Michael Hamberger

Die Seelenräuberin


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Sekunde später war Tas über ihr. Er brüllte triumphierend und wollte ihr in Jaguarart in den Kopf beißen, um sie zu töten. Aber er konnte es nicht! Er konnte die Frau nicht beißen. Ja, er konnte ihr nicht einmal die langen Krallen in den Bauch schlagen, um ihr die verfluchten Gedärme herauszureißen. Sowohl seine mächtigen Fangzähne, als auch seine langen, tödlichen Krallen waren wie blockiert. Es war fast so, als ob es tabu wäre, ein Frevel, diese Frau zu töten. Tas verstand die Welt nicht mehr. Der Frau erging es offensichtlich ähnlich. Als Tas sie angesprungen hatte, da hatte er ganz klar die Panik über den nahenden Tod in ihren Augen gesehen und jetzt, da der finale Schlag ausblieb, da sah sie Tas genau so überrascht an, wie dieser sie ansah. Offensichtlich spürte auch sie, dass etwas Besonderes zwischen ihnen beiden vorging. Tas ließ die Frau los. Die stand langsam auf und sah ihn mit großen Augen an. Die Furcht war ganz aus ihrem Blick verschwunden. Vielmehr begann sie wieder zu lächeln. Dieses Mal machte dieses Lächeln Tas jedoch nicht wütend. Vielmehr schien auch er plötzlich selbst zu lächeln. Er spürte auf einmal eine tiefe, unergründlich Verbundenheit mit dieser Frau. Auch die Frau schien dies zu spüren, denn sie hob ihre Hand und streichelte Tas über den mächtigen Kopf. Und der, anstatt wütend nach der Hand zu schnappen, begann wohlwollende Geräusche von sich zu geben, fast, wie eine schnurrende Hauskatze. Es folgte ein wortloses, verblüfftes Schweigen. Offenbar verstand die Frau genauso wenig, wie Tas, was eigentlich vorging. Dann begann die Frau zu reden.

      „Ich weiß, wer Du bist.“

      Tas wunderte sich sehr über diese Worte. Nicht, dass er die Frau verstand. Er konnte eigentlich schon immer verstehen, was die Menschen redeten, wenn er sich einmal herabließ und sie belauschte. Woher er diese Gabe besaß, dass wusste Tas nicht, aber es war schon so gewesen, seit er das erste Male einen Menschen gesehen hatte. Nein, dies wunderte Tas nicht, was ihn vielmehr wunderte war, dass er spürte, dass diese Frau auch ihn verstand. Und das war das erste Mal, dass er bei einem anderen Wesen dieses Gefühl hatte. Es schien eine Art magische Verbindung zwischen ihnen beiden zu geben. Eine Verbindung, die die beiden nicht verstanden und von der beide offensichtlich nichts geahnt hatten. Tas sah die Frau an. Der Blick bohrte sich tief in seine Gedanken. Tas hatte das Gefühl, als würden in diesem Moment ihre beiden Bewusstseins miteinander verschmelzen. Er wusste plötzlich, dass die Frau Wayrunku hieß und eine „Aklla“, eine auserwählte Frau war. Auch Wayrunkus schien plötzlich alles über Tas zu wissen. Sie lächelte und streichelte noch einmal liebevoll über Tas riesigen Kopf. Dann nickte sie und sagte:

      „Ich wusste, dass es Dich gibt und dass ich dich eines Tages treffen würde. Schon seit meiner Kindheit träume ich von Dir. Fast jede Nacht. Dass ich Dir jedoch schon so nahe stehe, dass ahnte auch ich nicht.“

      Tas hatte das Gefühl, dass seine Welt auf den Kopf gestellt wurde. Auch er spürte diese tiefe Verbundenheit, die offenbar durch die körperliche Berührung ausgelöst worden war. Das konnte nicht sein. Es war immer noch nur ein schwacher Mensch, eine Beute, die er gerade hatte töten und bis auf die Knochen abnagen wollen. Tas zog tief die Luft ein. Die Frau roch auch so ganz anders, wie die Menschen, die immer nur nach Schmutz und Angst rochen. Diese Frau roch nach Freundschaft und Kameradschaft.

      Wayrunku streichelte ihm nochmals über seinen mächtigen Kopf und Tas gab wieder diese wohlwollenden Geräusche von sich, dann drehte sich die Frau um und ging zurück in ihr Dorf. Tas sah ihr noch lange nachdenklich hinterher, dann drehte auch er sich um und rannte in großen Sprüngen zurück in den Regenwald. Dabei gab er brummende Geräusche von sich, die entfern so klangen, wie die Melodie, die Wayrunku gesummt hatte.

      Kapitel 2

      Layla vermisste Mark. Es schien ihr fast körperliche Schmerzen zu bereiten, ihn so weit von sich entfernt zu wissen. Es schien sich regelrecht in ihr Gehirn eingebrannt zu haben, dass sie ihn wohl auch die nächsten Tage, oder sogar Wochen nicht würde sehen können. Dabei waren sie mitten in den Vorbereitungen für ihre bevorstehende Hochzeit. Diese hatten sie jedoch verschieben müssen.

