Georg Linde

Suilenroc - Krieger des Lichts


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ich aus der Ferne immer wieder rufen. Doch ich wollte nicht aufwachen, zu spannend und schön war der Traum... Ein weißer Tiger, ich war schon ein Mann, dort war eine wunderschöne Frau und ... Bäume, nicht einer nicht zwei ... ganz viele Bäume, so viele, wie ich sie noch nie auf einmal gesehen habe und immer wieder dieses wunderschöne Gesicht vor mir und der weiße Tiger...

      „Nun wach schon endlich auf!“ Eiramsor goss mir Wasser ins Gesicht.

      „Was ist los?“, fragte ich.

      „Du hast geschrien und vor Hitze geglüht“, antwortete Eiramsor nicht ohne Sorge.

      „Mir geht es gut.“ Doch jetzt erst bemerkte ich, dass ich am ganzen Körper schweißgebadet und immer noch ganz heiß war. „Ich habe geträumt, von einer wunderschönen Frau und einem weißen Tiger und von ganz vielen großen Bäumen...!“

      Ich erzählte ihr alles und sie hörte ganz genau zu. Sie unterbrach mich nicht, nickte nur immer wieder und es störte sie auch nicht, wenn ich mich wiederholte. Ich kühlte wieder ab und hörte auf zu schwitzen. Zärtlich wie eine Mutter hielt sie mich in ihren Armen.

      „So, mein Kleiner, nun wird aber wieder geschlafen. Morgen bekommst du einen kleinen Bruder“, sagte sie ganz sanft und streichelte dabei mein Haar.

      „Woher weißt du das?“, konnte ich noch vor mich hin murmeln und schlief in ihren Armen ein.

      „Du musst dich mehr um deinen Sohn kümmern“, sagte Eiramsor noch kurz vor der Geburt zu meiner Mutter.

      „Das werde ich“, antwortete sie stur, „das werde ich!“

      Die Sonne stand schon tief, als Eiramsor in das Zelt meiner Eltern gerufen wurde. Ich durfte sie nicht begleiten und so wartete ich mit Flaro vor dem Zelt.

      Mittlerweile hatte sich fast der ganze Stamm dort versammelt und obwohl so viele Menschen anwesend waren, hörte man kaum ein Geräusch. Zu groß war die Angst angesichts der Erinnerung an meine Geburt.

      Es dauerte jedoch nicht lange und mein Vater kam aus dem Zelt. In seinen Händen hielt er meinen Bruder und streckte ihn stolz in die Höhe. „Mein Sohn, Suiram!“, rief er mit mächtiger Stimme in die Nacht. Tränen der Freude liefen ihm über die Wangen. Das Volk jubelte und es fand ein Freudenfest statt.

      Von diesem Tag an änderte sich sehr viel. Meine Mutter strahlte vor Glück und mein Vater redete und redete, wie er noch nie in seinem Leben geredet hatte.

      Ich dachte jetzt, da ich einen Bruder hatte und meine Eltern so glücklich waren, würden sie mich auch wieder in ihr Zelt holen. Denn schon zu lange hatte ich in Eiramsors Zelt geschlafen, zu oft lag ich in ihren Armen. Und doch sehnte ich mich so sehr nach der Liebe meiner Eltern.

      „Du wolltest dich doch mehr um deinen Sohn kümmern“, sagte Eiramsor, nicht ohne einen Vorwurf in ihrer Stimme, zwei Monde nach der Geburt zu meiner Mutter.

      „Und ich sagte, das werde ich“, antwortete diese, ohne ihren glücklich strahlenden Blick von meinem Bruder zu nehmen.

      Die Zeit verging und ich verbrachte keine Zeit mehr mit meiner Familie. Flaro wurde zu meinem Bruder und Eiramsor zu meiner Mutter.

      Einen Sommer später, es war mein siebter Sommer, kam ich zu den Männern, um einer von ihnen zu werden. Zu einem Jäger.

      „Bleib unten“, flüsterte ich zu Flaro. „Bleib bloß unten!“ Flaro zitterte vor Angst am ganzen Körper und er wäre am liebsten aufgestanden und weggelaufen.

      „Nein, bleib liegen, sie ziehen an uns vorbei“, sagte ich beruhigend zu ihm, doch die Angst wich nicht aus seinem Gesicht. Ich schlich mich näher zu ihm und hielt seine Hand.

      „Gut, dass uns niemand so sieht“, flüsterte ich ihm zu. Er schaute mich an und ich konnte ein dankbares Lächeln in seinem Gesicht sehen. Er blinzelte mir kurz zu und ich wusste, dass wir beide eins waren, Brüder und Freunde auf immer.

