Giulia Birnbaum

Drei zornige alte Männer


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hat nicht mehr mitzureden, das ist viel wert. Originalverpackte Ehen schleppen einen Rest von Ballast mit: Unerbetene Fürsorge, schulterklopfend angeboten, ebenso lieb gemeint wie peinlich. Beim zweiten Mal schauen die Familien nicht mehr so genau hin; Vater und Mutter sind müde geworden, die wachhabenden Brüder haben ihre eigenen Sorgen.

      Sabine vermutete, dass sie sich weniger gegen zweite Ehen als gegen zweite Frauen sperrte, aber sie sah auch, dass das unlogisch war.

      Sie selbst hatte sich einmal in einem Moment, in dem ihr schien, als gäbe es nichts anderes mehr als Routine und Disziplin und es würde auch nichts anderes mehr kommen, von einer unverhofften Begegnung verführen lassen, in trotzigem Einverständnis mit sich selbst und ihrem Überdruss. Da war einer aus dem VHS-Semi­nar gewesen; nach einem unschlüssigen Augenblick waren die Pferde mit ihr durchgegangen. Sie hatte sich Martins Einladung aus dem Nachmittag gegriffen, jeden weiteren Gedanken ausgesperrt und sich mit heißem Kopf in sein Bett gelegt.

      Ja, am hellen Nachmittag, während der tüchtige Arnie tief in seiner Arbeit vergraben war und der Kurs „Französische Literatur II“ ohne sie weitergehen musste. Die doppelte Rebellion steigerte das Freibeutergefühl, in die Kissen zu gehen statt in den Seminarraum, der nach Weiterbildung roch und nach Bohnerwachs.

      Sie fanden wortlos zueinander, während durch die Jalousie feine Sonnenstreifen aufs Bett trafen und über ihre Körper glitten. Sabine hörte den lebhaften Verkehr auf der Straße. Sie empfand den Gegensatz zwischen der Geschäftigkeit draußen und ihrer Lust auf dem zerwühlten Laken als Verschwörung zweier Komplizen – eine Verschwörung gegen das Alltägliche, das Nützliche. Sie taten heimlich und hitzig, was die da draußen nicht taten, und scherten sich einen Teufel um die Vernunft.

      Bei diesem einen Auswärtsspiel war es geblieben. Eine neue Einladung ihres Liebhabers hatte sie erwartet, dann aber, als sie wenig später kam, bedauernd abgelehnt. Ihr Bedauern war ehrlich, dennoch wollte sie sich keine „Beziehung“ erlauben. Noch ein Nachmittag, und dann noch einer, bis die Affäre zur Routine wurde? Und dann das Versteckspielen, die Lügen? Das konnte zu nichts führen; sie wollte das Leben mit Arnie nicht aufs Spiel setzen, sie lebte gern mit ihm. Sie würde schon mit sich allein zurechtkommen, und außerdem musste sie jetzt erst einmal zusehen, dass sie die Herdplatte wieder blank kriegte, da hatte sich Tomatensoße eingebrannt.

      Wie lebensklug sie sich entschieden hatte, erkannte sie zwei Wochen später, als es zwischen ihren Beinen juckte und prickelte, als hätte sie sich breit in die Brennnesseln gesetzt. Sie ging zum Arzt, der ihr Tabletten verschrieb, auch Arnold müsse die nehmen. Wie erwartet verstand Arnold das nicht, er hätte doch nichts. Da erzählte sie ihm mit ausgesuchter Umständlichkeit, dass der Arzt ihr kopfschüttelnd verraten hatte, was er von einer anderen Patientin gehört hätte und dass er – der Arzt – sich nur wundern könne, dass so viel Unverstand in solchen Kreisen möglich sei. Arnold runzelte die Stirn und verstand immer noch nichts, aber er schluckte, was sie ihm hinlegte.

