Stefan Heidenreich

Fünf Tage - Thriller


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Standort näherte. Diesmal musste er jedoch nicht so tief hineingreifen wie zuvor. Gleich unter der obersten Schicht schmutziger Wäsche wurde er fündig. Thomas hatte drei Bücher, die keins der Rene bekannten DIN-Formate hatten, zu einem Päckchen verschnürt, anscheinend damit Rene mit Sicherheit keines zurückließ, das am nächsten Tag Fragen aufgeworfen hätte.

      Rene steckte das Bündel unter seine Winterjacke, bevor er schnellen Schrittes sein Auto erreichte. Auch hier traute er sich noch nicht, das Päckchen unter seiner Jacke hervorzuholen.

      Er wollte nur noch so schnell wie möglich weg. Vorsichtig trat er aufs Gaspedal.

      Zu Hause angekommen ging er die drei Treppen zu seiner Wohnung hinauf, wo ihm seine Nachbarin, die alte Frau Hoffmann, mit einem Müllbeutel in der Hand entgegenkam und freundlich grüßte. Kaum hatte er die Wohnungstür hinter sich verschlossen, warf er seine Jacke über einen Stuhl, zog sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Telefonnummer, die er schon am Nachmittag eingespeichert hatte.

      Thomas wartete bereits seit über einer Stunde auf den eingehenden Anruf. Die lange Wartezeit machte ihn langsam, aber sicher, nervös. Endlich klingelte es. Er klappte sein Handy auf und drückte die grüne Taste, um das Gespräch anzunehmen. „Ja?“

      „Ich bin es. Alles angekommen. Ich schulde dir etwas.“

      „Ja! Vor allem eine Erklärung. Ich hatte heute nach deinem Besuch noch genug Zeit zum Nachdenken. Wenn es irgendwas gibt, was im Krankenhaus nicht sauber läuft und du mich dazu benutzt, um herauszufinden, was es ist, dann will ich auch wissen, um was es dabei geht. Wir sollten uns sehen. Und zwar heute noch.“

      Rene überlegte einen kleinen Moment, bevor er darauf mit einer Gegenfrage reagierte. „Bist du dir wirklich sicher, dass du das willst? Ich habe schließlich selbst noch keine Ahnung, ob es überhaupt etwas gibt, was da unrund läuft. Es ist eigentlich nicht mehr als nur ein Gefühl. Denke daran, dass dich die Sache deinen Job kosten könnte. Schließlich bist du bereits schon strafversetzt worden. Der nächste Patzer und die werfen dich raus, ohne mit der Wimper zu zucken.“

      „Lass uns einfach darüber reden“, forderte Thomas. „Bei mir zu Hause sieht es zurzeit schrecklich aus. Du weißt ja: Junggesellenbude. Wollen wir uns im ehemaligen Bowlingcenter treffen? Da ist inzwischen McDonald’s drin und ich habe heute noch nichts gegessen. Sagen wir mal in einer halben Stunde?“

      Rene willigte ein. Dann legte er das Fertiggericht, das er bereits am Morgen aus der Tiefkühltruhe genommen hatte, in den Kühlschrank zurück und verstaute die Bücher im Schlafzimmerschrank unter einem Stapel Handtücher. Ohne weiter darüber nachzudenken, griff er seinen Schlüsselbund und machte sich auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt.

      Thomas traf nur 10 Minuten nach ihm auf dem Parkplatz von McDonald’s ein.

      Ein kurzes „Hey“ zur Begrüßung, dann betraten sie das Fast-Food-Restaurant. Ohne ein weiteres Wort über den Grund des Treffens zu verlieren, gingen sie zum Tresen, wo sie sich an einer der fünf Warteschlangen anstellten.

      Es war die übliche Massenabfertigung. Eigentlich mochte Rene diese Form des Fast-Food-Essens nicht, aber als geübter Junggeselle, der sich fast ausschließlich von Fertiggerichten ernährte, empfand er es fast schon als eine willkommene Abwechslung. Ein paar Minuten später standen sie an einem Stehtisch, der früher zur Raucherecke gehört hatte und inzwischen nicht mehr so stark frequentiert war. Hier sollten sie ungestört miteinander reden können.

      Nachdem er einen kräftigen Happen von seinem Cheeseburger abgebissen hatte, kam Thomas auch schon zur Sache. „Also wonach suchst Du? Von was für einer Ahnung sprichst Du?“

      Rene nahm einen großen Schluck aus seinem Colabecher, den man mit seinem 0,5-Liter-Fassungsvermögen tatsächlich als ‚large‘ bezeichnen konnte, bevor er zu erzählen anfing.

