Michael Hamberger

Die Seelenräuberin


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Tieren dieser Gattung. Deshalb wagte es sich auch kein anderer männlicher Jaguar auch nur in die Nähe seines ausgedehnten Reviers. Und natürlich hatte er das beste Revier. Viele Schlafplätze in denen man dösen konnte, Wasser und ein Überfluss an Beutetieren. Deshalb konnte sich Tas auch den Luxus erlauben, einfach so, ohne auf der Jagd zu sein durch sein Revier zu streifen.

      Vor circa zwei Monden hatte er dabei die Witterung dieser Frau, die er gerade verfolgte das erst mal aufgenommen. Es hatte ihn zuerst etwas verunsichert, denn diese Spur roch so gar nicht nach Mensch. Menschen waren normalerweise die am leichtesten zu erlegende Beute. Fast gar nicht wert, überhaupt gejagt zu werden. Das einzig interessante an Menschen war, diese so lange zu jagen, bis es sie regelrecht in den Wahnsinn trieb. Dadurch bekam ihr Blut eine ganz besondere Würze, die Tas sehr mochte.

      Meistens vermied es Tas jedoch, Menschen zu jagen. Sie lebten in einer größeren Gruppe in künstlich erbauten Höhlen, die sie Hütten nannten, am Rande seines Reviers, auf einer steinigen Lichtung aus unfruchtbarer Erde. Hinter dem Dorf wuchsen riesige Felsen gut 100 Meter in die Höhe: Nicht einmal Tas konnte dort hinaufklettern. Oberhalb dieser Felsen ging dann offensichtlich der Urwald weiter, wie aus den gigantischen Bäumen unschwer erkannt werden konnte. Da es jedoch außerhalb seines Revier war, war Tas niemals dort oben gewesen. Es interessierte ihn aber auch nicht sehr. Es wäre viel zu anstrengend und er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es dort schöner sein sollte, als in seinem Revier. Das einzig schöne an den Felsen, war der Wasserfall, der sich circa 200 große Sprünge links vom Dorf befand. Tas liebte diesen Wasserfall, unter dem es sogar an den heißesten Tagen noch angenehm kühl war.

      Auf der steinigen Lichtung, wo sich das Dorf befand, war es sogar für Tas gefährlich, den Menschen zu nahe zu kommen, da sie innerhalb ihrer Gruppe schon recht wehrhaft waren und ihm gefährlich werden konnten. In den Urwald selbst trauten die Menschen sich nur selten und wenn, dann jagten sie ein oder zwei Tiere, was Tas aufgrund des fast unerschöpflichen Nahrungsangebots in seinem Revier nicht weiter störte.

      Sie hatten auch einige Bäume des Urwalds gefällt, um die Lichtung etwas zu vergrößern. Dort bauten sie für das Dorf nahrhafte Pflanzen an, wobei sich Tas nicht vorstellen konnte, wie man davon leben konnte.

      Er hatte überhaupt für diese Menschen nur Verachtung übrig. Für Tas waren sie nur wie lästige, kleine Mosquitos, die man am Besten zerquetschte und wieder vergaß.

      Das änderte sich aber mit der Spur dieser Frau, die er anfänglich gar nicht hatte einschätzen konnte. Es war ganz klar ein Mensch, aber es schien von dieser Spur auch eine Kraft und eine Macht auszugehen, die es bei einem Menschen einfach nicht geben konnte. Also war er der Spur gefolgt, die tief in den Regenwald hineinführte, so tief, wie sich keiner dieser Menschen jemals getraut hatte. Dann sah er sie plötzlich vor sich. Es war tatsächlich eine menschliche Frau. Noch sehr jung, im ersten Drittel des Lebens. Sie war sehr schlank, fast schon dürr und sehr groß, sogar noch größer, als viele männliche Menschen, die Tas gesehen hatte. Dabei war sie aber nicht schlaksig, sondern sie bewegte sich mit einer erstaunlichen Eleganz und Würde. Die Frau war mit edlen Naturfellen bekleidet, die eigentlich viel zu warm für die feuchtheiße Witterung hier im Urwald sein mussten. An den Füssen trug sie die traditionellen Sandalen, die alle Bewohner des Dorfes zu tragen schienen und deren Hauptzweck neben dem bequemeren Gehen auch der Schutz vor den Bissen der giftigen Schlangen zu sein schien.