      Sabine war bedient und setzte das Leben an Arnolds Seite mit Sorgfalt fort. Er ahnte nichts – sein Kopf in den Wolken, wie immer. Ob er sich seinerseits einmal anderswo umgesehen hatte, wusste sie nicht. Bestimmt gab es da draußen genügend attraktive Weibsbilder, die sich einem erfolgreichen Mann als Belohnung gönnen. Arnold kam aus Hamburg nicht immer mit dem Abendflieger zurück, aber sie konnte nie ein verräterisches Anzeichen entdecken. In einem bösen Moment hatte sie ihm sogar vorgeworfen, er hätte wegen seiner verdammten Arbeit nicht mal für einen Seitensprung Zeit.

      Einmal kam er mit einem handgestrickten Schal, den hatte ihm ein Kollege geschenkt, der das schöne Stück, „in dem so viel Liebe steckt,“ unmöglich mit nach Hause nehmen konnte. Sie nickte, aber später überlegte sie, dass der geliebte Kollege seiner Frau nur dieselbe Geschichte hätte erzählen müssen, die Arnold ihr erzählt hatte. Sie ging der Sache nicht nach. Vermutlich hatte Arnold sich bei ihrer blöden Tablettengeschichte auch dumm gestellt; so begriffsstutzig konnte er eigentlich nicht sein.

      Sie ließ sich von ihren häuslichen Aufgaben durch die Tage ziehen. Die Nachbarinnen kannten sie als freundliche Frau mit aschblondem Stufenschnitt, die im Supermarkt ruhig ihren Einkaufszettel abarbeitete, während an ihrer Seite die 16-jährige Christina die schöne Tochter gab. Als Christina das Haus verließ, blieb Sabine ihrem Arnie eine aufmerksame Ehefrau. Treu blieb sie ihm auch, da konnte niemand dran tippen.

      Nur einmal, vor nicht allzu langer Zeit, war sie von einem undeutlichen Verlangen berührt worden. Sie war vor einem plötzlichen Regenschauer in ein Restaurant geflüchtet, das ein bisschen abseits lag, eins der ruhigen Lokale, die man heute lange suchen muss. Das Restaurant war leer bis auf einen Mann und eine Frau an einem rückwärtigen Tisch – ein Paar in den Fünfzigern.

      Sabine überlegte, warum sie so sicher war: Hier sah sie zwei Leute, die einmal ein Liebespaar gewesen waren, ohne Zweifel. Sie sprachen wenig und leise; verstehen konnte sie nichts, obwohl der Wirt zu dieser frühen Nachmittagsstunde auf Musik verzichtete. Es waren die Blicke, die sie verrieten, und das stille Lächeln. Sabine sah, dass ihre Hände sich berührten, ruhig aufeinander lagen, eine Liebkosung. Das Bild hatte nichts von einem Flirt, hier wurde keine Zukunft geträumt, es war schiere Erinnerung: Die beiden lauschten einer Liebe nach, die überdauert hatte und für eine gemeinsame Stunde wieder aufgerufen wurde.

      Für einen Augenblick starrte Sabine Korff vor sich hin, als hätte sie einen bisher nicht erforsch­ten Kontinent entdeckt. Sie kannte so etwas nicht. In diesem Moment hätte sie viel dafür gegeben, eine solche Begegnung zu erleben. Je­mandem gegenüber zu sitzen, der ein Geheimnis mit ihr teilte und ein vertrautes Gefühl – so eine Stunde wäre ihr viel wert gewesen.

      Sie versuchte an Martin zu denken, aber damit kam sie nicht weit. Sie erinnerte sich vor allem an diese unverschämt bequeme Matratze, auf der sie gelegen hatte. Ob sie sich dabei etwas gedacht hatte, wusste sie nicht mehr.

      Sie zahlte ihren Kaffee und stand auf. Sie war vernünftig genug, um ihre kurze Grübelei mit linker Hand wegzuwischen, aber der intime Moment, den sie aus den Augenwinkeln beobachtet hatte, weckte in ihr Vorbehalte gegen ein Paar wie die Wittfelds, die „ihr Ding durchgezogen“ und eine Affäre in eine solide Partnerschaft überführt hatten. Sabine Korff begann sich zu ärgern. Dass es immer noch regnete, als sie auf die Straße trat, das passte.

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