Giulia Birnbaum

Drei zornige alte Männer


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in den Brunnen der Vergangenheit.“

      „Hast du was gegessen?“ Sie könne ihm eine Gemüsesuppe aufwärmen, es seien auch noch Würstchen drin.

      Arnold winkte dankend ab. Von den Canapés sagte er nichts.

      „Hast du erreicht, was du wolltest?“

      Bedingt. Er erzählte es ihr, von Anfang an. Dem Müller-Zepp sei eine Sauerei zuzutrauen, das stünde mal fest.

      „Hör mal, ich glaube, du verrennst dich da in was. Heckt ihr das auf Euren Wanderungen aus? Und Benno spielt da mit? Findet ihr das nicht selbst ein bisschen komisch?“

      „Ich weiß nicht. Vielleicht sieht es komisch aus. Aber deshalb kann man einer Sauerei ja nicht tatenlos zusehen. Wir hecken nichts aus, Sabine. Wir überlegen, ob wir der armen Frau Hoyer helfen können.“ Dafür hätte sie ja sicherlich Verständnis.

      „Ich hoffe, ihr wisst, was ihr tut,“ meinte sie. „Und jetzt?“

      „Jetzt werde ich diese Frau Eicken besuchen,“ sagte Arnold. „Schaden kann’s auf keinen Fall.“

      7 / Früher gab es richtige Herren

      Frau Marlene Eicken wohnte in einem der besseren Siedlungsblocks im Süden. Ein kleiner Vorgarten, ein sauberes Treppenhaus und eine Fußmatte, auf der Arnold sich die Schuhe abtrat, bevor er den ersten Schritt in die Diele wagte. Er kam mit einem schönen Gruß von Erich Hohenstein und einem hübsch verpackten exotischen Gewürz als Mitbringsel.

      Frau Eicken lebte hier allein, seit drei Jahrzehnten, und so lange hatte sie auch bei Bernkopf gearbeitet. An jedem Wochentag war sie morgens um fünf aufgestanden, hatte ihr Haar gewaschen, in Ruhe gefrühstückt und das bisschen Geschirr weggespült, um nach Feierabend in eine aufgeräumte Wohnung zurück zu kehren. „Ordentlich“ war ein Wort, das sie gerne benutzte, auch im Büro. Besonders im Büro.

      Es gab bei Bernkopf nicht viele Kollegen, die länger dabei waren als sie. Sie behielt den Überblick. Sie besprach sich mit Abteilungsleitern, die als Lehrling bei ihr angefangen hatten. Wer neu in den Verlag kam und ihre Aufnahmeprüfung bestand, erfuhr von ihr, an wen er sich halten musste und zu wem er sich in der Kantine besser nicht an den Tisch setzte. Sie beherrschte die Kaffeemaschine und hatte notfalls ein Aspirin zur Hand. Alles in allem war sie unentbehrlich für den Doktor König, dem ihre ganze Loyalität gehörte, all die Jahre hindurch, in denen er ihr Chef war.

      Das Elend der Marlene Eicken hatte mit dem Bernkopf-Umzug in einen Glas­kasten am Stadtrand begonnen.

      „Wissen Sie, Herr Korff – dass sie den Dr. König durch diesen Müller-Zepp ersetzt haben, das war nicht die einzige Veränderung.“

      Der erste Schock war, dass sie ihre Alpenveilchen nicht in das neue Gebäude mitnehmen durfte. Eingeschleppte Schädlinge hätten den exotischen Bambus im Foyer gefährden können, deshalb bekamen die Mitarbeiter ihre Grünpflanzen jetzt zentral zugeteilt. Und die Sonnenblende vor ihrem Fenster konnte Frau Eicken nicht so stel­len, dass sie nach Belieben hinaus schauen konnte. Es hätte sich ohnehin nicht gelohnt: Da draußen lag eine freudlose Brache, Bau-Erwar­tungsland. Eine Automatik besorgte das Auf und Ab der Außenjalousien, je nach Sonnenst­and.

      „Im Konferenzraum gingen sie einmal ständig rauf und runter, und nie­mand konnte sie stop­pen.“ Frau Eicken lachte, eine Mischung aus Rachsucht und Schadenfreude. „Milch und Zucker, Herr Korff?“

      Mehr und mehr begegneten ihr auf den Fluren neue Gesichter. Früher hatte sie richtige Herren gekannt, die die Arbeit einer tüchtigen Sekretärin zu respektieren wussten. Jetzt kamen ihr zu viele junge Schnösel unter, frisch aus dem Wirtschaftsstudium. Anfänger, die die Kostenstelle, auf die sie gesetzt wurden, mit einem Karriereschritt verwechselten.

      „Sie sehen auch alle gleich aus, haben Sie das schon bemerkt?“

      Der Müller-Zepp war ihr Todfeind geworden, nachdem er ihren Doktor König angegriffen hatte.

