Stefan Heidenreich

Fünf Tage - Thriller


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Suleyman, die Mutter des Mädchens, war jedoch nur dazu bereit, telefonisch Auskunft zu geben. Wenn ihr Mann etwas davon erführe, dann würde er nach ihren Worten buchstäblich im Dreieck springen. Er hatte den Tod seines einzigen Kindes nie verwunden. Die Frau berichtete, dass ihre Tochter bereits seit Monaten über Unterleibschmerzen geklagt hatte und damals von einem Arzt zum nächsten geschickt wurde. Dem ursprünglichen Verdacht des Gynäkologen, dass die Tochter an Gebärmutterhalskrebs erkrankt sein könne, ging niemand ernsthaft nach. Hätte man damals die Zeit nicht in den Wartezimmern verschiedener Ärzte verbracht, sondern sofort mit der Behandlung begonnen, dann hätte das Mädchen nach der Überzeugung des Vaters noch gerettet werden können.

      Rene fiel auf, dass dies der erste Fall war, bei dem die Diagnose des Gynäkologen bereits in Richtung Krebs ging und nicht erst im Krankenhaus entdeckt wurde. Wie die Mutter berichtete, hatten damals alle Laborbefunde, die der Gynäkologe zur Auswertung in Auftrag gegeben hatte, bereits deutlich eine Krebserkrankung bescheinigt. Rene wollte die Frau, die ihren Mann zurückerwartete, nicht unnütz dessen Zorn aussetzen und verabschiedete sich nach diesen wenigen Worten von ihr. Den Rest, so hoffte er, könnte eventuell Thomas später dazu beisteuern.

      Mit Sicherheit befanden sich viele Informationen noch in den Unterlagen der Rechtsabteilung. Auch Antworten, auf die neuen Fragen, die Thomas dem Fragenkatalog hinzugefügt hatte. Auf jeden Fall wären es die wohl einzigen Unterlagen, die in Papierform existieren sollten und nicht nur in Meinbergs Computer.

      Es war inzwischen kurz vor 15.00 Uhr und Rene wusste, dass Thomas sich jeden Moment telefonisch bei ihm melden würde. Wie aufs Stichwort klingelte das Festnetztelefon. „Habe ich dich geweckt?“

      „Nein", erwiderte Rene. „Ganz im Gegenteil. Ich war heute schon fleißig. Erinnerst du dich an einen Fall Suleyman? Laut der Mutter der Patientin hat der Vater damals das Krankenhaus wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt. Der Fall könnte gerade noch in der Zeit verhandelt worden sein, als du noch Referendar in der Rechtsabteilung warst.“

      Thomas kannte diesen Fall sehr gut. „Genau! Das war doch die Sache mit dem 17-jährigen Mädchen, bei dem ein Gynäkologe bereits von Anfang an auf Krebs getippt hatte. Der Vater hat damals mehrere Anwälte verschlissen und zum Schluss doch den Prozess verloren. Wenn ich mich recht erinnere, dadurch, dass wir ihn vor Gericht diskreditiert haben. Wie gesagt, es ist ein schmutziges Spiel, bei dem es nicht immer ehrlich zugeht.“

      Auch wenn es Rene nicht gerade begeisterte, was er da hörte, freute er sich trotzdem wie ein kleines Kind über diesen Zufall. „Genau den Fall meine ich. Weißt Du, ob es noch Unterlagen gibt? Ich denke mal, dass Meinberg die Gerichtsakten nicht so einfach verschwinden lassen kann.“ Thomas wusste genau, auf was Rene hinauswollte. „Garantiert liegen die Sachen noch im Archiv unseres Justiziars. Und ich glaube, ich weiß auch schon, wer sie mir beschaffen könnte.“

      „Meinst du etwa die Kleine, mit der du damals eine Zeit lang gegangen bist?“ Rene hatte das Bild einer kleinen vollbusigen Frau vor Augen, die immer mit zu den Verhandlungen durfte, weil sie die Beteiligten mit ihren weiblichen Reizen so schön abzulenken vermochte. Sie selbst jedoch hielt sich bereits für die künftige Frau eines Anwaltes, der Thomas eines Tages mit Gewissheit sein würde. Zur Zeit ihrer kurzen Liaison erzählte Thomas ihr, dass es nur noch ein paar Jahre dauern könnte, bis er als Anwalt zu Ruhm und Geld gelangen würde. Dass er allerdings nie wirklich die Absicht hatte, Jura zu studieren, sondern schon stolz darauf war, auch ohne ein entsprechendes Studium als Referendar arbeiten zu dürfen, das musste sie nicht unbedingt wissen. Wie Thomas es nannte, hätte er genügend handfeste Argumente, die bei dieser Frau ausreichten, um sie noch einmal für sich zu gewinnen. Das Letzte, so betonte er ausdrücklich, war eher bildlich gemeint. Rene kannte diese überhebliche Art von Thomas, an der sich in den letzten zwei Jahren offensichtlich kaum etwas verändert hatte. Männliche Freunde mussten sich regelmäßig anhören, wie leistungsfähig er beim Sex wäre und die weibliche Bevölkerung schien diese Geschichten auch noch zu bestätigen. Rene fragte sich, ob Thomas sich in diesem Punkt je ändern würde.

