Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Niflheim


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sich rasch in der Dunkelheit.

      „Nein“, brüllte Loki gedehnt. Schon hatte der Donnergott den Hammer auf Fengur gerichtet. „Und du Junge, gehst jetzt besser nach Hause!“

      Ehe Fengur etwas erwidern konnte, schnürte sich einer der Blitze um seine Hüften und hob ihn hoch in den Himmel. Fengur wurde übel, dann blieb ihm die Luft weg und er verlor das Bewusstsein.

      Wieder waberte das Schwarz um Theas Augen, mischte sich mit den Farben der Umgebung und holte sie in die Gegenwart zurück. Die Norne nickte zufrieden.

      „Das war Fengur“, erklärte sie, lächelte und legte schon wieder die Hand auf Theas Stirn. Abermals verschwand die Welt um sie. Diesmal zog es sie jedoch nicht ins Dunkel – hell und klar wölbte sich der Himmel über ihr. Thea schnupperte und zog milde Luft ein. Plötzlich erstarrte sie. Es roch nicht nach Wiese und Sonnenschein, es roch nach Blut! Rasch riss sie die Augen auf und wuchtete sogleich die Hände in die Höhe. Das auf sie zustürzende Schwert wurde von ihrer eigenen Klinge abgewehrt. Mit einem wütenden Brüllen sprang Njal vor. Sein Schwert wirbelte hoch und prasselte mit mächtigen Schlägen auf den Gegner nieder. Nur für einen Augenblick war der Feind fähig sich zu wehren, schon lag er gefallen vor Njals Füßen. Der Krieger hob den Blick und fand die Wiese von Leichnamen übersäht.

      „Njal! Njal!“, rief es neben ihm.

      Der Krieger drehte sich um. Staunend schoben sich seine Augenbrauen zusammen. „Juli?“

      Der Mann, der ein Kettenhemd über seiner Tunika trug, schaute erkennbar verblüfft unter seinem Maskenhelm hervor. „Noch immer Trym, alter Freund. Haben dir diese Halunken den Verstand herausgeprügelt?“

      Njal schüttelte den Kopf. Sein Gegenüber klang nach Juli und doch wieder nicht. Aber diese Augen, sie schienen unendlich vertraut. Schon tausend Mal hatte Juli so hinter ihrer Fernsehbrille hervorgeschaut.

      Der Mann, der sich Trym nannte, trat heftig gegen einen der leblosen Körper. „Verdammte Ungarn! Wo kamen die plötzlich her?“

      „Nach der Schlacht auf dem Lechfeld haben sich die Hunde sicher in der Umgebung versteckt. Der Hunger hat sie aus den Wäldern gelockt!“, raunte Njal.

      Trym brummte. „Eine Schande uns einfach so anzugreifen. Das war kein ehrenvoller Kampf gegen ein Dutzend halb verhungerte Männer!“

      Njal nickte. „Obgleich ich meine, dass du ihnen wohl kaum etwas von deinem Braten abgegeben hättest, nachdem sie Jahre plündernd über unsere Städte und Dörfer hergefallen sind.“

      Trym lachte lauthals und gab Njal einen freundschaftlichen Hieb auf die Schulter. „Wohl wahr! Lass uns weiterspeisen und alsdann aufbrechen.“

      Trym blieb vor dem Toten zu seinen Füßen stehen und wühlte in dessen Taschen, ehe ihn ein Schrei an seiner Seite herumfahren ließ. Aus nächster Nähe richtete sich einer der niedergestreckten Männer auf. Blut sickerte aus mehreren Wunden aus seiner Brust, und dennoch hielt er sein Schwert hoch erhoben über den Kopf, in der Absicht es auf Trym niederfahren zu lassen. Geistesgegenwärtig holte Njal mit seiner Axt aus und warf sie in Richtung des Angreifers. Die Waffe schlug in dessen Brust und der Mann kippte ächzend hinten über.

      „Ich will das nicht sehen! Ich will es nicht!“, schrie Njal plötzlich und noch während sich Trym erstaunt nach ihm umdrehte, verschwand sein Gesicht im dichten Schwarz. Als Thea die Augen aufriss, war sie im Blick der Norne gefangen.

      „Es war ein hartes Leben zu seiner Zeit“, sagte sie entschuldigend.