      „Bei der Sitzung habe ich Protokoll geführt. Dieser Müller-Zepp hat den Doktor König gefragt, ob die Grossisten einer neuen Rabattierung zustimmen würden. Doktor König hat geantwortet, das glaube er schon. ‚Sie wissen es also nicht?’ hat der Müller-Zepp den Doktor angefahren. Verstehen Sie – er hat dabei den Zeigefinger auf die Tischplatte gestoßen, als ob er einen Verbre­cher dingfest macht. Wie bei einem Verhör.“

      Das passt, dachte Arnold. Er glaubte der Marlene Eicken sofort.

      „Nur um seine eigene Überlegenheit herauszustreichen. So richtig heimtückisch, ich kann so was nicht ab. Auch Doktor König war völlig perplex.“ Sie schüttelte den Kopf: „Wenn ein paar Leute zusammensaßen, um über neue Ideen nachzudenken, ging am Ende immer Müller-Zepp als derjenige raus, der die beste Idee gehabt hatte. Wir haben bei Bernkopf stets zusammengehalten und dann kommt einer, der will Beute machen. So Leute gehen über Leichen, die kennen dann keine Kollegen mehr. Wenn sie dann noch aus einer bekannten Familie kommen, nehmen sie sich besonders viel heraus. Sie kennen die Zepps?“

      Als Arnold die Stirn runzelte:

      „Die Pumpen-Zepps. Müller-Zepp hat eine Tochter geheiratet. Die einzige Tochter, glaube ich. Noch Kaffee, Herr Korff? Ich bin vorzeitig in den Ruhestand gegangen, die Chance habe ich genutzt. In zwei Jahren wäre sowieso Feierabend gewesen, da konnte ich mir das leisten. Man wurde ja zum Schluss kaum noch gegrüßt.“

      „Ja,“ sagte Arnold. Er nickte und griff auf einen Satz des blonden Wuschelkopfs zurück. „Mit manchen Leuten ist es wirklich schwierig.“

      „Da sagen Sie was,“ meinte Frau Eicken auf ihrem Samtsofa.

      Ihre Unterhaltung begann zu lahmen. Arnold überlegte, wie er die Zielgerade erreichen könnte, als Frau Eicken ihm auf halber Strecke entgegenkam:

      „Was kann ich denn eigentlich für Sie tun?“

      „Ich überlege gerade. All die Jahre. Da müssen doch ganze Kolonnen von Werbeleuten durch Ihr Vorzimmer marschiert sein. Kannten Sie eigentlich den Georg Hoyer, vom Studio Hoyer?“

      „Natürlich, den haben wir gut gekannt. Er ist tot, nicht wahr? So ein netter Kerl, er hat mir mal ein Buch über Palästina geschenkt. Auch Doktor König hat scheint’s große Stücke auf ihn gehalten, er hat immer gern mit ihm gesprochen.“

      „Hat der Hoyer denn auch noch mit Müller-Zepp zu tun gehabt?“

      „Solange ich noch da war, nur einmal. Was für ein Gespräch das war, weiß ich nicht. Ich weiß nur, der Müller-Zepp hält auf nieman­den so große Stücke wie auf sich selbst, der Kotzbrocken.“

      Weil das Objekt ihres Abscheus damit nicht ausreichend verflucht war, schickte sie, als Arnold aufstand, die endgültige Verdammnis hinterher: „Wissen Sie, Herr Korff, für solche Leute ist Jesus nicht gestorben.“

      Sie verabschiedete ihn auf dem Treppenabsatz und wünschte ein schönes Wochenende. Sie hatte sich über seinen Besuch sehr gefreut.

      8 / Das Eheleben der Sabine Korff

      „Viel klüger bin ich nicht geworden,“ berichtete Arnold zuhause. „Es sieht aber so aus, als sei es dieser Müller-Zepp, der den Hoyer abgewiesen hat. Warum, weiß ich nicht. Wie es jetzt weitergehen soll, weiß ich auch nicht. Wir müssen das nächsten Freitag mal verhackstücken.“

      Nächsten Freitag bei Wittfelds. Ilka würde auch da sein, Bennos Neue.

      Sie hatten die erste Frau Wittfeld nur kurz kennengelernt; sie wussten wenig von ihr und von den Umständen der Trennung gar nichts, jedenfalls war sie seit langem von der Bildfläche verschwunden. Arnold hatte beiläufig nachgefragt, aber Benno konnte nur mit den Schultern zucken: „Nichts Genaues weiß man nicht“.

      Ilka war für beide Korffs neu und musste von beiden Korffs erkundet werden. Die Gelegenheit bekamen sie jetzt: Die neuen Wittfelds hatten zum Kennenlernen eingeladen,