      „Meinst du, sie würde sich noch einmal mit dir einlassen?“, fragte er ihn.

      „Nun, wenn man den Gerüchten in der Kantine Glauben schenken kann, dann wartet sie nur darauf endlich mal wieder ordentlich … na ja. Du weißt schon.“ Rene unterbrach ihn. „Bitte nicht wieder diese Details. Du weißt, dass ich, anders als du, Frauen viel zu sehr respektiere, um mir solche Geschichten anzuhören.“

      „Respektieren tu ich die Frauen auch“, konterte Thomas. „Nur eben auf einer anderen Ebene als du. Ha ha.“

      Rene wünschte seinem Freund viel Erfolg, und dass er sich im Dienste der Sache bloß nicht verausgaben solle.

      „Nun, man muss manchmal auch Opfer bringen. Ich werde nachher in der Kantine sofort die nötigen Schritte unternehmen. Ich wette, dass ich noch vor Beendigung deiner Nachtschicht die Akten habe. Hältst du dagegen?“

      Rene lachte. „Dieses Opfer würde ich auch gern bringen. Ob ich jedoch mit deinem Tempo mithalten könnte? Keine Ahnung. Mir ist das auch nicht so wichtig wie dir. Ich brauche keine Erfolge dieser Art. Melde dich aber trotzdem, wenn es geklappt hat. Du weißt ja, wo du mich findest. Ich muss jetzt etwas einkaufen gehen und um 20.00 Uhr beginnt schon wieder mein Dienst.“

      Noch bevor sein Arbeitstag am nächsten Morgen anfing, meldete sich Thomas telefonisch bei Rene, der gerade aus der Nachtschicht nach Hause gekommen war und nur mit einem T-Shirt bekleidet mit seiner Kaffeetasse am Wohnzimmertisch saß.

      „Melde gehorsam: Projekt ‚Beischlaf-Akten‘ erfolgreich ausgeführt.“

      Rene verstand sofort, was Thomas ihm zu sagen versuchte. Er hatte es tatsächlich geschafft, die Frau wieder in sein Bett zu bekommen.

      „Na toll, du hast sie also wieder einmal flachgelegt. Und wann bekommst du die Unterlagen? Ich hoffe, du hast nicht nur an dein Vergnügen gedacht, sondern sie auch nach den Unterlagen gefragt.“

      Thomas tätschelte einen Aktenordner, der neben ihm auf dem Frühstückstisch lag. „Die habe ich bereits. Es war ganz einfach. Die Kleine war so heiß, dass wir es nicht einmal bis nach Hause geschafft haben. Also habe ich mich ihr noch im Krankenhaus hingegeben. Der Rest war ein Kinderspiel. Während sie runter in die Umkleidekabine der Schwestern ging, um sich frisch zu machen, konnte ich mich ungestört in ihrem Büro umsehen. Das heißt, umgesehen habe ich mich bereits, als ich auf einem Bürostuhl saß und sie mir …“ „Stopp“, schrie Rene in den Hörer. „So genau will ich es gar nicht wissen. Erzähle lieber, wie du das Zeug da rausgebracht hast.“

      Wieder eröffnete sich für Thomas eine gute Gelegenheit, um nicht nur mit seiner Potenz, sondern auch mit seinen brillanten Einfällen zu glänzen. Thomas mochte Situationen, in denen er sich anderen überlegen fühlte. Eine Eigenheit, für die Rene nur wenig Verständnis aufbrachte. Schon damals, als die beiden ab und zu zum Bowling gingen, war Thomas seinen Mitspielern haushoch überlegen und er ärgerte sie immer wieder zusätzlich dadurch, dass er dies demonstrativ zu Schau stellte.

      „Wie gesagt, es war ein Kinderspiel. Als die Kleine gerade beim Duschen war, griff ich mir die Akte und warf sie in einen meiner Korbwagen. So konnte ich unauffällig damit ins Archiv gehen, wo ich die Papiere in meine Laptoptasche packte, die ich bereits vorher im Auto entleert hatte. Ich war sogar rechtzeitig zurück, als die kleine Maus vom Duschen kam. Danach sind wir zu mir nach Hause gefahren und haben die ganze Nacht …“ Rene räusperte sich nur kurz. „O. k. O. k. Ich höre ja schon auf. Auf jeden Fall habe ich die Unterlagen jetzt hier und meine Besucherin hat vor zehn Minuten das Haus verlassen. Jetzt muss ich nur noch einen Weg finden, sie wieder loszuwerden. Ansonsten muss ich mir demnächst meine Migräne nehmen, damit ich nicht bald auf dem Zahnfleisch laufe.“

      „Oh, der große Thomas ist wohl doch nicht mehr so gut in Form wie früher. Aber trotzdem hast du die Sache im Großen und Ganzen ziemlich gut gemacht“, lobte Rene seinen Freund. „Ja, das sagte die Kleine auch. Jetzt musst du mich aber entschuldigen, ich muss mich langsam anziehen und zur Arbeit fahren. Wünsch mir mal Glück, dass ich nicht während der Arbeit einschlafe. Ich bin fix und fertig.“

      Die beiden verabschiedeten