      Die Frau sammelte Kräuter an einer sumpfigen Lichtung ganz in der Nähe des großen Flusses. Diese Kräuter gab es nur hier an dieser einen Stelle. Neugierig beobachtete Tas die Frau. Diese schien total unbesorgt zu sein. Tas stieß ein wütendes Brüllen aus, das in seinem ganzen Revier zu hören sein musste. Die Frau sollte merken, dass er ganz in ihrer Nähe war. Doch die Frau schien selbst dies überhaupt nicht zu kümmern. Unbeeindruckt fuhr sie fort, ihre Kräuter aus der Erde zu ziehen. Dabei summte sie sogar eine heitere Melodie, fast so, als ob sie in ihrem eigenen Garten im Schutz ihrer Dorfes sei und nicht inmitten von Tas Revier. Jetzt wurde Tas wirklich wütend. Innerhalb seines Reviers hatten alle Lebewesen ihm Respekt entgegen zu bringen! Erst recht eine, dieser schwachen, unzulänglichen Menschen. Mit einem gewaltigen Satz sprang Tas auf die Lichtung. Doch nicht einmal diese Aktion schien die Frau zu erschrecken. Sie drehte sich zwar um, begann dann aber zu lächeln, ohne dabei jedoch ihr Lied zu unterbrechen. Tas hatte seine Wut in diesem Moment, als er die Frau lächeln sah, nicht mehr beherrschen können und hatte all seine Empörung herausgebrüllt. Doch die Frau zuckte nicht einmal zusammen. Sie kam ihm sogar mit ausgestrecktem Arm entgegen. Tas bückte sich und machte sich zum Angriff bereit. Die Frau blieb tatsächlich stehen. Hatte sie nun endlich, verstanden, dass die letzten Sekunden ihres jämmerlichen Lebens in diesem Moment begannen? Bekam sie endlich die Panik, die ihrem Blut dann diese besondere Würze verlieh? Nein, sie lächelte wieder und begann wieder ihr Lied zu pfeifen. Dabei beobachte sie Tas. Sie hatte jedoch überhaupt keine Panik im Blick. Viel eher schien es sie fast zu freuen, dass sie hier auf Tas getroffen war. Das war nun zu viel für Tas. Er griff an. Mit schnellen Sprüngen näherte er sich der Frau. Doch die war auch weiterhin unbeeindruckt geblieben. Ganz langsam hatte sie ein Pulver aus einem Beutel, den sie an ihrem Gürtel trug, herausgenommen und blies dieses dem heranstürmenden Tas mitten ins Gesicht. Fast augenblicklich hatte Tas die Wirkung des Pulvers gespürt. Ein starkes Brennen in seinen Augen zwang ihn, diese sofort zu schließen, womit er praktisch blind wurde. Auch in seiner Nase und seiner Schnauze spürte Tas nur noch diesen allumfassenden brennenden Schmerz. Es fiel ihm schwer zu atmen. An einen Angriff war natürlich nicht mehr zu denken. Fast panisch hatte er begonnen, mit seiner Pfote die Augen und die Schnauze zu reiben. Er hörte noch, wie die Frau leise „Verzeih mir, König der Jaguare“ flüsterte, dann hatte sie sich umgedreht und war einfach davongegangen.

      Es dauerte fast einen halben Tag, bis Tas wieder hatte klar sehen und vor allen Dingen riechen können. Die Wut und die Scham aber waren geblieben. Es konnte einfach nicht sein, dass ihn ein schwacher Mensch so überlistete und auf diese Art demütigte. Wie sollte er nach dieser Niederlage seine Autorität behalten? Bald würde ihm jedes Lebewesen im Regenwald nur noch auf der Nase herumtanzen. Also war Tas auf Rache aus. Diese Schieflage musste er wieder gerade rücken. Die Frau musste sterben. Und Tas würde dafür sorgen, dass sie vorher noch einige Aufregung bekam, sodass ihr Blut besonders gut schmeckte.

      Trotzdem hatte es fast zwei Monde gedauert, bis er die Witterung der Frau wieder aufnahm. Plötzlich war sie wieder da. Tief im Urwald. Tief in seinem Revier! Jetzt endlich würde sie sterben müssen!

      Tas nahm sofort die Verfolgung auf. Schnell war er der Frau auch näher gekommen, wie er an der Spur unschwer erkennen konnte. Sie musste nur wenige Meter vor ihm sein. Überrascht stellte Tas jedoch fest, dass er die Frau trotz der offensichtlichen Nähe nicht hören konnte. Normalerweise entgeht nichts seinem scharfen Gehör. Erst recht nicht ein schwacher, unbeholfener Mensch. Diese machten, wenn sie sich einmal in den Regenwald getrauten, so viel Lärm, wie ein mittelschweres Gewitter. Nur diese Frau offenbar nicht. Tas blieb unsicher stehen. Wer war diese seltsame Frau?

      Langsam und sehr viel vorsichtiger, als bei ihrer ersten Begegnung, näherte sich Tas der Stelle, wo die Frau sein musste. Er konnte sie jetzt so klar und deutlich riechen, dass sie direkt vor ihm stehen musste. Trotzdem konnte er sie noch immer weder hören, noch sehen. Tas ging vorsichtig, jeden Muskel angespannt noch einige wenige Schritte, dann stand die Frau plötzlich vor ihm und hob die Hand. Offensichtlich wollte sie ihm wieder ihr vernichtendes Pulver ins Gesicht blasen. Doch diesmal war Tas schneller und sprang. Er sah die Gestalt der Frau, die sich nicht rührte und immer noch ihre Hand vorstreckte, auf sich zufliegen. Jedoch als er auf die Frau auftraf, sprang er voll durch sie hindurch, wie durch einen Nebel. Was war das schon wieder für ein Zauber? Tas fauchte und drehte sich um. Dort, wo die Frau gerade noch gestanden hatte, konnte er nur noch leichte Farbwirbel sehen, fast so, als ob sich die Frau einfach in Dampf verwandelt und dann aufgelöst hatte. Verunsichert blieb Tas stehen und lauscht. Er konnte die Nähe der Frau immer noch spüren. Aber er konnte sie immer noch nicht hören oder sehen. Tas schloss die Augen und konzentrierte sich voll und ganz auf sein Gehör. Und tatsächlich konnte er sie dann endlich hören. Sie murmelte leise etwas in ihrer Sprache. Offenbar ein weiterer Zauberspruch. Sie musste sich halblinks von ihm befinden, nur etwa fünf Meter von ihm entfernt. Wie hatte sie nur so nahe sein können, ohne dass Tas dies spürte? Aus dem Stand sprang Tas in die Richtung, wo er die