Mark Lanvall

Lichtsturm


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es.“

      Kellen verschränkte die Arme. Ihm war nicht wohl bei der Sache. Zugegeben: Ihn interessierte auch, ob sich im Wald etwas verbarg. Aber letztlich war es allein Sache der Alben, was sie da taten. Er konnte genauso gut Larinil bei nächster Gelegenheit danach fragen, anstatt nachts hier draußen herumzuschleichen.

      Für Domhnall war die Lage natürlich anders. Einfach nachfragen - das war für ihn keine echte Möglichkeit. Sein Misstrauen gegen das Albenvolk war groß. Der Häuptling hatte keine Wahl.

      „Also los. Dann lass uns nachsehen. Damit du wenigstens den Rest der Nacht ruhig schlafen kannst.“

      Domhnall schüttelte den Kopf. „Nicht in diesen Wolkenbetten. Bei Teutatis, ich bin ein Krieger, keine verwöhnte Fürstentochter.“

      Trotz der Finsternis kamen sie gut voran. Ein kleiner Pfad führte in das Wäldchen hinein. Domhnall war davon überzeugt, dass dies der Weg war, den die Alben genommen hatten. Je tiefer sie vordrangen, desto dichter standen die Nadelbäume. Kellen stolperte über eine Wurzel und wäre beinahe der Länge nach hingefallen.

      „Du hattest recht, Domhnall. Dieser Wald ist heimtückisch.“

      Der Krieger brummte missmutig - offenbar weniger wegen Kellens Bemerkung, sondern eher deshalb, weil von dem Pfad nun nichts Erkennbares mehr übrig geblieben war. Fluchend schob er einen dicht bewachsenen Kiefernadelast beiseite. Weiter und weiter kämpften sie sich durch das Dickicht, bis sie nach einer Weile die steil emporschießende, schwarze Felswand erreichten, die ihnen brutal den Weg abschnitt.

      „Hier endet unsere nächtliche Wanderung, Domhnall.“ Kellen war beinahe etwas erleichtert. „Aber wir haben immerhin etwas herausgefunden.“

      Der Krieger sah ihn fragend an. „Was?“

      „Dass die Alben gerne im Wald spazieren gehen. Ich bin sicher, dass es hier sehr schön ist - bei Tageslicht.“

      Kellen war davon überzeugt, dass Domhnalls Blick tödlich gewesen wäre, wenn er sein Gesicht nur hätte erkennen können. Trotzig untersuchte der Krieger eine Weile lang die Felswand - wohl in der Hoffnung, eine Höhle oder einen geheimen Eingang zu finden. Aber da war nichts.

      Schließlich gab auch er sich geschlagen. „Was auch immer die Alben im Wald gesucht haben: Hier ist es jedenfalls nicht.“

      Der Rückweg war noch beschwerlicher, denn ohne einen erkennbaren Pfad konnten sie nur die grobe Richtung annehmen, aus der sie gekommen waren. Außerdem verbargen nun schwere Wolken den Mond, so dass es noch etwas dunkler war als vorher. Kellen konnte nicht mal seine eigenen Arme sehen. Dafür spürte er sie umso mehr, denn die spitzen, harten Kiefernnadeln hatten ein paar tiefe Kratzer auf ihnen hinterlassen. Sie taten weh. Trotzdem waren sie das Einzige, womit er sein Gesicht vor den tückischen Nadeln schützen konnte.

      Dann plötzlich fassten sie ins Leere. Das Dickicht hörte auf. Kellen spürte kühle klare Luft. Er atmete tief ein. Hatten sie das Ende des Waldes schon erreicht? Unmöglich. Nach Kellens Schätzung hatten sie höchstens die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Angestrengt sah der Häuptling in die Finsternis. Da war etwas. Kellen erkannte einen großen spitz nach oben zulaufenden Umriss inmitten einer kreisförmigen Lichtung. Ein Gebäude musste das sein - drei Mannslängen hoch mindestens. Vielleicht eine Schutzhütte oder ein Pavillon. Die beiden gingen näher heran. Die Wolken hatten sich wieder verzogen und Kellen konnte nun auch die Konturen klarer erkennen. In halbkreisförmigen Wölbungen schlängelten sich die Wände nach oben, bis sie sich zu einem Dach verjüngten und schließlich in einer Spitze endeten. Kellen erinnerte der kleine Turm an ein Schneckenhaus. Es hatte keine Fenster und zumindest auf dieser Seite keinen Eingang. Kellen konnte sich keinen Reim darauf machen, wozu es gut sein sollte. Vielleicht aber hatte das Schneckenhaus auch gar keinen echten Nutzen, sondern war wieder einfach nur da, weil es den Alben so gefiel. Schönheit hatte bei diesem ungewöhnlichen Volk einen ebenso hohen Stellenwert wie Zweckmäßigkeit - so viel hatte der Häuptling bereits gelernt.

