Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Niflheim


Скачать книгу

anhob, wurde Theas Name durch den Park gerufen. Erleichtert folgte Theas Blick der Stimme. Aus einiger Entfernung stapfte Frau Helmken heran. Die Jacke ihres Mannes um ihren Oberkörper geschlungen und die Füße rasch in ein paar Gummistiefel gesteckt, schlotterte eine Trainingshose um ihre Beine. Es war nicht zu übersehen, dass sie in der Auswahl ihrer Kleider nicht wählerisch gewesen war, als sie sich auf die Suche nach ihrer Tochter begeben hatte. Thea vermutete, dass sich unter dieser Kluft ein Schlafanzug befand.

      „Mama!“, rief sie und schon rannte sie ihrer Mutter entgegen. Beruhigt fiel sie ihr in die Arme und schaute erleichtert an die Stelle zurück, an der die beiden Verrückten standen – sie waren nicht mehr da!

      Theas Mutter erwiderte die Umarmung. „Verdammt, Thea! Wo bleibst du nur? Ich komme um vor Sorge! Du hast also doch wieder gespielt! Darum stellst du auch das Handy aus!“ Sie hob den Blick und verfolgte einen Falken, der gerade kreischend über sie hinweg flog.

      Thea löste sich aus der Umarmung. „Tut mir leid, der Akku ist leer“, erklärte sie. Zur Bekräftigung ihrer Aussage zog sie das Telefon aus der Tasche.

      „Ich habe bei Juli angerufen, da ich glaubte, dass du dich noch immer dort aufhältst. Als sie sagte, dass du schon eine ganz Weile fort bist, bin ich dir gleich entgegengelaufen.“

      „Danke! Ich bin froh, dass du das getan hast“, erwiderte Thea ehrlich.

      Frau Helmken zog fröstelnd die Jacke enger. „Wer waren die beiden?“, fragte sie.

      „Der Mann aus der Eisdiele. Er hat mich verfolgt und die Frau hat mich festgehalten. Sie behaupteten, sie seien Thor und Wal-Freya und ich solle ihnen helfen ein Schwert zu finden“, antwortete Thea weinerlich.

      „Was?“, rief Frau Helmken und zog das Handy aus der Tasche. „Jetzt reicht es! Ich rufe die Polizei!“

      Kaum hatte sie es ausgesprochen, tippte sie bereits die Nummer. „Guten Abend, mein Name ist Ilona Helmken. Meine Tochter wurde gerade im …“, sie stockte und runzelte die Stirn. Ihre Stimme wurde dünn, „Odin-Park …“ Sie legte die Hand über das Telefon und sah Thea streng an. „Das war kein dummer Scherz von dir?“

      Thea schnappte nach Luft. „Nein!“

      Sie nickte und fuhr fort: „Meine Tochter wurde gerade im Odin-Park von zwei Leuten belästigt, die behaupteten Thor und Freya zu sein. Sie wurde bereits vor einigen Tagen von einer dieser Personen bis nach Hause verfolgt.“

      Sie schwieg für einen Moment, behielt Thea aber im Blick. „Nein, sie sind verschwunden. Ja … ja. Sofort? Gut. Wir sind auf dem Weg.“

      Frau Helmken steckte das Handy weg. „Sie schicken eine Streife, die die Gegend abfahren wird. Du und ich sollen auf die Wache kommen, um eine Aussage zu machen.“ Sie nahm Theas Hand. Aufmunternd lächelte sie ihr zu. „Keine Angst, das dauert sicher nicht lange.“

      Im sanften Griff ihrer Mutter ließ sich Thea nach Hause bringen. Dort erzählte Frau Helmken dem Vater rasch von den Ereignissen, während sie nach dem Autoschlüssel und ihrem Portemonnaie griff. Besorgt und fassungslos zugleich ließ Herr Helmken sie gehen. Er küsste Thea zum Abschied auf die Stirn und bat darum, ihn sofort anzurufen, wenn die beiden zurückfahren würden.

      Drei Stunden später öffneten sie erschöpft und müde die Haustür. Über eine Stunde hatten sie gewartet, ehe Thea ihre Aussage machen durfte. Gleich dreimal musste sie die Ereignisse schildern. Das erste Mal hatte der Polizist aufmerksam zugehört, die beiden nächsten Male Thea immer wieder mit Fragen unterbrochen und sich dabei die Täter beschreiben lassen. Erst dann hatte er gestattet, dass sie nach Hause fuhren, wo Thea ihren Vater erleichtert in die Arme schloss. Gefangen von den Ereignissen und mit aufkeimender Hoffnung, dass die Polizei ihr helfen würde, legte sich Thea schlafen. Sie hoffte inständig, den Mann nie wieder zu sehen. Er war unheimlich und die Frau war nicht viel besser.

