Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Niflheim


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Stande ihm seine Bitte abzuschlagen.“

      Thea zog eine Grimasse. „Eine List!“

      „So ist es. Er gaukelte Liebe vor, um das zu erfahren, was er ohne meine Liebe nie erfahren hätte.“

      „Hast du das nicht vorausgesehen?“

      Die Norne nickte. „Schon.“

      „Und du hast es ihm trotzdem erzählt?“

      „Das Schicksal ist unabänderlich.“

      Thea schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich nicht.“ Sie blickte sich nach Thor und den anderen um, die noch immer geduldig auf sie warteten.

      „Was hast du Loki erzählt?“, forschte sie.

      „Ich offenbarte ihm sein Schicksal“, antwortete Skuld nichtssagend.

      Thea seufzte ungeduldig. „Und wie sah das aus?“

      „Ich sagte ihm voraus, dass er eines Tages Balder töten würde und die Asen ihn für diese Freveltat bestrafen würden. Gebunden an drei Felsen würde er unter einer gifttropfenden Schlange liegen und Schmerzen leiden, bis Ragnarök heranbricht, der Tag, an dem sich das Schicksal der Götter entscheidet.“

      „Das meinte er also damals. Er sagte, er würde sein Schicksal kennen und es nicht zulassen, dass es eintrifft. Darum wollte er mein Schwert haben.“

      „Das Schicksal ist unabänderlich“, beharrte die Norne.

      „Balder ist tot“, stellte Thea fest.

      „So war es ihm vorherbestimmt.“

      „Und?“

      Die Norne sah Thea verdutzt an.

      „Sollte Loki deinen Angaben zufolge jetzt nicht gefesselt unter einer Giftschlange liegen?“

      Die Norne hielt an ihrem Glauben fest: „Es wird eintreffen.“ Weniger überzeugend fügte sie hinzu: „Später als einst vorherbestimmt. Aber es wird geschehen und er wird sterben …“

      Thea lachte bitter. „Sterben? Wenn das das Wesentliche an deinen Prophezeiungen ist, kann ich auch Schicksale weissagen.“

      „Es tut mir leid, ich weiß, dass dich mein Handeln in Schwierigkeiten gebracht hat. Sei nicht verbittert. Alles wird gut enden.“

      „Es fällt mir schwer, daran zu glauben“, erwiderte Thea. „Auch wenn du es anders siehst, aber Loki hat sein Schicksal geändert. Er ist nicht auf den Steinen gebunden. Und ob du es willst oder nicht, du hast ihm geholfen seiner Bestimmung zu entrinnen. Wie willst du jetzt wissen, dass ich bei diesem Unternehmen nicht sterbe?“

      Skuld ergriff ihre Hand. „Vertraue, Thea!“

      Verzweifelt sah Thea sie an. „Ich kann nicht“, flüsterte sie und mit diesen Worten ließ sie die Norne stehen und lief zu den anderen zurück.

      5. Kapitel

      Zurück in Gladsheim fanden Thea, Juli, Thor und Wal-Freya einen hoch zufriedenen Odin vor. Er lächelte die Mädchen an und hieß sie mit offenen Armen Willkommen. Die Festtafel war inzwischen verlassen. Odin wies ihnen die freien Plätze zu und fordknuferte sie auf, sich von der reich gedeckten Tafel zu bedienen. Während Thea und Juli zögerten, schwang Thor das Bein über einen Stuhl und hatte sich bereits den Teller beladen, noch ehe er richtig saß. Sahnespuren blieben in seinem Bart hängen, als der erste zusammengerollte Pfannkuchen in seinem Mund verschwand.

      Wal-Freya knuffte Thea ermutigend auf den Arm und zog ihr einen Stuhl heran.

      „Ich sehe dich verändert, Thea, und dich ebenso, Juli“, sagte Odin, nachdem sich auch die beiden Mädchen gesetzt hatten.

