Mark Lanvall

Lichtsturm


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Glück war um diese Zeit niemand mehr im Wohntrakt unterwegs. Dann winkte Kellen Domhnall in sein Zimmer und schloss die Tür.

      Der Krieger fluchte leise und wischte sich mit dem Ärmel Blut von der Lippe.

      „Offenbar sind die Alben nicht die Einzigen, die ich fürchten muss“, brummte er.

      „Wenn du statt Prügel Gastfreundschaft willst, dann klopf beim nächsten Mal an die Tür - so wie es dir deine Mutter beigebracht hat. Was ist mit dir los, bei den Göttern?“

      Domhnall knurrte mürrisch.

      „Wir müssen reden, Kellen.“ Der Krieger sah ihn eindringlich an. „Der Fürst ist nicht mehr der, der er war. Vier Stunden lang ist er heute mit mir durch den Gartenhof gewandelt, hat sich Blumen angesehen, Alben zugenickt, als wären sie Fürsten und nicht er. Und sein Gesicht hättest du sehen sollen.“

      „Auf mich hat Morcant gewirkt, als wäre er mehr denn je mit sich im Reinen“, entgegnete Kellen.

      „Aber ja. Das ist es ja, was mich beunruhigt. Die Alben haben ihn verflucht. Er traut ihnen. Er bewundert sie und glaubt, dass er hier ist, weil sie mit ihm ein mächtiges Bündnis schmieden wollen - ausgerechnet mit ihm. Aber Morcant irrt sich. Diese Wesen haben andere Pläne.“

      Der Häuptling nickte. „Ja, das glaube ich auch.“

      Domhnall sah ihn überrascht an. Offenbar hatte er mit Widerspruch gerechnet.

      „Dann zweifelst auch du daran, dass sie es gut mit uns meinen?“

      Kellen zuckte mit den Schultern. „Wenn du fragst, ob ich Ihnen blind vertraue: Nein, das tue ich nicht. Wenn du aber gekommen bist, um mich zur Flucht zu überreden, dann muss ich dich enttäuschen. Die Alben könnten uns ohne Mühe töten, wenn sie das nur wollten, Domhnall. Jederzeit und auch dann, wenn wir versuchen, von hier wegzulaufen. Eine Flucht macht keinen Sinn, ganz egal, ob sie Gutes oder Böses im Schilde führen. Vielleicht sollten wir einfach ein wenig Geduld haben.“ Kellen dachte wieder an den Bach und den Wasserfall. Einen Moment lang überlegte er, ob er dem Krieger davon erzählen sollte, hielt es dann aber für klüger, es nicht zu tun.

      Domhnall lachte kurz auf. „Du hast gedacht, ich bin gekommen, um dich zur Flucht zu überreden?“ Er schüttelte energisch den Kopf. „Eher kommt der mächtige Belen aus dem Götterreich zu uns herab und hilft meiner Schwester bei der Wäsche, als dass ich dir Vernunft beibringen könnte. Diese Albin hat dir schöne Augen gemacht. Und du hast im ganzen Keltenland den Ruf so neugierig zu sein wie eine Katze. Nichts bringt dich von hier weg. Und auch wenn es dumm ist und mir den Tod bringen wird: Ich lasse dich und den Fürsten nicht einfach hier und laufe davon wie ein Feigling.“

      Kellen war erleichtert. Und er war Domhnall dankbar. Der Krieger sah die Dinge so einfach und schlicht, wie sie nun mal waren. Ihn hier zu haben war ein Segen. Er war derjenige, der Morcants Starrsinn und Kellens Neugier bremsen konnte, wenn es nötig war.

      Der Häuptling musste daran denken, dass Larinil davon gesprochen hatte, dass sie nur Kellen und den Fürsten heil hierher bringen sollte. Von Domhnall hatte sie nichts gesagt. Was auch immer geschehen sollte: Dieser Krieger hatte Kellens Freundschaft verdient. Mehr noch: Er hatte ein Recht darauf.

      „Verzeih mir, Domhnall! Ich hätte wissen müssen, dass in deinem großen Herzen für nichts außer Mut und Ehre Platz ist. Und es ist schlau von dir, vorsichtig zu sein.“

      Der Krieger nickte heftig. „Ja, das ist es allerdings. Und deshalb sollten wir den Schutz der Nacht nutzen.“

      „Wozu?“

      „Um mehr über die Alben herauszufinden.“

      Kellen seufzte. „Das halte ich nicht für eine gute Idee. Wir sollten sie nicht unnötig gegen uns aufbringen.“

      „Aber warum? Hat die Albin dir nicht gesagt, dass wir hier Gäste sind und uns frei bewegen können?“

      Der Häuptling nickte.

