Georg Linde

Suilenroc - Krieger des Lichts


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in meinem Kopf. Dann starb er leise.

      Hinter mir hörte ich mein Volk erleichtert und begeistert aufschreien. Bevor ich mich jedoch umdrehen konnte, verlor ich das Bewusstsein und fiel neben dem Bullen in den Staub.

      Als ich die Augen öffnete, war alles schwarz, nichts war zu sehen.

      Ich hörte wieder nur eine Stimme. Es war nicht die Stimme des Bullen. Es war eine Frauenstimme. Sie sang, aber ich konnte keine Worte erkennen. Nur diesen Klang. Eine Stimme, wie ich sie noch nie zuvor hörte. So voller... ja voller was? Mir fehlten die Worte. Nur Bilder kamen mir in den Sinn. Blumen, Sonne, Vögel, Wasser, Gras, Wolken und und und... Ich merkte, wie ich schwebte in dieser Dunkelheit. Ich breitete die Arme aus, lag auf dem Rücken und schwebte. Ich sah die Sterne und den Mond. Ich vertraute mich ganz dieser Dunkelheit an und fühlte mich einfach nur frei. Und diese Stimme begleitete mich. Plötzlich erkannte ich Worte in diesen Klängen: „Du musst gehen, du darfst nun deinem Herzen folgen, du bist der Krieger des Lichts, folge deinem Herzen, geh fort um wiederzukommen, lass alles hinter dir, um zurückzukehren, alles ist in dir, alles ist ... alles ...“ Und wieder waren nur doch diese wunderbaren unbeschreiblich schönen Klänge zu hören.

      „Ach, wenn nur Flaro hier wäre“, dachte ich und lächelte in mich hinein.

      „Wach auf, wach auf...“, hörte ich es dumpf aus der Ferne rufen.

      „Das kenne ich doch“, dachte ich noch kurz, bevor ich schon wieder Wasser in meinem Gesicht spürte und zu mir kam.

      Breit grinsend und zufrieden schaute mich Eiramsor an.

      „Ich habe es euch doch gesagt, der erste Büffel haut selbst den stärksten Krieger um“, sagte sie erleichtert zu den um uns herumstehenden Jägern und Frauen. „Und jetzt gafft nicht so blöd, es gibt genug zu tun. Über 50 Büffel müssen noch zerlegt werden.“

      Die meisten Jäger und Frauen drehten sich um und gingen vergnügt redend und lachend zu den erlegten Büffeln. Ich sah noch kurz das ebenfalls erleichterte Gesicht meines Vaters, bevor auch er eilig ging.

      „Ich habe mit ihm geredet“, stieß ich aufgeregt hervor. „Eiramsor, er hat gesprochen.“

      „Wer?“, fragte sie gelassen.

      „Na der Bulle, ich habe mit ihm gesprochen. Wirklich, er wollte ...“, überschlug sich meine Stimme fast schon. Zu ungläubig und beeindruckt war ich wegen dem, was ich erlebte. Was passierte hier? Ich konnte es nicht verstehen. Und Eiramsor verhielt sich sehr merkwürdig, so, als ob sie wusste, was ich ihr berichten wollte. Alles in mir bebte.

      „Nicht jetzt“, sagte sie beschwichtigend, „nicht jetzt, es hören noch zu viele zu - und nicht alle können und wollen verstehen... Außerdem habe ich da noch einen Verletzten.“

      Und plötzlich fiel es mir wieder ein: „Wie geht es Flaro? Wird er überleben?“

      „Aber natürlich“, sagte sie wissend. „Flaro ist zwar klein und schmächtig, aber gerade das hat ihm wohl das Leben gerettet. Er hat sich die Schulter ausgekugelt und zwei oder drei Rippen gebrochen. Er hat schon nach dir gefragt. Und den Kindern erzählt er auch schon wieder wilde Geschichten. Also, los! Ich lass dich jetzt zu unserem Zelt bringen. Erst heute Abend wirst du zum Jäger und Mann geweiht und hast Anspruch auf ein eigenes Zelt, aber bis dahin wirst du noch ein paar leckere Kräutertees trinken müssen.“

      „Ich kann selbst laufen“, sagte ich empört, stand auf und brach direkt wieder zusammen.

      „So, so“, grinste sie und winkte den zwei Männern mit einer Trage, die bereits auf ihr Signal warteten. Sie legten mich darauf und trugen mich zurück ins Lager. Ich warf noch einen letzten Blick auf den Bullen. Gerne hätte ich noch seinen Namen erfahren... Meine Gedanken verloren sich in der Jagd.

      Als ich im Zelt ankam, lag Flaro schon dort. Er konnte schon wieder lachen.

      „Na, da bist du ja endlich. Hat mich ganz schön erwischt der Bulle. Kann froh sein, dass ich noch lebe“, witzelte er.

