Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Niflheim


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du Trym warst, wann hast du zum Allvater gebetet?“

      Juli biss sich auf die Lippe. „Wenn ich in die Schlacht zog.“

      „Warum?“

      Thea versuchte, einen Vorwurf aus Odins Worten heraus zu hören, doch er schien keineswegs wütend.

      „Um deinen Schutz zu erflehen und um Mut zu bitten.“

      Odin hob den Finger vor sein Gesicht und schüttelte leicht den Kopf. „Nein, warum zogst du in die Schlacht?“

      „Weil ich meine Heimat verteidigen musste …“

      Odins Augenbrauen richteten sich auf, während er den Kopf schief legte. „Ach, nicht, weil ich es befohlen habe?“

      „Nein“, antwortete Juli zögernd.

      Odin verschränkte die Arme und lehnte sich zurück. „Lebte Trym nicht frei? War er gezwungen einem König zu folgen? Wer sprach Recht in seiner Heimat?“

      „Das Thing.“

      „Und später? Wer sprach da das Recht, als die alten Götter vertrieben waren?“

      Thea runzelte die Stirn, während Juli eine Antwort schuldig blieb.

      Odin legte die Hände auf die Lehnen und gab die Antwort für Juli: „Ein König.“ Er hob den Finger. „Eine einzige Person entschied über das Glück und Unglück aller, nicht alle über das Vergehen eines Einzelnen. Darum breitete sich der Glaube so rasch aus. Fürsten, Könige, einjeder von ihnen griff nach dem neuen Glauben, weil er ihm Macht über Menschen zusprach. Laut des neuen Gottes war ihnen die Königswürde direkt und unanfechtbar vom Himmel bestimmt. Wer sich gegen diese Ordnung auflehnte, war des Todes. Schau, wie lange es gedauert hat, bis die Menschen ihr Recht zurückerlangt haben.“

      Zwei Wölfe kamen tollend in den Saal gerannt und hielten direkt auf Odin zu. Sie neckten sich gegenseitig, zwackten sich im Rennen in den Hals und stießen schließlich gegen Odins Beine. Der Ase lächelte und wühlte den Tieren liebevoll im Fell. „Ich liebe den Kampf, das stimmt. Ist das verwerflich? Menschen führen Kriege, viele Kriege. Das tun sie bis heute. Ihr rieft mich an, euch in euren schlimmsten Stunden zu unterstützen und ich tat es gern. Ich habe eine Schwäche für starke Krieger, na und? Ich gebot den Menschen nie, in den Krieg zu ziehen, das taten sie von ganz alleine. Um die alten Götter – uns – aus den Herzen der Nordmänner zu vertreiben, wurden dagegen eine Menge Anstrengungen unternommen.“

      „Aber warum hast du das nicht verhindert?“, wollte Thea wissen.

      Ehe Odin antworten konnte, ergriff Wal-Freya das Wort: „Was hätte Odin tun sollen? Die Menschen sind frei, ihren Glauben selbst zu wählen.“

      „Na, so ganz freiwillig war das ja wohl nicht“, murrte Thea.

      „Meistens schon“, erwiderte Wal-Freya achselzuckend.

      „Sei’s drum“, brummte Thor. „Ihr solltet euch jetzt um ganz andere Dinge Sorgen machen.“

      „Kyndill“, bestätigte Thea.

      Thor nickte. „Wo wollt ihr mit der Suche beginnen?“

      Thea schob ihren Teller von sich weg und sah fragend zu Thor, der die Augenbrauen hochzog und die Geste erwiderte.

      Fast vorwurfsvoll sagte Thea: „Du hast Loki das Schwert aus der Hand gerissen. Hast du keine Ahnung, wohin es geflogen ist?“

      „Glaubst du, wir hätten Jahrhunderte darauf gewartet, dass du dich zu einer Wiedergeburt entscheidest, wenn ich eine Vermutung hätte, wo es ist?“, erwiderte Thor.

      Ungehalten verschränkte Thea die Arme und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Und wie soll ich es dann finden? Da ist es wohl einfacher eine Nadel im Heuhaufen zu suchen!“

      „Ganz sicher ist es das“, bestätigte Wal-Freya ungerührt.

      „Beginnt in Niflheim. Dort hat es angefangen“, sagte Odin bestimmt. „Ihr werdet warme Kleider brauchen. Geht nach Hause und besorgt sie euch. Dann brecht auf.“

      „Nicht schon wieder die Treppe runter!“, stöhnte Juli.