      Mark hatte einen Einsatz. Er war von Igor Dorojewski seinem Chef nach Floreanapolis in Brasilen gerufen worden. Mein Gott, wie sie es hasste, wenn Mark für das Convento Santo José unterwegs war. Das Convento war eine geheime Organisation, die immer dann zum Einsatz kam, wenn der Verdacht aufkam, dass irgendwo auf der Welt übernatürliche Kräfte am Werk sein konnten. Oftmals waren dies natürlich falsche Alarme, aber wenn es dann wirklich zu einer Konfrontation mit diesen mächtigen Kräften kam, dann wurde es sehr schnell sehr gefährlich. Gut, Mark war ein erfahrener Kämpfer, aber leider eben nicht sehr vorsichtig, wenn er in vorderster Front im Einsatz war.

      Auch Layla kam oft zum Einsatz. Sie war, wie es Igor Dorojewski oft betonte, seine wirkungsvollste Waffe. Layla war ein Werwolf. Ein weißer Werwolf. Dies bedeutet, dass sie sich nicht, wie die normalen Werwölfe spätestens jede dritte Nacht in eine mordende Bestie verwandelte, sondern sie kämpfte auf der Seite der Guten eben gegen diese unheimlichen Kräfte, die das Convento bekämpfte und war dabei sehr viel wirkungsvoller, als jeder menschliche Kämpfer, inklusive Mark. Deshalb war Layla auch anfangs sehr ungehalten gewesen, als Mark alleine zu diesem Einsatz geschickt wurde, aber Igor hatte ihr erklärt, dass es sich hier noch nicht um einen offiziellen Einsatz handelte, sondern vielmehr um eine Recherche, die Mark durchzuführen hatte. Noch war keine übernatürliche Kraft erkennbar geworden. Es war ein Mann unter dubiosen Umständen verschwunden, der später zwar wieder auftaucht war, dabei aber eine allumfassende Änderung seiner Persönlichkeit zeigte. Fast wie nach einer Gehirnwäsche. Und da kannte sich Mark als ehemaliger Elitesoldat einfach besser aus. Das musste auch Layla letztendlich akzeptieren.

      Sie hatte sich auch fast schon damit abgefunden, wenn da nur nicht dieser furchtbare Alptraum gewesen wäre, der sie letzte Nacht fast in den Wahnsinn getrieben hatte.

      *

      

       Layla versucht Mark zu finden. Sie rennt in ihrer Werwolf Gestalt über eine Steinwüste, die aussah, wie eine riesige Mondlandschaft. Dabei hatte sie keinen Anhaltspunkt, in welche Richtung sie denn laufen sollte. Nicht einmal ihre feinen Sinne wittern die kleinste Spur. Panik kommt in Layla auf. Sie weiß, dass Mark in Gefahr ist. In tödlicher Gefahr. Plötzlich sieht sie einen Berg. Es ist ein Vulkan. Ein aktiver Vulkan, wie die Rauchsäule über dem Gipfel eindrucksvoll beweist. Der Vulkan steht offenbar kurz vor dem Ausbruch. In diesem Moment sieht Layla Mark. Er ist direkt auf dem Gipfel des Vulkans mit dicken Schnüren an einen großen Felsen gefesselt, ohne irgendeine Chance, diese Fesseln zu lösen und der tödlichen Gefahr zu entkommen. Layla knurrt und rennt los. Die Mondlandschaft fliegt nur so an ihr vorbei. Dennoch hat sie das Gefühl, dass sie dem Vulkan nicht näher kommt. Es scheint ihr sogar fast so, als würde sich der Berg weiter von ihr entfernen. Mark versucht verzweifelt, die Fesseln zu lösen. Die Eruption steht wohl unmittelbar bevor, denn die Raumwolken werden größer und bewegen sich mit unvorstellbarer Gewalt auf Mark zu. Plötzlich sieht Layla am Himmel zwei große Augen, die das Geschehen zu beobachten scheinen. Es sind große, eindrucksvolle Augen. Die Augen strahlen jedoch keine Wärme aus. Ganz im Gegenteil scheinen sie alle Wärme der Umgebung zu entziehen. Die Augen fixieren Layla. Im selben Moment hat Layla das Gefühl, dass sie alle Kraft verlässt. Sie kam nicht weiterlaufen. Ihr Herz schlägt wie wild. Trotzdem stemmt sich Layla dagegen an und läuft weiter. Aber sie ist zu spät. Der Vulkan bricht aus und die heiße Wolke des pyroklastischen Stroms umschließt Mark. Das letzte, das Layla sieht ist die rechte Hand von Mark, die dieser wohl im letzten Moment hatte befreien können. Dann sieht sie nichts mehr. Ein starker Erdstoß reißt Layla von den Beinen. Schnell kommt die Rauchwolke auch auf sie zu. Layla versucht wieder auf die Beine zu kommen, um nun selbst zu fliehen, aber gegen die Wolke, die mit unvorstellbarer Geschwindigkeit auf sie zufliegt, hat auch sie keine Chance.

      *

      Jetzt kam also auch noch die Angst dazu. Aus eigener, bitterer Erfahrungen wusste Layla, dass Träume nicht immer nur Schäume waren. Auf ihrer Reise nach Mexiko, kurz bevor sie in einen Werwolf verwandelt worden war, da hatte sie ebenfalls ein Alptraum gequält, der sich dann als sehr real herausgestellt hatte.

      Layla spürte eine Hand auf ihrer Schulter und drehte sich um. Ana Maria, ihre Halbschwester stand vor ihr und sah sie mit ihren Blick an,