Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Niflheim


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Klappe bedeckt. Halb wurde er von einem mächtigen Umhang umhüllt, der sich vor dem Hals um seine Schultern schloss. Zwei Raben sprangen auf dem Thron umher und fingen Thea mit ihren Blicken ein. Sofort hob auch der Mann den Kopf. Die fröhlichen Stimmen erstarben und folgten dem Auge des Obersten in Richtung Eingang.

      „Hier seid ihr also“, sprach der Mann auf dem Thron, erhob sich und lief die Stufen hinab zur Tafel. Jeder seiner Tritte hallte schwer durch die Halle. Die Raben sprangen auf seinen Rücken und beobachteten die Szenerie aufmerksam. Mit jedem Schritt, den er näher kam, fühlte sich Thea kleiner werden.

      „Hier sind wir“, nickte Thor. Er deutete mit der flachen Hand auf Thea. „Das ist Thea. Thea, das ist Odin, der oberste der Asen und mein Vater.“

      Odin war groß und unheimlich und nicht ein Wort wollte Thea in diesem Augenblick über die Lippen kommen. Ein „Wooohoooo“, ausgestoßen von Juli, rettete Thea aus der unangenehmen Situation. Ohne den erstaunten Blick des Gottes zu beachten, kam Juli auf Odin zu und streckte ihm die Hand entgegen.

      „Angenehm! Mein Name ist Juli!“, erklärte sie.

      Zögernd schlug Odin ein und beantwortete Julis Gruß.

      „Und wer sind alle anderen?“, fragte sie sofort und ein weiteres Mal wünschte sich Thea ein großes Loch, in dem sie verschwinden könnte. Aber die Versammelten lächelten nur und antworteten bereitwillig. Nacheinander hörte Thea fremd klingende Namen, die so schnell aus ihrem Geist verschwunden waren, wie sie sie gehört hatte. Juli winkte den Versammelten kurz zu.

      „Jetzt, da wir das geklärt haben, können wir zum Wesentlichen kommen“, sprach Odin. Er nahm Thea wieder in seinen Blick gefangen. „Du bist also gekommen, um das Schwert zu finden.“

      „Das kann man so nicht sagen“, widersprach Thea leise und senkte den Kopf.

      „Wie bitte?“

      Mit einem geringschätzenden Blick auf Thea erklärte

       Wal-Freya: „Wir konnten ihr die Tragweite des Problems bisher nicht klar machen.“

      „Ich weiß“, nickte Odin. Als hätten sie seine Worte verstanden, nickten auch die Raben auf seiner Schulter. Der oberste der Götter deutete auf einen freien Stuhl und befahl: „Setz dich, Thea!“

      Thea nahm Platz. Wal-Freya und Thor taten es ihr gleich. Juli setzte sich auf den freien Stuhl neben Thor.

      „Der Platz, auf dem du jetzt sitzt“, erklärte Odin, während er die Fäuste auf die Tischplatte stützte, „ist der Balders.“ Die umsitzenden neigten die Köpfe. Auch Odins Stimme senkte sich in tiefer Trauer. „Balder war mein erstgeborener Sohn. Er starb durch Lokis List. Er stürzte uns damit alle ins Verderben. Einst nahmen wir Loki bei den Asen auf. Wir schätzten seinen Rat und vergaben ihm die ein oder andere üble Tat, zu der es ihn immer wieder hintrieb. Was wir jedoch nicht sahen war, dass all zu oft Arglist und Eifersucht sein Tun steuerten und schließlich seinen Hass auf Balder beschworen. Vieles haben wir ihm vergeben, doch Balders Tod können wir ihm nicht verzeihen. “

      Thor ergriff das Wort: „Wir nahmen Loki gefangen, um ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen. Doch er entkam und das hätte niemals geschehen dürfen.“

      Odin brummte und nickte zustimmend. „Aber es geschah und wir sind davon überzeugt, dass er nun das Schwert sucht. Er hat sich bei den Riesen danach erkundigt. Loki strebt nach einer mächtigeren Waffe, seit wir die unseren bekamen. Nun, da er nicht mehr unser Bruder ist, dürstet es ihn nach deinem Schwert. Nur mit diesem wird es ihm gelingen, uns zu bekämpfen.“

      „Darum suchten wir nach dir, Thea. Du sollst uns helfen vor Loki an das Schwert zu gelangen“, erklärte Wal-Freya.

      „Es ist nicht mein Schwert!“, wehrte Thea ab. Verzweifelt sah sie sich um, ehe sie den Kopf senkte. „Ich will einfach nur wieder nach Hause“, flüsterte sie.

