Michael Hamberger

Die Seelenräuberin


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gab, hellte sich sein Gesicht dann jedoch auch schnell wieder auf, aber bevor er wieder mit dem Balztanz beginnen konnte, schnappte sich Layla ihren Koffer und entschwand.

      Sie hatte Glück. Nicht einmal zehn Minuten später fuhr ein Schnellzug direkt zum Flughafen in Zürich. Layla kaufte eine Karte. Natürlich erster Klasse. So einfach wollte sie es Igor natürlich nicht machen. Dann ging sie an den Bahnsteig, wo der Zug schon wartete. Um diese Uhrzeit war der Zug natürlich sehr voll. Nur in der ersten Klasse waren noch genug Sitzplätze vorhanden.

      „Gut“, dachte Layla, „dann habe ich schon einen Grund für das 1.Klasse Ticket!“

      Layla stellte ihnen Koffer auf den dafür vorgesehenen Platz und setzte sich direkt ans Fenster. Der Zug müsste jeden Moment losfahren. Durch das Fenster konnte sie eine Frau mittleren Alters sehen. Die traditionelle Kleidung verriet ihr, dass es sich wohl um eine Zigeunerin handeln musste. Die Frau starrte Layla geradezu an. Aber bevor Layla den Blick erwidern konnte, drehte sich die Frau um und stieg ein. Layla schloss die Augen um etwas zu dösen, als sie eine wohltuende Stimme hörte, die sie mit starkem südländischen Akzent fragte, ob der Platz neben ihr noch frei sei. Es war die Zigeunerin! Layla machte eine einladende Handbewegung, woraufhin sich die Frau sofort hinsetzte. Eine dichte Wolke von einem angenehm riechenden Parfüm hüllte die Frau ein und das Lächeln machte die Frau auf Anhieb sympathisch. Pechschwarze, gelockte Haare fielen auf ein ebenmäßiges, schön geschnittenes Gesicht. An den Ohren hingen überlange Ohrringe, die bei jeder Bewegung einen klingenden Laut von sich gaben. Alles war perfekt aufeinander abgestimmt: Kleidung, Accessoires, Aufmachung, ja sogar die Bewegungen. Amüsiert lächelte Layla. Trotzdem hatte sie keine Lust auf eine Unterhaltung und möchte die Augen wieder schließen, als die Frau ihr vorschlug:

      „Soll ich Dir aus der Hand lesen, mein Kind?“

      Aha, da wehte der Wind also her! „Na, dann wollen wir doch mal sehen, was die Frau zu berichten hat“ dachte sich Layla amüsiert. Trotz ihres eigenen zum Teil übernatürlichen Wesens, fiel es Layla immer noch schwer, Dinge, wie Wahrsagen oder Kartenlesen zu akzeptieren. Es gab da einfach zu viele schwarze Schafe, die sich nur mit dem Aberglauben der Leute eine goldene Nase verdienen wollten. Trotzdem hob sie der Zigeunerin die Hand entgegen, die diese auch gleich ergriff und konzentriert studierte. Was Layla auffiel war, dass überhaupt nichts Effekthaschendes an dieser Geste war. Es wirkte sehr natürlich. Die Frau sah Layla immer wieder in die Augen, fast so, als ob sie sich vergewissern wollte, ob dies, was sie in der Hand lass, tatsächlich wahr sein konnte.

      Nach ungefähr einer Minute ließ sie die Hand los und sagte:

      „Du bist sehr machtvoll. Ich habe noch niemals solch eine starke Aura, wie bei Dir gespürt!“

      Layla lächelte. Diese Aussage hatte sie nicht erwartet, obwohl sie auch dieser Bemerkung noch nicht viel abgewinnen konnte, doch mit dem nächsten Satz gewann die Zigeunerin dann doch ihre volle Konzentration, als sie sagte:

      „Der Kraft, der Du aber jetzt entgegen treten willst, die ist selbst für Dich zu stark!“

      „So, wem trete ich denn entgegen!“

      „Der Seelenräuberin, einer der mächtigsten Dämonen überhaupt!“

      „Und woher willst Du dies wissen?“

      „Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Ich träumte von Dir und wusste, dass ich Dich warnen muss.“

      „Was für ein Zufall, dass Du ausgerechnet von mir träumst“

      „Gerade Du solltest die Macht des Übernatürlichen nicht anzweifeln! Es gibt Kräfte und Gegenkräfte. Das Wirken der Seelenräuberin hat eine riesige Welle ausgelöst!“

      Skeptisch sah Layla die Zigeunerin an. Wusste sie wirklich etwas, oder ging sie gerade einer sehr geschickten Betrügerin auf den Leim? Layla beschloss, dass sie einen Versuch wagen würde, ohne dass sie sich aber zu viel Hoffnung darin sehen wollte. Deshalb sagte sie:

      „Dann weißt Du sicher, dass Mark Bishop, mein Verlobter verschwunden ist. Ich werde ihn suchen!“