      Wir waren nun 17 Sommer alt und nur noch diese eine Jagd vom Mann-Sein entfernt.

      Nach dieser Jagd würden wir unsere Messer bekommen, unseren Lendenschurz aus dem von uns getöteten Büffel und unseren eigenen Speer.

      Nur noch diese Jagd.

      Viele Sommer wartete ich ungeduldig auf diesen einen Tag. Ich war schon vor zwei Sommern soweit, aber ich durfte noch nicht. Ich war noch zu jung, obwohl ich damals schon der beste und schnellste Junge war. Mein Vater ließ es nicht zu.

      „Warum darf ich noch kein Jäger werden?“, fragte ich ihn immer wieder flehend.

      Und immer wieder bekam ich die gleiche nichtssagende Antwort: „Noch nicht.“

      Also wartete ich. Ich wartete und wurde immer wütender. Ich brauchte meinen Vater nur zu sehen und ich wurde wütend.

      „Warum macht er das?“, schrie ich Eiramsor an. „Warum? Warum hasst er mich so?“

      „Er hasst dich nicht“, sagte Eiramsor beschwichtigend. “Er hat seine Gründe.“

      „Das sagst du jedes Mal. Warum nimmst du ihn nur in Schutz? Warum lebe ich nicht in seinem Zelt? Warum redet er nicht mit mir? Warum bildet er mich nicht als Jäger aus? Warum ist er nicht für mich da? Warum?“, fragte ich sie wütend.

      Sie kannte diese Fragen von mir, so oft hatte ich sie schon gestellt und nie konnte sie sie mir beantworten. Und so wurde die Wut zu einem ständigen Begleiter in meinem Leben.

      Flaro mochte die Jagd nicht, aber seine Mutter bestimmte, dass er Jäger wird.

      „Dein Vater war auch ein Jäger“, sagte sie zu ihm. „Und du wirst auch einer!“

      Flaro war schon immer ein kleiner schmächtiger Junge. Doch er hatte geschickte Hände, wie kein anderer in unserem Stamm. Er liebte es Körbe zu flechten, aus Holz Figuren zu schnitzen und, was seine Mutter besonders ärgerte, auf frisch aufgehängte Büffelfelle Bilder mit Kohle zu malen.

      Die kleinen Kinder liebten ihn dafür. Und immer wieder erzählte er ihnen abends am Lagerfeuer die spannendsten und schönsten Geschichten.

      „Woher kennst du diese ganzen Geschichten?“, fragte ich ihn einmal.

      „Ich habe den Geschichten der alten Frauen zugehört“, sagte er bescheiden. Ich konnte mich allerdings an solche Geschichten nicht erinnern.

      Er hatte eine wundervolle Stimme und je älter er wurde, desto melodischer wurde diese und bald schon saßen auch die Mütter der Kinder und sogar die Alten am Lagerfeuer, um seinen Geschichten zu lauschen.

      Die anderen Jungen in unserem Alter saßen an ihrem eigenen Lagerfeuer. Sie mochten seine fantastischen Geschichten nicht. Sie hatten ihre eigenen, von der Jagd, vom Fischfang, von Messern und Speeren.

      Ich liebte Flaro wie meinen eigenen Bruder. Ich war sehr gerne mit ihm zusammen. Obwohl wir so verschieden waren, waren wir zusammen doch eins. Und in einem unterschieden wir uns nicht, denn wir waren beide Außenseiter in unserem Stamm.

      Heute, heute würde sich zeigen, ob wir zu Jägern, ob wir in den Kreis der Männer aufgenommen würden. Heute würde sich zeigen, was wir wert sind.

      Flaro und ich hatten fast die ganze Nacht nicht geschlafen. Er vor Angst und ich vor erwartungsvoller Freude.

      Schon vor ein paar Nächten hatten die Späher berichtet, dass eine gewaltige Herde Büffel auf dem Weg zu unserem Berg sei.

      Und nun lagen wir hier in dem hohen Gras. Mein Vater wusste, dass ich gerne alleine jagte und trotzdem wollte er, dass Flaro mit mir geht. Und natürlich machte mich dies wieder wütend.

      „Leise“, flüsterte ich ihm zu und ließ seine Hand los.

      Der Wind stand günstig für uns, die Tiere konnten uns nicht riechen, was wahrscheinlich ohnehin nicht möglich gewesen wäre, da wir von oben bis unten mit Büffelfett eingerieben waren. Wir Jüngeren sollten einen Teil der Herde zu den Jägern treiben und danach durften wir dann selbst einzelne Tiere jagen, wobei wir darauf achten mussten, keine