      Der Schrecken des vergangenen Abends milderte sich mit dem anbrechenden Morgen nicht. Auch Frau Helmken war noch immer besorgt, als sich Thea zu ihr an den Frühstückstisch setzte. Zu ihrer Verwunderung war Mats ebenfalls wach. Mit großen, fröhlichen Augen sah er Thea an, während er an seinem Schokotoast kaute.

      „Wie geht es dir, mein Schatz?“, begrüßte Frau Helmken sie.

      „Ganz gut“, antwortete Thea.

      „Ich fahre dich zur Schule!“, verkündete Frau Helmken.

      Thea nahm einen Schluck aus ihrer Tasse. „Das brauchst du nicht. Wirklich!“, wehrte sie ab. „Ich habe Juli eine Nachricht geschickt. Sie kommt vorbei und holt mich ab.“

      „Ich weiß nicht. Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist? Soll ich dich nicht doch lieber fahren?“, erwiderte ihre Mutter.

      „Der Polizist hat gesagt, sie würden die Gegend kontrollieren und er glaubt nicht, dass sie noch einmal auftauchen, wenn sie erst die Polizeipräsenz bemerken.“

      „Ich mache mir trotzdem Sorgen!“

      Ehrlicher Weise war auch Thea nicht ganz wohl bei dem Gedanken, alleine mit Juli zur Schule zu laufen. Sie befürchtete aber unangenehme Fragen ihrer Mitschüler, wenn sie sich plötzlich von ihrer Mutter zur Schule begleiten lassen würde. Lange saß sie am Fenster, starrte hinaus auf die Straße und wartete. Es war schon hell und im Schein der aufgehenden Sonne sah sie hier und da einige bekannte Gesichter. Lea und Carina aus der Parallelklasse liefen laut quasselnd vorbei, dicht auf Björn, völlig in sein Handy vertieft, aber erst als sie Juli vor dem Haus stehen sah, trat Thea hinaus.

      Ihre Freundin trug einen Rucksack über der linken Schulter und lehnte am gegenüberliegenden Gartenzaun. Am Morgen wirkten Julis Augen noch viel kleiner als sonst. Schlecht gelaunt blickte sie unter ihrer großen Brille hindurch, was jedoch vielmehr an der Tatsache lag, dass ihr der Tag zu früh anbrach, als an Theas Bitte sie abzuholen.

      Noch einmal wurde die Tür aufgerissen und Frau Helmken trat auf die Straße, Mats auf ihrem Arm. „Passt auf euch auf!“, rief sie.

      „Klar Mama! Tschüss Mats!“, rief Thea und winkte flüchtig, während sie sich bei Juli einhakte. Rasch zog sie sie mit sich.

      „Was ist denn los? Seit wann brauchst du eine Eskorte zur Schule?“, wollte Juli wissen.

      „Gestern Abend ist etwas passiert“, erklärte Thea ohne Umschweife.

      Juli lachte. „Sehr aufschlussreich. Und was? Hat dich Dein_Tod aufgesucht?“

      Thea schüttelte energisch mit dem Kopf. „Nein. Ganz anders. Kannst du dich noch an den rothaarigen Typen von der Eisdiele erinnern?“

      „Rothaariger Typ?“, wiederholte Juli grinsend und schob mit dem Zeigefinger ihre Brille hoch. Thea fand, dass die Gläser aussahen wie kleine Fernseher. Groß und mit dickem schwarzen Rand bildeten sie einen scharfen Kontrast zu Julis rundem Gesicht.

      „Wir haben doch über ihn gesprochen!“, erinnerte Thea.

      „Weiß nicht, haben wir?“

      Sie blieben an der Ampel stehen und warteten auf Grün, ehe sie weiterliefen.

      „Er hat mich verfolgt, bis in den Park!“, platzte Thea heraus.

      Juli blieb abrupt stehen. „Ach der! Wie jetzt: verfolgt?“ Unwillkürlich blickte sich Juli um, doch entlang der Gehsteige bewegten sich nur bekannte Gesichter.

      „Er behauptet er hieße Thor und da war noch eine Frau, die meinte, sie sei Wal-Freya.“

      „Sehr gut, Thea!“, lobte Juli sie plötzlich und setzte sich wieder in Bewegung. „Fast wäre ich darauf reingefallen.“

      „Es ist mein voller Ernst! Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn meine Mutter nicht aufgetaucht wäre.“

      „Deine Mutter?“ Die Erinnerungen an den gestrigen Abend schlichen sich zurück in Julis Gedächtnis. „Oh, deine Mutter! War sie sehr sauer?“

      „Nein. Sie war