      „Er wollte dich nicht töten, er wollte zu mir“, antwortete ich müde.

      „Was?“, fragte er verwirrt.

      „Ich habe mit ihm gesprochen.“ Und dann erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Ich erwähnte jedoch nicht, dass er mich Krieger des Lichts genannt hatte. Ich konnte es ja selbst nicht verstehen.

      Flaro starre mich die ganze Zeit ungläubig mit offenem Mund an.

      „Und dann sagen die, dass ich tolle Geschichten erzähle“, feixte er ungläubig, als ich fertig war. „Du bist wahrlich der bessere Geschichtenerzähler. Also, wann gehst du?“

      „Was?“, fragte ich meinerseits nun verwirrt.

      „Na, wann du gehst? Du gehst doch, oder? Die Stimme hat doch gesagt, dass du gehen sollst“, erklärte er.

      Ich hatte mir darüber wirklich noch keine Gedanken gemacht. Zu verwirrend war das alles für mich. Der Bulle, der mit mir sprach, die Stimme, ....

      „Weiß ich nicht“, entgegnete ich ihm genervt, „heute Nacht ist erstmal unsere Weihe, falls es Eiramsor schafft, mich mit ihren Kräutern wieder auf die Beine zu bringen...“

      „Und ob sie das schafft“, sagte Eiramsor amüsiert, als sie in diesem Moment das Zelt betrat. „Aber bis dahin ist noch ein wenig Zeit. Auf Flaro wirst du heute Abend verzichten müssen. Der darf noch nicht aufstehen.“

      Flaro wollte widersprechen, doch den Blick, den Eiramsor ihm zuwarf, kannte er nur zu gut und er schloss direkt wieder seinen Mund und grinste.

      „Hier, Suilenroc, Jäger und Mann, trink das hier.“ Sie gab mir einen kleinen Becher mit einer braunen Flüssigkeit. Da ich wusste, wie ihre Medizin für gewöhnlich schmeckt, trank ich sie zügig. Überrascht musste ich feststellen, dass dieses Getränk wunderbar schmeckte und noch bevor ich den Becher absetzen konnte, schlief ich ein.

      Es war schon tiefe Nacht, als mich Eiramsor weckte.

      „Ohne Wasser?“, fragte ich verwundert.

      „Natürlich, Suilenroc, Jäger und Mann. Du bist doch jetzt kein Junge mehr. Komm, es ist soweit, die Weihe beginnt gleich“, sagte sie. So vertraut war mir ihr Anblick, doch heute konnte ich ihren Blick nicht deuten. Die Lachfalten um ihre Augen waren bei diesem Licht kaum zu sehen. Sie schaute ernst und doch freundlich, streng und doch weich. „Nun geh, mein Sohn, und zeige dich, du bist heute wahrlich zum Mann geworden.“

      Ich trat aus dem Zelt und schaute zum Himmel. Dort sah ich wieder die große silberne Scheibe. Genau wie bei meiner Geburt stand der Mond auch heute, während meiner Weihe zum Jäger und Mann, am Himmelszelt. Noch heute Morgen hatte ich mir nichts sehnlicher gewünscht als diesen Schritt zu gehen, doch jetzt ... Mir kam alles so unwirklich vor, so weit weg...

      Ich ging zum großen Platz in unserem Lager. Hier traf sich unser Volk zu allen wichtigen Anlässen. Er war rund und groß genug für alle. Auf der rechten Seite die Männer, auf der linken die Frauen. In der Mitte ein großes Feuer. Alle waren schon dort versammelt und unterhielten sich in gedämpfter Lautstärke. Mein Vater war im Halbkreis umringt von den Ältesten und um sie herum saßen wiederum im Halbkreis die anderen Jäger. Jeder hatte seinen angemessenen Platz, je nach Alter, Tapferkeit, Abstammung und Taten, die er vollbracht hatte. Dahinter befanden sich die Männer, die keine Jäger waren. Auch sie waren für unser Stammesleben unabkömmlich, doch sie nahmen nicht den angesehenen Stand eines Jägers ein.

      Auf der gegenüberliegenden Seite dieser Versammlung bildeten die Frauen ihrerseits einen Halbkreis, der den der Männer ergänzte. Dort saß meine Mutter, im Halbkreis umringt von den Ältesten. Direkt neben ihr war Eiramsor und auf ihrem Schoß schlief mein Bruder Suiram, das einzige Kind, das auf dem Platz zu sehen war. Bei diesem Anblick durchzuckte mich ein stechender Schmerz. Mein Bruder Suiram, ich liebte ihn, obwohl ich ihn wenig kannte, war nun zehn Sommer alt. Er hatte das, was ich nie hatte...

      Meine Mutter konnte ihn kaum von sich lassen. Sie hielt sich immer in seiner Nähe auf und passte auf, dass ihm nichts geschah. Sie war immer