Stefan Heidenreich

Fünf Tage - Thriller


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Namen. In ihm stiegen Gefühle auf, die er kaum noch kontrollieren konnte. Die Luft zum Atmen wurde ihm knapp. Der Hals zog sich scheinbar zu und er musste aufpassen, dass ihm nicht vor den Augen des Kindes die Tränen ins Gesicht schossen.

      Schnell wandte er sich von seiner Patientin ab.

      Claudia stand die ganze Zeit über im Türrahmen. Als Rene an ihr vorbeilief, wollte sie ihm irgendetwas Aufmunterndes sagen, was er jedoch mit einer eindeutigen Geste ablehnte. „Jetzt bitte nicht!“ Er ging an seinen Schreibtisch und legte für ein paar Minuten den Kopf in beide Hände. Anschließend atmete er noch ein paar Mal tief durch, stand auf und ging zur nächsten Patientin. „Guten Morgen Frau Schumann. Wie haben Sie geschlafen?“

      Im Keller des Krankenhauses ging Thomas, als hätten die gestrigen Ereignisse nicht stattgefunden, wie jeden Tag seiner langweiligen Arbeit nach. Er wurde jedoch unterbrochen, weil mehrere Pakete mit Krankenakten zurück gebracht wurden. Diese waren inzwischen von einer Fachfirma eingescannt und digitalisiert worden. Für Thomas war mit diesen Lieferungen immer die gleiche Prozedur verbunden. Die beiden Fahrer, die er inzwischen recht gut kannte, brachten mehrere Sackkarren mit Kartons, die vorher ordentlich beschriftet worden waren, sodass Thomas beim Wiedereinsortieren keinerlei Mühe hatte, sie in die Hängeregister, aus denen er sie ein paar Wochen zuvor entnommen hatte, abzulegen. Es gab inzwischen ein festes Ritual, das sich im Laufe der Zeit eingespielt hatte. Zweimal brachten die beiden Lieferanten ihm einen Kaffee aus dem Automaten in der Empfangshalle mit. Bei jedem dritten Besuch war Thomas an der Reihe, die beiden mit Getränken zu versorgen. Zwischen den einzelnen Gängen zum Auto gab es kurze Pausen, in denen einer der beiden meist heimlich eine Zigarette rauchte und man einen Small Talk hielt. Der Lieferwagen war immer bis unter das Dach gefüllt, weshalb sich die Sache auf bis zu zwei Stunden hinzog. Natürlich hätte man die Arbeit auch in weniger Zeit erledigen können, aber das machte wenig Sinn.

      In der Zwischenzeit übertrug nämlich ein EDV-Fachmann, den die Firma mitschickte, alle inzwischen erfassten Daten in die Computeranlage des Krankenhauses. Der Server stand zwar auch im Keller der Anlage, aber dort befand sich kein eigenes Terminal mit der erforderlichen Zugangsebene. Die Terminals für die Systempflege befanden sich ausschließlich in der 15. Etage. Natürlich gab es auch ein paar Computerarbeitsplätze auf den einzelnen Stationen, aber diese dienten nur zur reinen Datenerfassung und Einsicht. Schließlich sollte jeder behandelnde Arzt auch kurzfristig Zugang zu diesen Daten haben.

      Bereits vor einem halben Jahr war jeder der Zugangsberechtigten zu einem einwöchigen Seminar geschickt worden, bei dem er mit der Handhabung der neuen Technik vertraut gemacht wurde. Besonderen Wert legte man dabei auf den Bereich Datenschutz. Jeder Teilnehmer bekam zum Seminarende neben einer Urkunde auch seinen eigenen achtstelligen Berechtigungscode, bestehend aus Buchstaben und Zahlen, in einem verschlossenen Umschlag ausgehändigt.

      Den meisten von ihnen wäre eine reine Zahlenkombination zwar lieber gewesen, weil man sich diese besser einprägen konnte, aber das war nicht möglich. Aus den verschiedensten Anwendungsgebieten der EDV und insbesondere auf dem Gebiet der Datenverschlüsselung wusste man mittlerweile, dass reine Zahlencodes wesentlich leichter zu knacken sind als die inzwischen verwendeten Kombinationen aus Zahlen und Buchstaben. Jeder Berechtigte musste damals eine Erklärung unterzeichnen, die es ihm untersagte den Code jemals einem Kollegen zu verraten.

      In einem anderen Krankenhaus war ein paar Monate zuvor sogar ein Stationsarzt entlassen worden, weil herauskam, dass er eine Krankenschwester damit beauftragt hatte, ihm etwas auszudrucken und ihr zu diesem Zweck seinen persönlichen Zugangscode mitgeteilt hatte.

      Die beiden Boten hatten gerade die letzten Kisten in den Keller gebracht und waren nun dabei die Kartons die Thomas bereits zusammengestellt hatte, aufzuladen.

      „Wohin bringt ihr die Sachen eigentlich?“ erkundigte sich Thomas.

