Marlon Thorjussen

Bis Utopia


Скачать книгу

      Ein paar Gänge sehr gutes Essen später – man hatte sich mittlerweile auch über die Gepflogenheiten an Arbeitsstellen ausgetauscht – schnitt Peer bei einem guten Wein das Thema an, deswegen er mit Brokat hier war.

      „Brokat“, sagte er ernst und roch noch einmal an seinem Wein. Er war viel besser als der TC. „Ich möchte, dass du mir einen Gefallen tust.“

      „Der da wäre?“, fragte sie, die Nase ebenfalls im Wein vertieft.

      „Erstens muss ich fragen: Glaubst du, dass man einfach unverschämtes Glück haben kann? Finanziell, meine ich. Also konkret: ich. Was glaubst du?“

      „Wenn nicht einige Menschen mehr Geld als andere hätten, wäre ich arbeitslos. Oder was meinst du?“

       Peer sortierte kurz seine Gedanken und wurde sich dann einig, wie er vorgehen wollte. „Ich habe geerbt“, sagte er dann. „Ein paar Millionen sogar. Und das Problem ist dieses: Ich weiß nicht, was man damit macht. Ich habe eine Uhr, neue Kleidung und sitze in einem viel zu teuren Restaurant. Und jetzt habe ich keine Idee, wie es weitergeht. Du aber bestimmt. Du hast doch bestimmt auch steinreiche Klienten. Ich meine: du bist ja Extraklasse.“

      „Wie viele Millionen denn?“, wollte Brokat nur wissen und ignorierte Peers Kompliment. Geld machte ihn aber irgendwie interessanter. Zumindest bliebt ihr nichts anderes übrig, als anzunehmen, dass es das Geld war. Schließlich war an dem Mann ja sonst nichts, was sie begehren wollte.

      „Zwölf. So ungefähr.“ Peer schaute Brokat in die Augen. Über die unnatürliche Kombination dieser grauen Augen mit dem ansonsten eher wenig blassen Körper dachte er nicht nach. Ihm gefiel sie, wie sie da so mit all ihren kosmetischen Veränderungen vor ihm saß.

      „Also“, setzte er dann wieder an, weil Brokat nichts sagte, „was macht man damit?“

      Brokat schnalzte mit der Zunge und trank einen Schluck Wein. „Du hast doch noch mehr als dein halbes Leben lang Zeit, um das Geld auszugeben“, antwortete sie bestimmt.

      „Hm“, machte Peer nur und orderte noch ein Glas Wein.

      „Du könntest dir ein schönes Haus kaufen“, schlug Brokat vor.

      „Darüber habe ich nachgedacht“, antwortete Peer. „Aber ich will nicht allein in einem großen Haus leben. Das wollte ich dich fragen... Würdest du mit mir in einer Villa leben wollen? Hier in der Stadt, im guten Viertel am Kanal. Ich habe überlegt, dorthin zu ziehen und es wurde mir auch schon von jemandem vorgeschlagen. Aber allein will ich das nicht und ich habe niemanden, mit dem ich das teilen könnte. Da dachte ich an dich.“

      „Das ist sehr plötzlich! Wir kennen uns doch gar nicht.“ Brokat sah den Mann noch einmal genau an. Ihm schien es ernst.

      „Wie wohnst du derzeit?“, wollte Peer wissen.

      „Allein, schöne Wohnung. Ich habe sogar selbst sehr viel Geld verdient. Da bleibt mir auch ein schönes Leben von“, antwortete Brokat und fingerte am Rand des Weinglases herum. „Warum ich?“, fragte sie dann, denn es war eine naheliegende und ihrem analytischen Gehirn genügende Frage.

      „Du bist schön, du bist nicht dumm – und ich glaube, ich kann dir vertrauen“, schoss es aus Peer heraus.

      „Ich habe dir mehr als eintausend Euro für oberflächlichen, schlechten Sex abgenommen“, erwiderte Brokat und schaute Peer ungläubig an.

      „Schon“, entgegnete Peer, „aber ich habe mich wohlgefühlt. Ich habe mich nicht leer gefühlt. Und es lag nicht daran, dass wir miteinander geschlafen haben. Dieses Zusammensitzen, das Reden. Dich anzusehen... Wenn auch das Ganze gekauft war, so war es doch irgendwie schön. Sogar jetzt, weit nüchterner, bin ich mir sehr sicher, dass ich lange kein so schönes Erlebnis hatte. Ich weiß, das klingt erbärmlich, aber ich danke dir dafür. Und ich würde dir gerne etwas geben. Mein Leben wurde ziemlich auf den Kopf gestellt durch diese Sache und ich habe niemanden, den ich da wirklich involvieren kann. Das ist ja auch alles sehr verwirrend für mich. Und ich bin froh, dass ich mich überhaupt für irgendetwas entscheiden kann.“ Peer unterbrach seinen Redefluss und schaute sich sein Glas an. „Ich habe ja ohnehin nichts zu verlieren“, dachte er sich dabei.