      „Weißt Du? Seit dem Tod unserer Bekannten mache ich mir immer mehr Gedanken über den Tod und insbesondere über meinen Job. Ich bin zwar, wie du es heute nanntest, nur ein dummer Krankenpfleger, aber vielleicht doch nicht ganz so bescheuert, wie einige Leute im Krankenhaus es gerne hätten. Nachdem mir heute zum wiederholten Male aufgefallen ist, dass anscheinend zwischen dem Moment, in dem die Ärzte aufgeben, und dem Tod der Patienten immer dieselbe Zeit vergeht, dachte ich mir, dass dies kein Zufall mehr sein kann. Der Ablauf ist nach meinen Beobachtungen immer der gleiche und scheint einem Muster zu folgen.“

      Thomas verschluckte sich bei Renes Worten. Er hatte eigentlich mit einem Kunstfehler gerechnet, den sein Gegenüber nachweisen wollte.

      Das, was Rene allerdings andeutete, ging deutlich in Richtung Verbrechen. Gespannt hörte er weiter zu.

      „Es sind anscheinend immer fünf Tage. Zumindest glaube ich, genau das inzwischen erkannt zu haben. Ich habe zwar nie speziell darauf geachtet, aber mindestens bei den letzten drei Patienten, meine Bekannte eingeschlossen, war es so. Um aber ganz sicher zu gehen, habe ich heute einen Freund angerufen, dessen Oma auch bei uns gestorben ist.“

      „Stop!“, unterbrach Thomas seinen alten Bekannten. „Sage jetzt nicht, dass es auch bei ihr fünf Tage waren.“

      „Bis ich heute Nachmittag zu dir in dein Kellerreich kam, hatte ich nicht mehr als diese vier Fälle und einen Verdacht. Seitdem du mir jedoch erzählt hast, dass Meinberg die Patientenakten aus seiner Abteilung unter Verschluss hält und sogar den Zugriff so streng kontrolliert, bin ich sicher, dass er etwas zu verbergen hat. Ich will wissen, was da los ist, ob der Tod unserer Bekannten, und der der anderen Patienten, zu verhindern gewesen wäre.“

      An einem der Nebentische machte sich eine Gruppe Jugendlicher auf das Lokal unter lautem Getöse zu verlassen. Rene wartete unterdessen immer noch auf eine Reaktion seines Bekannten.

      Ein kalter Windzug, der beim Gehen der Kinder von draußen hereinzog, ließ einen Pappbecher umfallen. Thomas, der inzwischen Zeit zum überlegen hatte, stellte ihn wieder auf. Dann widmete er sich endlich wieder dem Gespräch.

      „Wenn das alles so stimmt, wie du behauptest, dann sollten wir wirklich, wie ich heute ja schon bei deinem Besuch vorgeschlagen habe, zuerst die Angehörigen befragen.“

      „Wir?“ Rene sah ihn fragend an.

      „Du denkst doch nicht, dass ich mir so etwas entgehen lasse. Wenn du tatsächlich mit deiner Vermutung richtig liegst, dann könnte dies meine Fahrkarte aus dem Keller nach oben sein. Zurück in die sechzehnte Etage, wo ich hingehöre.“

      In den Augen von Thomas funkelte eine neue Hoffnung. Rene konnte erkennen, wie dem ehemaligen Referendar der Rechtsabteilung die Gedanken nur so zuflogen. Dieser Mann wollte unbedingt zurück in seinen alten Job, mit dem feinen Anzug und der Krawatte. Anscheinend war Thomas bereits dabei, das Zepter zu übernehmen und die Aufgaben zu verteilen.

      „Parallel solltest du dir die aktuellen Patientendateien im Computer zu Gemüte führen. Solange die Behandlung noch nicht abgeschlossen ist, sollten sie noch offen und von jedem Terminal in deiner Abteilung einsehbar sein. Gibt es Zeiten, zu denen du alleine auf der Station und vor allem ungestört bist? Schließlich kannst du nicht nach irgendwelchem Dreck suchen, wenn jemand neben dir steht.“

      Rene überlegte einen Moment.

      „Frühestens ab Mittwoch hätte ich Zeit und Gelegenheit dazu. Ich habe ab morgen zwei Tage frei und dann wieder fünf Tage Nachtschicht.“

      Thomas hatte inzwischen seinen BigMäc restlos aufgegessen und wischte sich mit einer Serviette den Mund ab.

      „Nun, wenn du willst, dann kann ich, als einer deiner alten Freunde, dich mal nachts auf der Station besuchen. Ich denke mal, dass niemand Verdacht schöpfen würde. Du weißt doch: Vier Augen sehen oftmals mehr als zwei.“

      Rene überlegte einen Moment, ob etwas dagegen sprechen könnte, fand jedoch nichts dergleichen. Also willigte er ein.

      Sofort war Thomas wieder dabei, die erforderlichen Recherchen zu koordinieren.

      „Bis dahin solltest du vielleicht die Bücher durchgehen und alle Namen markieren, die dir bekannt vorkommen. Schließlich waren die Leute ja mal auf deiner Station.