Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Niflheim


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Das ist so krass! Unglaublich! Der blanke Wahnsinn! Schau dich mal um! Sieh dir die Burg an! So perfekt hätte das niemand programmieren können! Als wären wir auf einem Holodeck! Wie im Traum.“

      „Ja, ganz toll“, antwortete Thea abwehrend.

      „Extrem cool!“, erwiderte Juli. Sie zwickte Thea in den Arm, die mit einem Aufschrei eine Hand über die Stelle legte und Juli böse ansah.

      „Au! Was soll das?“

      „Wach! Wir sind wach!“, rief Juli im Laufen und blieb in einiger Entfernung stehen. „Waaahuuu! Schau doch! Man kann von hier oben auf die Erde hinabschauen! Ich werde wahnsinnig!“

      „Ich habe das Gefühl, das bist du schon“, grunzte Thea, zog die Beine an und bedachte Wal-Freya mit einem forschenden Blick.

      Diese sah seufzend in Julis Richtung. „Setz dich endlich, Kind! Wir wollen reden!“, schimpfte sie.

      Fast glaubte Thea, ein Lächeln über die Lippen des Mannes huschen zu sehen. Er beugte sein Knie und legte die Arme über das angewinkelte Bein.

      Juli hopste heran. „Jetzt sei nicht so! Freu dich doch!“

      „Mich freuen?“

      „Ja, dich freuen! Andere würden ihre ganzen Ersparnisse dafür opfern, um nur einmal hierher zu kommen. Also ich freue mich!“

      „Wollt ihr jetzt zuhören?“, klagte Wal-Freya.

      „Schön für dich. Du wurdest ja nicht von zwei Verrückten verfolgt und entführt“, erwiderte Thea, ohne auf den Einwand zu reagieren.

      Juli grinste breit. „Das wurde ich doch auch, Dummkopf! Aber ich glaube ehrlich gesagt nicht mehr daran, dass sie verrückt sind.“

      Sie fing sich einen ungemütlichen Blick von Wal-Freya ein.

      „Wir sollten gleich zu den anderen in die Halle gehen“, raunte Thor.

      Wal-Freya sah lange zu Thea, ehe sie seufzte: „Wahrscheinlich hast du Recht.“ Sie stand auf und reichte Thea die Hand. „Komm!“

      „Wohin?“, erwiderte Thea abwehrend.

      „Nach Gladsheim, Odins Palast. Dort werden wir das weitere Vorgehen besprechen.“

      „Gladsheim? Odin?“, entgegnete Thea fassungslos und weinerlich schob sie nach: „Was soll das nur alles? Ich verstehe es nicht!“

      „Du wirst es verstehen, wenn wir dort sind“, ermunterte sie die Frau, aber Thea schüttelte nur den Kopf.

      „Und was, wenn ich mich weigere?“

      Juli stellte sich zwischen Thea und Wal-Freya und hob die Hand. „Lass mich mal machen“, sagte sie zur Walküre. Dann stemmte sie die Hände in die Hüften und zog eine Schnute. „Die mutige Fengurd, die immer über mich lacht, wenn ich nicht vorpreschen will, weigert sich?“

      Thea blickte sich unbehaglich um. „Fengurd ist eine Spielfigur, Juli. Das hier ist echt! Was immer hier auch echt ist.“

      Juli nickte heftig. „Alles ist echt! Es ist der reinste Wahnsinn! Du müsstest dich nur umgucken. Es ist fantastisch! Jetzt komm schon! Bitte! Du kannst dich später immer noch weigern.“

      Thor nahm neben Wal-Freya Aufstellung und rückte in Theas Blickfeld. Sie senkte die Stimme, zog eine Grimasse und wisperte ihrer Freundin eindringlich zu: „Sie wollen zu Odins Palast, hast du nicht gehört? Odin! Der Gott!“

      Juli nickte heftig. „Wenn du die Wiese da runterläufst, kannst du den Regenbogen entdecken, auf dem wir hergekommen sind. Du bist ja lieber in Ohnmacht gefallen, als es selbst zu erleben.“

      „Das ist verrückt!“, beharrte Thea, die glaubte, die ganze Welt würde über ihr zusammenbrechen.

      „Eigentlich schon. Aber es ist echt echt!“, erwiderte Juli und tanzte ungeduldig auf den Füßen.

      „So ist es und jetzt los!“, befahl Wal-Freya und schob Juli zur Seite, um Thea ein weiteres Mal die Hand entgegen zu strecken.

      Unsicher schlug Thea ein und ließ sich aufhelfen. Wal-Freya seufzte hörbar und ging voran.

      „Und was, wenn sie uns umbringen wollen?“, flüsterte Thea Juli zu und diese lachte beherzt.