      Tränen rannen Thea über die Wangen. „Ich habe ihn getötet! Und viele vor ihm.“

      Die Norne zog die Lippen kraus. „Das ist der Grund, warum man sich in der Gegenwart seiner alten Leben nicht erinnert. Schuld und Trauer von so vielen Leben, würden ein jeden erdrücken. Doch schau in dein Herz und siehe, dass Njal niemals zu seinem Vergnügen tötete und entdecke Njal, den Familienvater, den Freund, den Bauern und den sorgsamen Großvater.“

      Nie dagewesenen Erinnerungen überfielen Thea und sie musste lächeln. Dann sah sie die Norne mit großen Augen an. „Juli! Sie ist …“

      „Trym“, nickte Urd und warf einen Blick über die Schulter. „Sie ist noch dort“, erklärte sie.

      Thea richtete sich auf. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raums lag Juli und schien zu schlafen.

      Thea forschte in ihren Erinnerungen. „Als ich Fengur war, gab es Juli nicht.“

      Urd nickte. „Deine Seele ist älter als Julis.“

      „Gibt es noch andere Leben?“, fragte Thea in einem Anflug von Furcht.

      Die Norne lächelte. „Oh ja, viele, aber für das, was vor dir liegt, hast du genug Erinnerungen.“

      Thea verstand und nickte dankbar. Behäbig erhob sich die Norne vom Bett, ging zu Juli und setzte sich zu ihr. Einige unverständliche Worte murmelnd, legte sie ihre Hand auf Julis Stirn und wenige Augenblicke später erwachte diese. Kaum, dass sie die Norne vor sich sah, entfuhren ihr „Wooohooos“ und „Wuuuhuus“ und schon sprang sie auf, stürzte zu Thea und ergriff ihre Hand. Urd blieb erstaunt auf dem Bett sitzen, legte die Hände in den Schoß und folgte Juli mit ihrem Blick.

      „Mann Thea! Du! Ich! Njal, Trym!“

      Thea konnte nicht anders, sie musste lachen. Mit einem Mal waren die dunklen Erinnerungen an ihr Leben als Njal verraucht und die guten überwogen. Sie schloss die Lider und ließ die auftauchenden Bilder an sich vorüberziehen. Neben ihren eigenen Erinnerungen, füllte nun das Wissen zweier anderer Leben ihren Geist. Unzählige Szenen spielten sich vor ihrem inneren Auge ab. Erst wirkten sie fremd und unwirklich, aber sie sortierten sich rasch.

      „Ja! Du und ich, Njal und Trym“, sagte Thea im Verstehen.

      „Das ist doch Wahnsinn, oder nicht? Wir haben bereits ein ganzes Leben als Freunde geteilt!“, rief Juli überschwänglich.

      Auch in Juli schienen sich die Erinnerungen zu sortieren.

      Thea lächelte. „Es ist unglaublich beruhigend“, sagte sie ehrlich.

      Liebevoll sah Urd die beiden an. „Der Weg, der hinter euch liegt, wird euch den Weg zeigen, den ihr gehen müsst“, sprach sie abschließend. „Nun geht und seid sorgsam mit eurem Wissen.“

      „Danke“, sagte Thea und Juli verneigte sich tief. „Es war mir eine Ehre!“

      „Mir ebenso, Juli“, lachte die Norne. Sie erhob sich langsam und begleitete die beiden nach draußen.

      Als Thea Thor erblickte, war etwas anders. Bevor sie den Asen zum ersten Mal in der Eisdiele traf, war sie ihm schon einmal begegnet – vor vielen hundert Jahren, als Fengur, ehe er Kyndill aus Lokis Händen gerissen hatte. Plötzlich war es, als würde sie ihn wiedersehen.

      Wal-Freya sprach nicht, doch ihre Haltung verriet ihre Ungeduld. Thea nickte ihr bedeutungsvoll zu. Ein Lächeln umspielte daraufhin die Lippen der Asin und sie erwiderte die Geste.

      „Zurück zu Odin“, forderte Thor sie auf.

      Thea spürte Widerstand gegen dieses Vorhaben. Sie hatte noch etwas zu klären. „Wal-Freya, darf ich noch einen Augenblick mit Skuld sprechen?“

      Es schien fast so, als habe die Norne nur auf diese Bitte gewartet. Ohne eine Antwort der Asin abzuwarten, nickte Skuld bereits und schlenderte zum Brunnen. Thea folgte der Norne, die Teil einer Religion war, die sie plötzlich verstand. Zwei Leben lang hatte Thea an die nordischen Götter und deren Bild von der Welt geglaubt. Antworten, die sie bis vor ein paar Stunden noch im Internet suchte, waren plötzlich ein Teil von ihr.

      Thea lief einige Schritte mit der blonden Frau und Norne der Zukunft. Nachdem sie in ausreichender Entfernung waren, raunte Thea. „Damals in Niflheim, da sagte Loki, er wäre bei euch gewesen und würde sein Schicksal kennen.“

      Ertappt senkte Skuld den Kopf.

      „Du