      Odin lachte und die beiden Wölfe zu seinen Füßen schnappten die Fröhlichkeit auf, legten sich auf ihre Rücken und streckten wohlig knurrend die Beine in die Luft. Liebevoll wuschelte der Allvater ihnen das Fell.

      „Wir werden euch nach Niflheim begleiten, stimmt doch, Thor?“, sagte Wal-Freya.

      „Ich bin fest entschlossen Loki das Handwerk zu legen“, bestätigte Thor und schlug zur Bekräftigung so hart auf den Tisch, dass das Geschirr darauf kleine Hüpfer machte.

      Zufrieden erhob sich Wal-Freya und wandte sich an die beiden Mädchen: „Wartet hier auf uns. Wir holen unsere Wagen.“ Mit diesen Worten wirbelte sie herum und verließ den Saal. Thor folgte ihr dicht auf.

      Dem staunenden Ausdruck Theas begegnete Juli mit einem glücklichen Lächeln. „Das heißt, wir müssen nicht die Treppe runter“, verdeutlichte sie ihr, doch Thea zuckte nur mit den Augenbrauen. „Ihre Wagen“, wiederholte sie und holte aus den Tiefen von Julis vergangenem Leben Tryms Erinnerungen hervor. Noch während sie in der heraufbrechenden Erkenntnis entsetzt den Mund öffnete, wurde von fern Donnergrollen laut. Juli wirbelte auf ihrem Stuhl herum und blickte durch die Öffnungen der Halle nach draußen. Ein Schatten huschte vorm Himmel hinweg, dann ein zweiter und schließlich ertönten klappernde Geräusche vor der Halle. Die Räder der Wagen rollten über das goldene Pflaster. Maunzende Laute mischten sich mit dem Blöken von Ziegen. Juli stand auf und eilte nach draußen. Zwei Streitwagen, ähnlich denen aus der römischen Antike, parkten auf dem Grund. Wal-Freyas Gefährt wurde von zwei grauen Katzen gezogen, Thors von zwei dickbärtigen Ziegenböcken. Sie scharrten aufgeregt mit den Vorderhufen, während sie mit den Köpfen zappelten und sich gegenseitig mit ihren langen geschwungenen Hörnern berührten.

      „Ich werde verrückt!“, rief Juli aus, aber Thea drehte sich der Magen um. Sowohl Wal-Freya als auch Thor waren dafür bekannt, dass sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf ihren Wagen durch die Luft reisten. Theas Beine kribbelten vor Angst bei dem Gedanken, ohne eine umschließende Wand auf eines dieser Gefährte zu steigen.

      „Darf ich die mal anfassen?“, fragte Juli unbeeindruckt und deutete auf die beiden Katzen.

      Wal-Freya nickte lächelnd und ließ die Zügel des Geschirrs locker, das um Brust und Rücken der Tiere gelegt war. Genüsslich warfen sich die Katzen vor Julis Füße und gaben lautes Schnurren von sich, während Juli ihnen immer wieder über das Fell strich.

      „Wie heißen sie?“

      „Bygul und Trjegul. Sie scheinen dich zu mögen.“

      Odin trat in Begleitung seiner Wölfe aus der Halle und gesellte sich zu ihnen. Treu strichen die beiden Tiere um seine Beine, während sie sich immer wieder gegenseitig neckten und zwischendurch aufmerksam lauschten. Die zwei Raben saßen wieder auf Odins Schulter, drehten hier und da die Köpfe und sahen der Szenerie gespannt zu.

      Auffordernd neigte Thor den Kopf zur Seite und bedeutete Thea zu ihm auf den Wagen zu steigen. „Du kommst mit mir“, erklärte er.

      Tief atmend löste sich Thea aus ihrer Position und zwang sich an den beiden Böcken vorbei. Beinahe schien es ihr, als würden die Tiere sie hinterlistig anlächeln und kaum, dass sie hinter Thor auf dem Wagen stand, nickten sie aufgeregt und scharrten mit den Hufen. Ängstlich umklammerte Thea die Taille des Asen und Thor lachte leise.

      „Ein bisschen Luft solltest du mir noch lassen“, sagte er liebevoll und rief in Julis Richtung: „Können wir los?“

      „Gern! Ich kann gar nicht erwarten, sie in Aktion zu sehen“, antwortete Juli. Sie verabschiedete sich von Bygul und Trjegul und sprang auf. Die Katzen taten es ihr gleich, reckten sich in ihrem Geschirr, maunzten mit erwartungsvoller Vorfreude und traten sanft auf der Stelle.

      Thea, das Gesicht