      „Nun, wir sind keine Gefangenen. Was also kann sie gegen einen nächtlichen Spaziergang haben?“ Domhnall lächelte wie ein frecher Junge, der mit seinen Eltern über eine süße Frucht verhandelte, die er unbedingt haben wollte.

      Kellen gab nach. Er hatte das Gefühl, es Domhnall schuldig zu sein. Außerdem war er natürlich neugierig. Er ahnte, dass es dem Krieger nicht bloß um einen Spaziergang ging.

      „Was ist mit Fürst Morcant?“, fragte der Häuptling.

      „Was soll mit ihm sein? Er träumt von blühenden Städten, Soldaten in goldenen Rüstungen und einem Palast, auf dessen Thron er selbst sitzt - auf Wunsch der Götter natürlich. Lassen wir ihn weiter träumen.“

      Eines jedenfalls hatten die Alben mit den Menschen gemeinsam: Sie schliefen in der Nacht. Der Wohntrakt und auch der Hof waren ruhig und leer. Kellen vermutete allerdings, dass sich im vorderen Teil der Burg - dem Verteidigungstrakt - Wachen befanden, die sofort Alarm schlugen, sollten sich Feinde nähern. Keine gute Idee, dort hinzugehen. Zum Glück sah das auch Domhnall so. Sie durchschritten den Wohnhof und tasteten sich durch das dunkle Gewölbe vor bis zu dem wuchtigen Tor, das den Wohntrakt vom Gartenhof trennte. Anders als am Tag stand es nicht offen. Kellen fasste die massiven Eisenverschläge an. Sie waren kalt, sogar noch etwas kühler als die dicken Holzsparren, aus denen das Tor gemacht war. Er griff nach dem Riegel und zog leicht daran. Er bewegte sich nicht.

      „Es ist zu“, sagte er zu Domhnall, den er in der Dunkelheit kaum erkennen konnte.

      „Zu, aber nicht verschlossen“, antwortete der Krieger und versuchte nun seinerseits, den Riegel zu öffnen. Mit einem jammernden Quietschen, das Kellen erbärmlich laut vorkam, gelang es ihm. Er musste vor lauter Anstrengung nun auch noch husten und hielt sich den Ärmel vor den Mund.

      Kellen schüttelte den Kopf. „Wenn das, was wir hier tun, verboten ist, dann haben wir eine zusätzliche Strafe für unsere Dummheit verdient.“

      „Wenn das, was wir hier tun, verboten ist, dann wären wir vermutlich gar nicht so weit gekommen“, entgegnete Domhnall mürrisch. „Und wenn wir dafür bestraft werden sollen, dass wir unser Schicksal nicht hinnehmen wie Schlachtvieh, dann werde ich die Strafe ertragen wie ein Krieger.“

      Er packte den Eisen-Griff an der rechten Torseite und zog daran. Wieder tat sich gar nichts. Kellen half ihm. Erst jetzt öffnete sich das schwere Tor ein paar Fingerbreit.

      Domhnall fluchte. „Bei den Ahnen. Dieses Tor ist auch ohne Schloss kaum zu öffnen.“

      Noch einmal zogen sie mit aller Kraft - bis der Spalt breit genug war, dass ein Mann hindurchschlüpfen konnte. Ein normaler Mann, denn er war breit genug für Kellen, nicht aber für den mächtigen Domhnall. Er blieb auf halbem Weg stecken. Der Häuptling lachte leise, sagte aber nichts, sondern zog stattdessen von innen. Endlich stolperte auch der Krieger in den Gartenhof.

      Es war still, kühl und unsagbar dunkel. Das Mondlicht fiel fahl auf die linksseitige Felswand der Schlucht - bis hinab in den Garten kam es nicht, sodass jeder blühende Strauch, jeder Baum und jede Erhebung wie eine schwarze, bedrohliche Gestalt wirkte. Kellen lauschte. Hier und da war das Kreischen eines Greifvogels zu hören. Der Wind strich raschelnd durch die Äste der Kiefern und Tannen.

      „Domhnall, was machen wir hier?“, fragte Kellen geradeheraus. Der nächtliche Ausflug kam ihm jetzt noch sinnloser vor als zuvor. „Hier ist niemand.“

      „Ich habe ja bereits erzählt, dass ich mit Morcant hier stundenlang Blumen bestaunen musste.“ Wieder unterdrückte er ein Husten. „Dabei ist mir aufgefallen, dass die Alben hier nicht ziellos herumgeschlichen sind.“

      „Was meinst du damit?“

      „Sie waren nicht zur Erholung hier. Sie kamen aus einem ganz bestimmten Grund hierher.“

      „Und der wäre?“ Kellen konnte es nicht vermeiden, etwas genervt zu klingen. Domhnall zuckte mit den Achseln.

      „Das weiß ich nicht. Aber ich bin mir sicher, dass es einen gibt. Viele von den Alben