      Andächtig blickte Juli über die dunkle Holztafel mit ihren vielen Schüsseln und Tellern. Pfannkuchen, Bratäpfel, verschiedene Mus-Sorten und Saucen bildeten nur einen Teil der süßen Speisen. Gebackener Fisch, Fladenbrote und Eintöpfe reihten sich gleich neben verschiedenen Joghurtsaucen auf. Juli lud sich den Teller mit dampfenden Waffeln voll und packte einen großen Klecks Sahne, Honig und Apfelstücke darüber. Währenddessen griff Thea zu einem Fladenbrot, das mit Kräutern durchbacken war. Stückchenweise tauchte sie es in einen Topf mit Minzsauce, ehe sie es in den Mund steckte. Es schmeckt göttlich, dachte sie, und musste unwillkürlich kichern. Göttlich … wie sollte es anders schmecken, in Gladsheim, dem Sitz Odins, dem obersten Gott der Asen. Zwei Leben lang hatte sie genau diese Personen angebetet, mit denen sie jetzt die Speisen teilte. Odin, der Allvater, der eines seiner Augen geopfert hatte, um ewige Weisheit zu erfahren, Freya, die Liebesgöttin, die eine Wanin war, ehe sie nach dem Krieg mit den Asen an deren Hof kam. Erst später, als sie die Führung der Walküren annahm, wurde sie zu Wal-Freya. Thor, der Gott des Donners, Beschützer der Menschen, fast beliebter in Theas alten Sippen als der Allvater selbst. Ihm waren alle roten Tiere geweiht, das Eichhörnchen und der Fuchs ebenso wie das Rotkehlchen. Es war zu unglaublich, um wahr zu sein und doch geschah es – gerade in diesem Augenblick. In ihrem neuen Leben wusste sie bislang nichts von den Asen und ihrer Geschichte, die Asen waren keine Götter mehr in ihrer Welt, sie waren zu Mythen verklärt worden. Aber mit der Erinnerung an ihre vergangenen Leben war auch alles Wissen um ihre alten Götter zurückgekehrt.

      „Wie kommt es, dass ihr von der Welt verschwunden seid?“, fragte Thea und Juli sah sofort achtsam von ihrem Teller auf.

      „Ja! Wie kommt das?“, schloss sie sich Theas Frage an.

      „Verschwunden? Ich finde wir sind ziemlich unverschwunden, oder nicht?“, erwiderte Thor.

      Odin zwirbelte einen seiner Bartzöpfe und betrachtete Thor einen Moment, ehe er antwortete.

      „Die Menschen haben sich einem anderen Gott zugewandt. Einem, dessen Zeichen das Kreuz ist.“ Er zeigte auf Theas Brust, die ihren Anhänger ertappt mit der Faust umschloss und unter das T-Shirt schob. Geringschätzend brummte Thor und lud abermals seinen Teller voll.

      Odin beugte sich in seinem Stuhl vor, legte die Ellenbogen auf die Knie und faltete die Hände. „Ein Gott mit guten Ideen, doch von Menschen mit Machtsucht verbreitet, die von Dogmen geknechtet, freie Menschen gegen deren Willen zwangen sich ihrem König und ihrem Gott zu unterwerfen.“

      „Ich habe gehört, dass die Nordmänner ziemlich grausam waren …“, warf Juli provozierend ein.

      „Was willst du damit sagen?“, knurrte Odin

      Juli ließ den Kopf auf ihren Teller gerichtet und äugte unsicher zu Odin hinüber. „Naja“, raunte sie schließlich, „vielleicht war es ganz gut, dass man sie dem christlichen Glauben unterwarf.“

      „Weil der so viel friedlicher ist?“, höhnte Odin. „Wer spricht das? Wohl kaum Trym.“

      Juli hob den Blick und begegnete dem Theas. Lange schaute sie ihre Freundin an und Thea wusste, dass sie gerade in ihrem früheren Leben verweilte. Schließlich schüttelte Juli den Kopf. „Nein, Trym mochte seinen Glauben und seine Götter.“

      Odin beugte sich ein weiteres Stück vor. Sein Blick ruhte fest auf Juli. „War Trym grausam?“

      „Nein!“, rief Juli empört.

      „War sein Glaube grausam?“ Odin sprach es langsam und eindringlich aus und Juli presste die Lippen zusammen.

      „Nein …“, sagte sie im Bedauern und das Zucken um ihre Mundwinkel ließ jeden im Raum spüren, dass es mit dieser kurzen Antwort noch nicht getan war. Dennoch zögerte sie.

      Odin verschränkte die Arme und streckte den Rücken. „Aber?“

      Juli wippte die Gabel in ihren Händen und drehte schließlich den Kopf in Odins Richtung. „Du bist ein Kriegsgott, die Christen predigen Frieden.“

      Wal-Freya