“

      Ganz langsam kam der Bulle auf mich zu. Ich stand immer noch wie versteinert. Flaros Stöhnen erlöste mich aus meiner Starre.

      „Woher kennst du meinen Namen?“, fragte ich verunsichert. „Und hast du auch einen Namen?“ Er antwortete nicht.

      Der Bulle stand nun eine Armeslänge von mir entfernt. Wir standen Auge in Auge. Ich spürte seinen heißen Atem und wusste plötzlich, dass ich es tun würde. Schweiß rann mir über den ganzen Körper.

      „Ja“, sagte ich zu ihm, „ich werde es tun und doch du wirst der letzte Büffel sein, den ich töte.“

      „Büffel? So nennt ihr uns?“ Es sah aus, als wenn er lächelte.

      Er drehte sich zur Seite und präsentierte mir einen großen zuckenden Muskel. Ich wusste sofort, dass dahinter sein Herz schlug. „Hier“, forderte er mich auf. „Ja, ich weiß“, antwortete ich traurig.

      „Suilenroc, wenn dein Herz eine Hand wäre, ist sie geschlossen oder geöffnet?“ fragte er noch.

      Ich hob meinen Speer, schloss die Augen, sah mein Herz als kräftige Faust und stieß mit voller Wucht in das Herz des Bullen.

      Er