Marlon Thorjussen

Bis Utopia


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noch, sich Gründe für seinen spontanen Einfall auszudenken, wurde aber nach einer Viertelstunde vom Klingeln der Tür unterbrochen.

      Er öffnete die stumme Tür und vor ihm stand eine junge Frau mit leicht dunklem Teint. Sie hatte graue Augen, die sie wohl besonders ausgetüftelten Kontaktlinsen verdankte, wunderschön geschwungene Lippen und welliges dunkles Haar. Ihr roter Mantel gab ihr eine pharaonengleiche Würde und erhöhte ihre kleine Statur um einige Zentimeter. Peer sagte erst einmal nichts und betrachtete sie nervös. Er schwitzte ein wenig und versuchte, sie möglichst elegant mit einer Handbewegung hineinzubitten.

      Sie deutete scherzhaft eine Verbeugung an und Peer konnte sehen, dass in ihrem Haar goldene Strähnen waren, die im seichten Flurlicht besonders zur Geltung kamen. Er nahm ihr den Mantel ab. Darunter trug sie ein lila Cocktailkleid, das ebenfalls mit goldenen Linien verziert war.

      „Ich heiße Brokat“, stellte sie sich vor und gab sich wenig Mühe, besonders verführerisch zu sein. Sie hatte Peers Nervosität sofort erkannt und wollte ihn nicht überfordern. Schließlich war sie sich ihres Charmes und ihrer Schönheit vollkommen bewusst. Man konnte sogar sagen, dass sie ein wenig arrogant war – keineswegs unangenehm oder unangebracht arrogant, sondern einfach sehr selbstbewusst und sich ihrer Stärken bewusst.

      Dass gerade sie zu Peer geschickt wurde, lag vor allem daran, dass Mandy, die normalerweise die schüchternen Luschen mit Geld abzuspeisen hatte, gerade erkrankt war. Und Brokat hatte für diesen ersten April einfach keinen Termin geplant, weil sie die letzten Tage in einem Rausch verbracht hatte, der auch den stärksten Seemann zum Staunen gebracht hätte. Sie hatte literweise getrunken, hatte sich diverse Mittelchen eingeworfen und die vielen Stunden der letzten Tage lachend und weinend auf dem Fußboden irgendeines Kellers verbracht. Einmal im Monat brauchte sie das einfach zum Ausgleich. Nicht, dass ihre Arbeit ihr nicht gefiel, aber neben all dem Handwerk brauchte es eben auch mal die freie Kunst. Und die gab es nur ohne Kontrolle. Glücklicherweise war sie schon vor einigen Stunden aus dem Delirium der letzten Tage erwacht und hatte sich recht erfolgreich herrichten können.

      „Peer“, stellte sich ihr Klient vor und reichte der Schönheit die Hand. Die zog in zu sich und gab ihm drei Wangenküsschen. Sofort bekam der Gastgeber eine Erektion, die sie beim Ausziehen der Schuhe sehr sanft mit ihrem Haar durch die Kleidung berührte. Peer stand wie angewurzelt da und hoffte, dass irgendetwas passieren würde. Dann fiel ihm der Wein ein, der neben dem Kühlschrank wartete.

      „Komm zu mir in die Küche, bitte“, bat er sie und ging voran.

      Brokat beschloss kurzfristig, Peer das Tempo des Abends bestimmen zu lassen. Immerhin war es noch früh und für das Geld war nun wirklich keine Hektik mehr nötig. Dazu war sie zwar optisch hergerichtet, aber in ihr herrschte noch immer angenehme Restleere.

      Peer bedeutete ihr, Platz zu nehmen und goss ihr ein Glas Rotwein ein. Er war fast schon schwarz und roch ein wenig nach Moder, aber Brokat beschwerte sich nicht. Alkoholische Getränke störten sie selten.

      „Und Peer, was machst du so? Du siehst so erschöpft aus. So unentspannt. Und ein bisschen gierig“, besann sich Brokat ihrer Pflicht.

      „Ich bin bin im Handel tätig. Und heute war ein Tag, der nicht normal war. Das ist wohl alles, was ich sagen kann.“

      „Schwierige Geschäftspartner?“, heuchelte Brokat Interesse.

      „Kann nicht darüber reden. Und was machst du so?“, fragte Peer dummerweise.

      Ein Schnalzen mit der Zunge war die Antwort. Dann zog sich Brokat den einen Träger ihres Kleides herunter, wodurch ihre Brüste ein wenig besser zur Geltung kamen. Sie waren völlig glatt, so weit Peer das erkennen konnte und von dem makellos schönen Hautton, den sie auch im Gesicht hatte.

      „Was möchtest du, was ich mache?“, hauchte sie.

      Ehe Peer sich seiner Erektion, die ihm viel zu schnell aufrecht zu stehen schien, hingeben wollte, hatte er aber noch etwas herauszufinden. „Zahlt man bei dir im Voraus?“, fragte er deshalb.