      „Vierzig Alben passen hier nicht rein, das steht fest“, bemerkte Domhnall. „Aber immerhin haben wir jetzt etwas gefunden.“

      „Ein Schneckenhaus ohne Tür und Fenster. Ich beglückwünsche dich. Du hast das Geheimnis der Alben gelüftet, großer Krieger.“ Kellen lachte spöttisch.

      Domhnall antwortete nicht. Stattdessen näherte er sich dem Turm und umrundete ihn zur Hälfte.

      „Falsch, großer Häuptling. Hier ist ein Eingang.“ Seine Stimme klang triumphierend. „Und eine Treppe, die unter die Erde führt. So, wie es Wesen aus der dunklen Welt gerne haben.“

      Kellen folgte ihm. Tatsächlich. Eine spitz zulaufende Pforte gab den Weg frei zu einer engen Rundtreppe, die tief hinab in die Dunkelheit führte. Das Schneckenhaus war ein Eingang. Domhnall hatte also recht gehabt. Die Alben hatten ein Ziel gehabt. Es gab hier einen verborgenen Ort. Möglicherweise ein Heiligtum. Auch die Druiden seines Volkes trafen sich an geweihten Orten tief in den Wäldern. Diese Treffpunkte waren geheim. So war es schon immer und so sollte es auf ewig bleiben. Es gehörte zu den Gesetzen seines Volkes. Etwas in Kellen sagte ihm, dass auch diese Treppe zu einem verbotenen Ort führte. Zu einem Geheimnis, das nicht enthüllt werden durfte. Dem Häuptling kam es auf einmal so vor, als versperre eine unsichtbare Tür den Eingang des Schneckenhauses.

      Domhnall hatte diese Bedenken nicht. „Hier muss sich doch etwas finden lassen, woraus sich eine Fackel machen lässt“, sagte er und sah sich um.

      Kellen wollte widersprechen. Aber dazu kam er nicht mehr. Denn es geschah, was er hätte vorhersehen müssen. Wie töricht es gewesen war zu glauben, dass die Alben ihren Nachtausflug nicht bemerken würden.

      Zwei grelle weise Lichtpunkte blitzten aus dem Nichts auf. Schwebend verharrten sie über der Lichtung und wuchsen zur Größe eines Kopfes heran. Jetzt tauchten sie die beiden Menschen und das Schneckenhaus in ockerfarbenes Licht. Kellen sah, dass Domhnall sein Schwert zog. Ein Fehler, schoss es dem Häuptling durch den Kopf. Ein Lufthauch, ein Schatten huschte über die Lichtung. Mit einem Schrei ließ Domhnall das Schwert fallen. Augenblicke später traf ihn ein wuchtiger Schlag. Der mächtige Krieger wurde ins Gras geschleudert, als wäre er eine dieser Puppen aus Holz und Stroh, mit der Krieger den Schwertkampf übten.

      Fluchend rieb sich Domhnall den Bauch, dann schüttelte ihn abermals ein Hustenanfall. Den Ahnen sei Dank, dachte Kellen, sie hatten ihn nicht getötet. Der Häuptling hob seine Hände - als Zeichen dafür, dass er nicht kämpfen wollte.

      Als hätte ihn die Luft aus dem Nichts geformt, stand plötzlich ein schmaler Albe vor Kellen und musterte ihn abschätzig. Zornesfalten standen zwischen seinen Augen. Er hatte lange, hellblonde Haare, die er streng nach hinten gekämmt hatte. Gekleidet war er in ein weites, weißes Hemd und ein dunkelgrünes Lederwams. Die dürren Beine steckten in ebenso dunkelgrünen, engen Hosen und in zwei braunen Lederstiefeln. Verächtlich zog der Albe für einen kurzen Moment den Mundwinkel hoch. Er war einen halben Kopf kleiner als Kellen. Trotzdem war dem Häuptling klar, dass es dem Kerl keinerlei Mühe bereiten würde, ihn in Stücke zu schlagen. Und dem Gesichtsausdruck nach würde es ihm vermutlich auch noch Freude machen.

      Mit einer schnellen Bewegung zog der Albe Kellens Schwert aus der Scheide und warf es gegen einen vier Pferdelängen entfernten Baum, wo es zitternd stecken blieb.

      „Die Dreistigkeit, mit der ihr die Vollkommenheit dieses Ortes stört, wird nur noch übertroffen durch den Gestank, der eurer Art eigen ist. Du stehst unter dem Schutz von Großmeister Geysbin, Menschling. Aber dein Freund muss für diesen Frevel sterben.“ Der Albe spuckte die Worte aus, als wären sie Dreck.

      „Das glaube ich nicht“, entgegnete Kellen. Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte. „Wenn du dir sicher wärst, dann hättest du ihn bereits getötet. Du siehst nicht aus wie jemand, der seinen Feinden ohne Grund Gnade gewährt.“

      Das Gesicht des Alben verzog sich zu einem spöttischen Grinsen.

      „Du wählst deine Worte klug - für einen Menschling, dem klar sein muss, dass ihm in dieser Lage nicht einmal seine eigenen schwächlichen Götter beistehen könnten. Und du hast sogar recht, in