      „Die gehen von hier aus direkt zur Filiale von Medi-Data-Systems draußen am Flughafen, dorthin, wo früher die alten Kasernen der Alliierten standen, gleich neben dem neuen Gebäude mit dem Flugsimulator. Was die genau damit machen, dass weiß ich auch nicht. Mir reicht es, die schweren Dinger transportieren zu müssen. Aber wenigstens ist irgendwann im nächsten Jahr Schluss damit, weil ihr ja inzwischen alle neuen Daten selbst eingebt.“

      ‚Medi-Data-Systems‘. Als er wieder alleine war, notierte sich Thomas diesen Namen. ‚Man weiß ja nie, ob wir das noch einmal brauchen werden‘, dachte er bei sich.

      Ansonsten verlief der Tag ohne besondere Vorkommnisse. Thomas sortierte die angekommenen Unterlagen zurück in ihre Fächer, während Rene alles unternahm, um der kleinen Saskia ihre letzten Tage so angenehm und schmerzfrei wie möglich zu gestalten.

      Am Abend trafen sich beide in Thomas Wohnung, wohin sie sich auch etwas vom Pizzalieferanten bringen ließen.

      Rene war in die Bücher vertieft und notierte jeden Namen, an den er sich zu erinnern glaubte, sowie die dazugehörige Adresse auf einem Blatt Papier, während Thomas die Datei im Computer vorbereitete, in welche die Informationen, die sie sich von den Angehörigen ehemaliger Patienten erhofften, später eingegeben werden sollten. „Übrigens habe ich heute mal in Erfahrung gebracht, wer die Akten für das Krankenhaus digitalisiert. Es könnte schließlich sein, dass wir eines Tages an Meinbergs Computer müssen. Sagt dir die Firma Medi-Data-Systems etwas?“

      Rene sah kurz auf. „Noch nie etwas von denen gehört. Wer soll das sein?“

      „Keine Ahnung. Sobald ich hiermit fertig bin, kann ich ja mal im Internet versuchen herauszufinden, was das für eine Bude ist.“

      Beide arbeiteten intensiv an ihren Aufgaben, bis Thomas vermeldete, seine Datei fertiggestellt zu haben. Wenn Rene so weit wäre, dann könne er anfangen die ermittelten Namen und Adressen in den Computer einzugeben, während er selbst im Internet nach Medi-Data-Systems suchen würde.

      Rene hatte sein eigenes Laptop mitgebracht, weil er nicht wusste, auf welchem Computer Thomas arbeiten wollte.

      „Hat deine Kiste eigentlich Wireless-Lan? Dann könnten wir die Computer tauschen, solange wir beide beschäftigt sind. Ansonsten müsste ich mit den Recherchen warten, bis du die Daten eingegeben hast.“ Verärgert sah Rene seinen Freund an. „Ich denke mal, dass mein Rechner etwas neuer ist als deiner. Arbeitet dein Rechner schon mit elektrischem Strom oder muss man noch Holzkohle nachlegen?“ Ohne Renes letzten Satz zu kommentieren, klappte Thomas Renes Laptop auf. Rene begann unterdes die ermittelten Namen und Adressen in die von Tomas vorbereitete Datei einzutippen.

      „Das ist ja interessant“, sagte Thomas 20 Minuten später. Rene schaute zu seinem Freund hinüber, während der gerade am mitgebrachten Laptop saß und eine Seite intensiv betrachtete.

      „Was hast du gefunden?“

      „Anscheinend ist Medi-Data-Systems eine Tochtergesellschaft von Medi-Data in München, und die wiederum sind irgendwie verbunden mit Genesis-Medi-Com in Kanada. Irgendwo habe ich das Logo von denen schon mal gesehen. Ich weiß nur nicht, wo das war.“

      Rene rollte mit seinem Bürostuhl zu seinem Freund rüber und schaute auf den Monitor.

      „Du hast recht. Und ich kann dir auch sagen, wo du es schon mal gesehen hast. Die stellen so ziemlich alles her, was man heutzutage in Krankenhäusern braucht. Das ganze Hightech-Equipment. Ultraschallgeräte, Computertomografen und auch die neuen Spiralspintomografen werden von denen geliefert. Meines Wissens sind die schon ewig im Geschäft.“

      „Aber was haben die mit Datenerfassung zu tun? Ich dachte immer das wären reine Hardwarehersteller.“ Rene schaute auf die Uhr. Inzwischen war es bereits 23.30 Uhr und er beschloss nach Hause zu fahren.

      „Am besten, ich lasse dir mein Laptop hier und nehme dafür deine Kiste mit. Dann kannst du weiter ein bisschen im Internet recherchieren, und ich kann zu Hause noch ein paar Daten eingeben. Ich gehe davon aus, dass ich jetzt ohnehin nicht gleich einschlafen kann. Sehen wir uns morgen um die gleiche Zeit wie heute?“

      Thomas, dem es ähnlich ging, stimmte sofort