      „Du bei mir nicht. Kommt immer auf den Typen an. Und auf die Frau. Das ist eine Sache der Menschenkenntnis. Und ich habe viel davon.“

      Die Antwort war Peer nicht befriedigend genug. Er wollte einfach wissen, was in dieser Branche üblich war. Und er wollte sich unbedingt von seinem Penis lösen. Wohin das ganze Getue führen sollte, wusste er auch nicht, aber seine Fragen zur Zahlung strapazierten Brokats Nerven doch nach einigen Minuten. Sie führte geduldig aus, dass Vorkasse das gewöhnliche Mittel der Wahl war. Eine Frage des Stils wäre es wohl auch; so würden Escortdamen in ihrer Agentur zum Beispiel häufig direkt mit der Agentur abrechnen und die Klienten zahlten auch direkt an die Agentur. So wurden Geld gegen Sex durch Auftrag und Dienstleistung abgelöst. Das sei vielen Klienten lieber.

      Und sie, Brokat, bevorzugte es, danach bezahlt zu werden. Der Aspekt der Bezahlung an sich störte sie nämlich zutiefst. Sie bot zwar sich an, wollte sich aber nicht fühlen wie eine Ware. Darum erfand sie immer neue Ausreden sich selbst gegenüber, wenn sie Geld erhielt. Mal war es dann für das Taxi, mal für die nächsten Drogen, mal für ein neues Cocktailkleid, häufig auch für die Erweiterung ihrer beträchtlichen Kunstsammlung. In ihrer Wahrnehmung übersprang das Geld sein Wesen als Zahlungsmittel, sondern war ausschließlich als Geschenk und zum Konsum gedacht. Sie liebte natürlich ihren Lebensstil, den sie dem Verkauf ihres Körpers verdankte. Und darauf zu verzichten, war ihr ein Graus und so arrangierte sie sich mit all den Pflichten, die er mit sich brachte.

      Den Punkt mit dem Drogen und den gelegentlichen Zweifeln unterschlug sie in ihren Ausführungen zwar, aber an diesem Mann, der heute ihr Gastgeber war, fand sie einfach so gar nichts Hinterlistiges und so ließ sie ihre üblichen Mauern heute flach sein.

      Für einen Moment, beim zweiten Glas Wein, spürte sie ein Blitzen in Peers Augen. Sein Blick streifte beiläufig ihre Schultern und ihren Ausschnitt, wanderte dann zurück zur Schulter und über ihren Arm zum Weinglas hin. Dort haftete sein Blick am Rand des Glases, der von Wein und Gesichtspflege benetzt war, wanderte einmal einen kaum sichtbaren Kreis und kam dann stirnrunzelnd auf dem Boden des Weinglases zum Erliegen.

      Brokat errötete ein wenig und wunderte sich darüber, denn sie spürte, wie ihr die Wärme in die Wangen stieg. Und prompt fragte ihr Gastgeber sie, ob alles in Ordnung sei, sie sei plötzlich so gefärbt um die Nase herum. Ob es am Wein läge. Ob die Unterhaltung zu weit gegangen sei. Er wisse ja nicht, was der Standard bei einer Frau ihrer Klasse sei.

      „Alles in Ordnung“, wiegelte sie schnell ab.

      Peer leerte die Weinflasche bis zum letzten Tropfen in ihr Glas. Dabei legte er eine fachmännische Präzision an den Tag, die Brokat mittelmäßig beeindruckte.

      „Wollen wir danach ins Schlafzimmer?“, fragte er währenddessen und hatte Selbstvertrauen gefasst.

      „Wie du wünschst“, flüsterte Brokat. Sie hatte ihre Professionalität schnell wieder erlangt.

      Sie wusste noch nicht genau, welche Hüllen an diesem Abend fallen würden. Und der grauenhafte Rotwein machte ihr auch zu schaffen, denn er reagierte mit den Resten irgendwelcher Substanzen, die sie sich am Vortag eingeworfen hatte.

      Kurz darauf hatte der neureiche Mann eine sexuelle Begegnung mit einer Frau, die definitiv nicht zu denen passte, mit denen er sich sonst eingelassen hatte. Und trotz anfänglicher Schwierigkeiten genoss er, wie sich der edle Stoff um seinen Körper schloss.

      Unterdessen spielte Melv Svenson ein Computerspiel, in dem es darum ging, einer Psychiatrie zu entfliehen. Es gefiel ihm sehr. Es kam ihm sogar der Gedanke, einen kleinen Dankesbrief nach Hamburg ins Entwicklerstudio zu schicken, doch er verwarf diesen Gedanken. Er war sich nicht einmal sicher, ob Briefe ohne Absender (und anders wäre es ihm kaum gestattet gewesen) überhaupt ankamen. Auch Peer Flints Adresse als Absender zu wählen, kam ihm irgendwie unpassend vor. Abgesehen davon wollte er nicht riskieren, dass Peer eine Antwort von seinen Helden erhielt. Diesbezüglich war Melv ein Egoist, denn es war ja schließlich seine Leidenschaft.

      Gleich dann, wenn Melv wieder im Quartier von GAS sein würde, würde er den Bob, der ja für solche Fragen zuständig