       „Wir werden vermutlich niemals ein Paar sein“, fing Brokat nach einigen Sekunden an und beugte sich zu Peer hinüber. „Und wir werden vielleicht nicht viel Sex miteinander haben. Und nach grauenhaften Kunden werde ich schlecht gelaunt sein. Und immer am Monatsende versenke ich Dinge in mir, für deren Besitz ich im Gefängnis sitzen müsste. Das solltest du alles wissen.“ Sie wusste allerdings in diesem Moment auch nicht, warum sie ihm das alles anvertraute. Ihre Exzesse waren eigentlich ihr bestgehütetstes Geheimnis.

      „Kein Problem. Ich will einfach nur in einem Haus mit dir leben. Eine Beziehung muss es ja nicht sein. Ich bin ja nicht ohne Grund Single. Ich will dich einfach um mich haben. Ich würde dich sogar dafür bezahlen.“

      „Du musst mich doch nicht kaufen!“, entgegnete Brokat entrüstet.

      „So war das nicht gemeint“, steuerte Peer am Konflikt vorbei. „Ich meinte, dass ich dir auch alles, was du brauchst, finanzieren würde.“

      „Einfach so?“, fragte Brokat.

      Peer nickte.

      „Und was machst du? Du sagtest ja, du hättest gekündigt.“

      „Weiß nicht“, sagte Peer nur und starrte ein Loch in die Luft.

      „Wir sollten allmählich nachsehen, ob der Taxifahrer wirklich gewartet hat“, beschloss Brokat dann. Auch hoffte sie, mit diesem Einwand das weitere Gespräch zum Erliegen zu bringen.

      „Wo willst du denn hin?“, fragte Peer und verlor den Blick für das imaginäre Loch über seinem Weinglas. Für einen kurzen Moment hörte ein Geräusch über dem Glas, gerade so, als ob die Fetzen einer geplatzten Seifenblase sich gerade wieder zusammensetzten – und wie auch immer es sich angehört haben wollte, war es doch nur seine Einbildung.

      „Nach Hause. Nachdenken. Peer, glaubst du, dass ich das jetzt alles entscheiden kann?“, antwortete Brokat und suchte ebenfalls das Loch, dass Peer mit seinen Augen in den Raum gebrannt hatte.

      „Weiß nicht“, sagte er wieder und hörte es ploppen. Die Seifenblase war weg und das Loch wieder da.

      „Also“, sagte sie und stand auf. „Ich gehe schon vor die Tür. Bezahl doch einfach und triff mich draußen.“

      Peer tat wie geheißen, gab zu viel Trinkgeld und fand auf der Straße das Taxi. Der bärtige Mann paffte genüsslich seine Pfeife und las dabei, angelehnt an den Wagen, ein Buch im Laternenlicht.

      „Ihre Begleitung ist gerade an mir vorbei, Sir“, sagte er und blickte auf. „Soll mitteilen, dass es ein schöner Abend war. Sie würde sich melden. Wollen Sie wo hin?“

      Peer schaute ihn nur ausdruckslos an. Er war nicht wenig überrascht davon, dass Brokat einfach gegangen war, hielt er doch den Abend für sehr gut verlaufen.

      „Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte er den Fahrer dann schließlich und betrachtete ihn genauer. Der Mann lächelte mit den Augen. Er war von ausgebeulter, aber durchaus sportlicher Statur.

      „Glott. Archibald Glott“, stellte er sich vor.

      In der Dunkelheit sah er aus wie ein Kapitän, der schon viele Unwetter überstanden hatte. Sein Alter konnte Peer nicht schätzen, da der Bart zu viel versteckte. Aber unter seinen lachenden Augen befanden sich Fältchen, die in Fältchen übergingen, die wiederum in Barthaare übergingen. Auch seine Mütze musste schon einige Jahre hinter sich haben.

      „Archibald, wollen Sie für mich arbeiten? Ich kann einen Fahrer gebrauchen“, bot Peer ihm dann an. Es war definitiv die Zeit für spontane Unsinnseinfälle und der Taxifahrer, so dachte Peer, würde schon nicht zusagen.

      „Dreitausend brutto plus Spesen und Benzin. Und einen neuen Wagen brauche ich irgendwann auch“, schoss es aus Archibald heraus. Dann paffte er ein Wölkchen in die Luft und hielt Peer,