      „Er ist verloren. Er ist in den Händen der Seelenräuberin!“

      „Dann werde ich ihn dort auch rausholen. Diese Seelenräuberin wird mich kennen lernen!“

      „Sei bitte nicht zu eingebildet und selbstverliebt, mein Kind. Der Seelenräuberin hast selbst Du nichts entgegenzusetzen!“

      „Und Du, unterschätze Du mich bitte auch nicht!“

      „Das würde ich niemals tun, mein Kind. Ich weiß, was Du geleistet hast und weiß auch, zu was Du fähig bist, aber die Seelenräuberin, die ist eine ganz andere Dimension von Kraft. Da kann Dir auch Dein wertvolles Amulett nicht helfen!“

      Layla sah die Frau konsterniert an. Woher wusste sie von ihrem wertvollen Amulett, dass ihr bei ihrem Abenteuer in Mexiko mehrfach das Leben gerettet hatte? Sie hatte es von ihrer heiß geliebten Abuelita, also ihrer Großmutter geerbt. Schon seit Generationen war es im Besitz ihrer Familie. Immer bei den weiblichen Angehörigen. Es schien direkt von Juan Diego abzustammen, dem die Virgen von Guadalupe, also die Jungfrau Maria im Jahre 1531 erschienen war. Dieses Amulett schien von der Virgen de Guadalupe selbst geweiht worden zu sein und erleuchtete beim Vorhandensein von widernatürlichen Phänomenen in einem intensiven blauen Licht. Eine Berührung mit dem Amulett war für die Wesen der schwarzen Magie absolut tödlich. Layla vertraute diesem Amulett ihr Leben an.

      „Wollen sie etwa, dass ich so einfach aufgebe und meinen Verlobten, den ich sehr liebe, im Stich lasse?“

      „Er ist so oder so verloren, aber Du, Du …!“

      Fast wütend unterbrach Layla die Zigeunerin.

      „Sie scheinen mich doch nicht so gut zu kennen, wie sie vorgeben, gute Frau. Ich würde niemals auch nur daran denken, Mark zurückzulassen, wenn er in Gefahr ist! Ich weiß nicht, welche Kraft Sie dazu getrieben hat, nach mir zu suchen, aber wenn sie Ihnen nur diese nutzlosen Ratschläge für mich weitergibt, dann lassen Sie mich bitte in Ruhe!“

      Überraschenderweise war die Zigeunerin gar nicht böse, sondern begann zu lachen. Es war fast Zärtlichkeit in ihrem Blick, als sie sagte:

      „Lass es Dir trotzdem eine Warnung sein, Layla. Ich wache über Dich. Halte nach meinen Zeichen Ausschau!“

      Dann stand die Frau auf, gab Layla einen Kuss auf die Stirn und ging weg. Der Zug fuhr in einen Bahnhof ein und überrascht stellte Layla fest, dass es die Haltestelle des Flughafens in Zürich war. Sie hatte sich mit der Frau über eine Stunde lang unterhalten. Ihr war es, wie fünf Minuten vorgekommen. Verwundert sah sich Layla um, in der Hoffnung, die Zigeunerin nochmals erblicken zu können. Aber die war wie vom Erdboden verschluckt. Dann musste sie sich aber sputen, sonst fuhr der Zug noch weiter. Layla sprang auf und eilte zu ihrem Koffer. Vor der Türe standen sehr viele Leute, die offenbar auch in den Flughafen wollen. Fast alle hatten mindestens einen großen Koffer, sodass es an der Türe zu einer chaotischen Hektik kam. Layla war die letzte, die den Zug verließ, bevor sich die Türen mit einem lauten Knall verschlossen und der Zug seinen Weg in Richtung Hauptbahnhof Zürich wieder aufnahm. Layla sah sich um, konnte aber kein Schild erkennen, dass ihr die Richtung angab, wo sie hingehen sollte, also beschloss sie, einfach der Herde von Menschen hinterher zu gehen.

      Kapitel 3

      Das Einchecken ging schneller, als es Layla erwartet hatte. Vielleicht erschien es ihr aber nur so, dass die Wartezeit schnell verging, da sie in tiefe Gedanken versunken gewesen war.

      Wer war diese rätselhafte Zigeunerin? Sie schien etwas zu wissen und Layla war sich fast sicher, dass es keine Betrügerin war. Was war dann aber diese seltsame Kraft, die die Zigeunerin zu ihr geleitet haben sollte? Gerne hätte sie noch mit der Zigeunerin gesprochen. Es waren so viele Fragen zurückgeblieben. Layla fragte sich, ob sie diese Frau überhaupt noch einmal sehen würde. Sie wagte es zu bezweifeln, dass die Zigeunerin sie wirklich überwachte und dass diese seltsame Kraft sie wirklich beschützte, wenn sie in Gefahr käme. Da würde sich Layla auf ihre eigenen Fähigkeiten verlassen müssen.