Mark Lanvall

Lichtsturm


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Genuss zusehen, wie eure erbärmliche Lebenskraft dahinwelkt und ihr im Staub jämmerlich verreckt, so wie es alle Menschlinge eher früher als später tun.“

      Kellen sah dem Alben an, dass es nicht gut war, ihn weiter zu reizen. Es kostete ihn alle Mühe, seinen Zorn im Zaum zu halten. Und der Kerl hatte ganz offenbar noch nicht alle giftigen Pfeile verschossen.

      „Ihr habt hier nichts verloren, Menschlinge. Nicht in Galandwyn, nicht in Jolywan und ganz gewiss nicht an diesem Ort. Es gibt dunkle Kammern, tief unter dieser Burg, die mehr als angemessen sind für euch. Dort werdet ihr warten, bis Geysbin euch die Gnade gewährt, zu euch zu sprechen.“

      Wieder schnaubte der Albe verächtlich. Dann sah er Kellen herausfordernd an.

      „Warum, glaubt ihr, seid ihr hier? Ist es, weil wir ein gastfreundliches Volk sind, das stets selbst die Niedersten bei sich aufnimmt, verköstigt und wie Ihresgleichen behandelt? Oder redet ihr euch ein, wir tun es aus Berechnung, um eure Freundschaft und eure Unterstützung zu gewinnen?“

      Er schüttelte den Kopf. „Wie abgrundtief dumm ihr seid. Niemand braucht eure Hilfe. Ihr seid für uns so nutzlos wie Würmer.“ Er rümpfte die Nase, als hätte er etwas besonders Unangenehmes gerochen.

      Der vernünftige Teil in Kellen sagte ihm, dass es besser war, weiter stillzuhalten und zu schweigen. Der andere allerdings, der für Dinge wie Stolz und Selbstachtung zuständig war, hatte seine Grenzen. Der Häuptling spürte heißen Zorn.

      „Töte uns, wenn du willst, du gottgleiches Geschöpf. Und wenn du feige genug bist. Niemand hat euch gebeten, uns hier herzubringen.“

      Der Albe lachte.

      „Ihr wärt tot, hätten wir es nicht getan.“

      „Ein Kelte stirbt im Kampf und steigt dafür ins Reich der Götter auf. Ich kann mir Schlimmeres vorstellen.“

      Kellen glaubte selbst nicht, was er da sagte. Es war einer der Sprüche, mit denen sich einfältige Krieger Mut machten, bevor es in eine Schlacht ging. Er hatte das immer gehasst, weil es keinen Sinn machte. Warum sollte es jemandem nach dem Tod besser gehen, nur, weil er sich von einem anderen einfältigen Krieger den Kopf hatte abschlagen lassen? Die Familien der Krieger tröstete dieser Gedanke jedenfalls nicht. Sie mussten von da an ihre Felder alleine bestellen und verloren sie oft genug, weil sie es nicht schafften.

      Den Alben aber schien dieser Unsinn zu beeindrucken.

      „Sieh an, ein furchtloser Menschling. Und ein undankbarer Menschling. Aber du hast natürlich schon wieder recht: Der Gedanke, dass es Schlimmeres als den Tod gibt, hat tatsächlich etwas für sich.“

      Mit einer blitzschnellen Bewegung riss er Kellen die Beine weg und versetzte ihm einen schmerzhaften Hieb in die Magengrube. Dem Häuptling blieb einem Moment lang der Atem weg. Keuchend versuchte er wieder hochzukommen, aber schon traf ihn ein heftiger Tritt an der Stirn. Unfähig, auch nur irgendein Körperteil zu bewegen, kippte er rücklings in Gras.

      „Anwindar, ischa´nar hewei!“

      Larinil? Das war ihre Stimme. Diesmal nicht schön und melodiös, sondern hart und scharf wie ein Schwert.

      Mit viel Mühe hob Kellen den Kopf. Tatsächlich! Die Albin stand ein paar Schritte entfernt auf der Lichtung und funkelte den anderen Alben zornig an. Sofort ließ der von Kellen ab und ging auf Larinil zu. Seine Hände öffneten sich - eine bittende Geste. Er sagte etwas auf Albisch. Es klang nun sanft und friedfertig. Larinils Stimme aber blieb tadelnd. Wieder entgegnete der Albe etwas, diesmal lag Trotz in seiner Stimme. Energisch schnitt ihm die Albin das Wort ab. Die Diskussion war damit unmissverständlich beendet. Der Blonde senkte kurz den Kopf. Dann packte er Kellen unsanft an den Armen und stellte ihn zurück auf die Beine. Dem Häuptling war noch schwindelig und die Stirn tat weh. Kellen spürte die Wölbung einer Beule. Aber immerhin blutete er nicht. Der blonde Albe hatte ihn nicht schwer verletzt - dafür aber klar gemacht, wozu er fähig war.