      „Aber wir brauchen dich, Thea. Wir suchen das Schwert seit langer Zeit, doch es hält sich vor uns verborgen. Du bist mit ihm verbunden, vielleicht bist nur du in der Lage, es zu finden“, erwiderte Odin.

      Thea hob den Kopf und sah den Allvater flehentlich an. „Ich bin sicher, dass ich es auch nicht finden werde. Ihr seid Götter. Was soll ich ausrichten können, wenn ihr es selbst nicht schafft?“

      Grollend donnerte Odin mit der Hand auf die Tischplatte. „Es gibt kein Zurück! Loki weiß, dass wir dich aufgesucht haben. Er wird dich ebenfalls finden.“

      „Dann werde ich ihm das Gleiche sagen wie euch“, versprach Thea.

      „Damit wird er sich nicht zufriedengeben, Thea und er wird dein Leben nicht schonen, wenn du ihn zurückweist!“

      „Warum sollte Loki mich töten? Dazu besteht kein Grund“, wehrte Thea ab.

      „Weil er es schon einmal getan hat!“, knurrte Odin und Thea hatte das Gefühl von seinen Worten tief in die Knie gezwungen zu werden.

      Thor trat vor und hob die Hände vor sich. „Wir haben es ihr noch nicht gesagt“, erklärte er rasch.

      „Was?“, rief Odin. Er drehte seinen Kopf so schnell in Thors Richtung, dass die beiden Raben schimpfend von seiner Schulter sprangen. Die Köpfe aller Anwesenden folgten seinem Blick. Thor hob entschuldigend die Brauen.

      „Es ergab sich noch keine Gelegenheit ihr zu erklären, wer sie ist – war“, erklärte Thor.

      Falls sich nun doch irgendwo ein Loch im Boden auftun würde, das groß genug wäre um sie aufzunehmen, so wollte Thea augenblicklich darin versinken, doch der Boden blieb fest und schwer atmend hörte sie Odins folgenden Worten zu.

      „Es war eure Aufgabe, es ihr zu sagen!“

      „Sie war schon so kaum anzusprechen“, murrte Thor.

      Odin richtete nun den Finger auf Thea. „Du hast dieses Schwert geschmiedet, so wirst du Sorge dafür tragen, dass es nicht in Lokis Hände gelangt! Du wirst es suchen und an dich nehmen!“

      „Ich habe kein Schwert geschmiedet!“, protestierte Thea.

      Odin öffnete den Mund, doch bevor er in der Lage war etwas zu erwidern, trat Wal-Freya vor und ergriff Theas Hand. Widerwillig folgte sie der obersten Schildjungfer. Wal-Freya war groß – hinter ihrer hellen, makellosen Haut war keine Regung zu erkennen. Härte und Unbeugsamkeit strahlte sie aus. Thea fürchtete sich davor, mit ihr alleine zu sein. Wal-Freya zog sie in einen Raum neben der Halle. Er war ebenso hoch wie der Saal und genauso kahl. Sie stellten sich an ein glasloses Fenster, das weithin Himmel und Erde überblicken ließ. Der Regenbogen, der sich vom Rand des Plateaus auf die Erde niederstreckte, leuchtete mit der Sonne um die Wette.

      „Setz dich, Thea“, sprach Wal-Freya in die Stille hinein. Obwohl sie ihre Worte leise wählte, hallten sie laut von den Wänden wider.

      Thea nahm auf dem Fenstersims Platz und Wal-Freya setzte sich neben sie. Zum ersten Mal zeigte sich eine Regung in ihrem Gesicht. Ihre Züge wirkten fast mütterlich, als sie Thea erklärte: „Ich erzählte dir, dass du eine Nachfahrin Fengurs bist, aber das ist nicht die Wahrheit.“ Sie machte eine Pause von scheinbar unendlicher Länge, als sie weiter sprach, waren allerdings nur wenige Sekunden verstrichen. „Du bist Fengur, der Schmied, wiedergeboren als Thea.“

      Erschrocken schnappte Thea nach Luft und sprang auf. „Was redest du da? Das kann nicht sein!“

      Wal-Freya lächelte vergnügt. „Und doch ist es so.“

      „Aber … ich bin eine Frau!“

      „Manchmal hat man Glück“, erwiderte Wal-Freya trocken, nahm Theas Hand und zog sie wieder neben sich. Thea setzte sich und schüttelte ungläubig den Kopf.

      „Als wir uns in Midgard trafen, wolltest du schon nicht glauben, dass wir Götter sind, wie hättest du reagiert, wenn ich dir gesagt hätte, dass du die Wiedergeburt eines Wikingerschmieds bist? Jetzt bist du hier in Asgard. Jetzt musst du uns glauben.“

      „Ihr hättet einen Blitz schleudern können, oder was