      „Das hätten sie doch schon längst machen können!“

      Thor verschränkte die Arme vor der Brust und nickte. „Allerdings. Dazu müssen wir dich nicht nach Asgard bringen.“

      „Oh, Thea bitte! Wovor hast du denn Angst?“ Sie schubste Thea mit der Schulter an.

      „Wie kannst du nur keine haben?“, erwiderte Thea und als Juli ungeduldig den Kopf schief legte, lenkte Thea ein: „Ich komme, aber nur, weil du es wünschst.“ Sie wechselte den Blick zwischen Thor und ihr. „Und weil ich wohl ohnehin keine Wahl habe.“

      Thor lachte leise und beantwortete Theas Worte mit einem leichten Nicken.

      Sie liefen eine Weile über die Wiese, bis sie auf eine hohe, goldene Mauer stießen. Ein Rundbogen gab den Weg hinter der Barriere frei und eröffnete die Sicht auf eine lange Brücke, die sich ein paar hundert Meter weiter in mehrere Wege teilte. Von weitem sah diese Burg aus wie ein einziges Gebilde. Doch jeder Weg führte zu einem anderen Palast. Gemein hatten die Gebäude nur die reetgedeckten Dächer. In ihrer Gestaltung wichen sie völlig voneinander ab. Thea folgte den goldenen Pfaden mit ihrem Blick. Einige schraubten sich steil in die Höhe, andere verliefen weniger senkrecht zu tiefer gelegenen Palästen. Thea musste mehrmals zum Zählen ansetzen, bis sie schließlich auf zwölf Wege zu zwölf Palästen kam. Thor steuerte auf den Pfad zu, der geradewegs vor ihnen lag und sich weiter als alle anderen zum höchsten Palast erstreckte.

      „Klar! Ganz oben!“, seufzte Thea und zum ersten Mal, seit Thea aus ihrer Ohnmacht erwacht war, machte auch Juli ein unglückliches Gesicht.

      „Gladsheim liegt über allen anderen Palästen. Er ist der Sitz des Allvaters. Nur hier ist es Odin möglich über alle neun Heime der Welt zu blicken“, erklärte Wal-Freya und lächelte.

      „Habt ihr denn da keinen anderen Weg hochzukommen? Ihr seid doch Götter, oder nicht?“, motzte Juli und Thor lachte erheitert.

      „Was meinst du, Juli? Einen Aufzug etwa?“, fragte er.

      Sie zuckte mit den Schultern. „Irgendetwas wie das. Seht mal wie schnell wir über die Regenbogenbrücke hierher gekommen sind. Das hat nur wenige Minuten gedauert, obwohl das von hier oben aussieht, als wären es Kilometer.“

      „Nach Gladsheim ist es nicht ganz so weit. Hier braucht es keinen Bifröst“, erwiderte Thor, winkte ab und stapfte weiter. „Außerdem ist es ein gutes Training!“, fügte er an.

      Sie liefen Thor hinterher, der den Aufstieg ohne Rast anführte. Theas stille Hoffnung, dass es nicht doch irgendeinen Trick zum Erreichen des Palastes gab, erstarb sofort. Eine ganze Stunde später endete der Aufstieg vor einem mächtigen Tor, über dem sich eine große, goldene Halle wölbte. Juli beugte sich erleichtert vor und stützte sich auf ihre Knie, während sie nach Luft rang. Unerbittlich war der Donnergott vorangestiefelt, ohne ihnen eine Pause zu gönnen. Nun brannten nicht nur Julis Lungen, sondern auch ihre Beine und Thea erging es nicht anders. Nur kurz ließ Thor die beiden verschnaufen, dann lief er weiter auf den Torbogen zu und geradewegs hindurch in die Halle. Die hohe Kuppel thronte auf mehreren Säulen, welche breite Spalten bildeten und rundherum einen großzügigen Blick auf die Außenwelt zuließen. Inmitten des Raumes stand eine Tafel. Etwa zehn Menschen saßen daran, aßen, tranken und unterhielten sich ausgelassen. Sie ähnelten in ihrem Aussehen Thor und Wal-Freya, obgleich ihre Kleidung eine andere war. Thea fühlte sich wie in einen Wikingerfilm versetzt und auch Juli war die Faszination wieder anzusehen – obwohl sie noch immer nach Atem schnappte. Am Ende der Tafel, auf einer pyramidenförmigen Erhöhung, saß ein breitschultriger Mann. Sein weißes Haar war zottelig und lang, ebenso sein Bart. Am Mund und am Kinn war das Barthaar zu kleinen Zöpfen geflochten. Über einer Tunika schloss sich ein breiter