      Larinil beugte sich zu Domhnall hinab und legte ihm die Hand auf die Brust. Nur kurz, denn gleich darauf fegte sie der Krieger mit einer ruppigen Bewegung beiseite und rappelte sich stöhnend auf. „Bleibt bloß weg von mir“, schimpfte er. Larinil stutzte und sah ihn mit einem überraschten Gesichtsausdruck an.

      Dann wandte sie sich Kellen zu.

      „Wir bringen euch zurück in den Wohntrakt.“ Ein Lächeln. „Ich denke, für heute haben wir alle genug erlebt.“

      Zwei Tage waren vergangen und Kellen war guter Dinge. Er hatte das Gefühl von Klarheit. Es war nicht so, dass all die bohrenden Fragen, die er hatte, beantwortet waren. Aber da war jetzt Ordnung in seinem Verstand, wo vorher ein Durcheinander tobte. Er fühlte sich wie ein Schmied, der seine Arbeitsstätte aufgeräumt hatte, und nun endlich mit der Arbeit anfangen konnte, weil er wusste, wo sich seine Werkzeuge befanden.

      Zwei Tage, die Larinil erbeten hatte. Es war eine Art Waffenstillstand, eine Zeit, in der all das, was zwischen ihnen stand, vergessen werden sollte.

      In jener Nacht hatten ihn Larinils hellblaue Augen flehend angeblickt.

      „Deine ungeduldige Neugier macht mir Sorgen, Kellen. Ebenso wie das tiefe Misstrauen Domhnalls und der unstillbare Zorn Anwindars.“ Kellens Herz hatte schneller geschlagen, als sie den Kopf zur Seite geneigt hatte. „Es sind große Hindernisse auf einem Weg, der Zeit braucht.“

      Zwei Tage. Das war keine große Bitte. Sogar Domhnall willigte murrend ein. Er hatte damit gerechnet, bestraft, verjagt oder sogar getötet zu werden. Dass Larinil nichts dergleichen tat, war verwirrend für ihn.

      „Und was ist mit dem blonden, dürren Alb? Wird auch er uns in Ruhe lassen?“, hatte der Krieger wissen wollen.

      „Ja. Anwindar ist meinem Wunsch verpflichtet.“

      „Das fällt mir schwer, zu glauben. In seinen Augen lodert Hass. Er will uns töten.“

      Larinil hatte genickt.

      „Ja. Und doch kam der Pfeil, der Kellen am Bachufer rettete, von seinem Bogen. Er schoss ihn ab, weil es seine Aufgabe war. Aus dem gleichen Grund wird er euch am Leben lassen.“

      Jetzt, zwei Tage später, fasste sich Kellen an die Stirn. Die Beule war nicht mehr zu spüren. Der Häuptling war dankbar, dass er Anwindar, dem zornigen Alb, seitdem nicht mehr begegnet war.

      „Ich kann warten und voller Genuss zusehen, wie eure erbärmliche Lebenskraft dahinwelkt und ihr im Staub jämmerlich verreckt, so wie es alle Menschlinge eher früher als später tun.“

      Bei den Göttern! Glaubte dieser Alb unsterblich zu sein? Kellen hatte kein Bedürfnis, das mit ihm weiter zu besprechen. Und er war dankbar dafür, dass ihnen die übrigen Alben mit mehr Respekt begegneten. Sie waren zurückhaltend, aber sie grüßten höflich, wenn man ihnen über den Weg lief. Einer hatte sich sogar zu so etwas wie einem Gespräch verleiten lassen. Es war ein junger Kerl, mit krausen, schwarzen Haaren und einer für Alben ungewöhnlich dicken Nase. Er zog auf einem Karren einen großen, schwarzen, hölzernen Zylinder hinter sich her. Das Gebilde hatte an den Seiten unzählige fingerdicke Löcher. Die Last war sehr schwer - ganz offensichtlich sogar für einen Alben. Kellen bot ihm seine Hilfe an.

      Der Albe kicherte. „Das ist sehr höflich von dir. Aber ich schaffe das schon, wenn ich es mir genau überlege.“ Kellen nickte und kratzte sich dann betont ratlos am Kinn. „Das ist ein Stützpfeiler, richtig? Ich vermute, dass du ein sehr großes Haus bauen möchtest.“

      Der Albe lachte laut heraus und hielt sich den Bauch. „Nein, das ist doch kein Stützpfeiler!“ Dann beugte er sich zu Kellen vor, sah einmal kurz nach links und nach rechts und sagte mit leiser Stimme: „Das ist eine neue Waffe.“ Stolz schwang in seinen Worten mit. „Eine, mit der wir die Angriffe aus der Luft nicht mehr fürchten müssen.“ Er runzelte die Stirn. „Aber mehr kann ich dir nicht sagen, wenn ich es mir genau überlege. Trotzdem danke für das Angebot.“ Und schon setzte er seine mühevolle Fahrt in Richtung Verteidigungstrakt fort.

      Kellen hatte die zwei Tage genutzt, um sich ein Bild von diesem seltsamen Volk zu machen. Zumindest hatte