Geshe Kelsang Gyatso

Sinnvoll zu betrachten


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zu entwickeln!»

      Wenn uns aber heute jemand fragen würde, ob wir den Geist des Bodhichittas oder lieber einen Goldklumpen hätten, würden wir sicher das Gold wählen. Der Grund liegt darin, daß wir den Wert des Goldes, aber nicht die unvergleichlichen Qualitäten und Vorteile des Bodhichittas erkennen. Wenn wir den Nutzen erkannt hätten, würden wir anders wählen. Wir würden verstehen, daß Gold leicht erworben werden kann, während kein Geld dieser Welt Bodhichitta kaufen kann, weil es ihn nirgends zu kaufen gibt. Der einzige Weg, den kostbaren Bodhichitta zu erwerben, besteht darin, ihn durch lange Meditation zu entwickeln.

      Bis wir das kontinuierliche und spontane Bestreben haben, Bodhichitta zu entwickeln, sollten wir viel Zeit darauf verwenden, allgemein über seinen Nutzen nachzudenken. Von den zehn Vorteilen, die Shantideva hier aufgelistet hat, sollten wir denjenigen auswählen, der die stärkste positive Wirkung auf unseren Geist ausübt, und dann darüber meditieren. Damit eine Meditation wie diese ihre größte Wirkung entfalten kann, sollte sie stetig und konzentriert sein. Am Schluß der Meditationssitzung sollten wir dann das Gebet rezitieren, das in der Einleitung des Kommentars zitiert wurde:

      Möge der höchste, kostbare Bodhichitta

      Wachsen, wo er noch nicht gewachsen ist,

      Sich nicht vermindern, wo er bereits entstanden ist,

      Und immerfort blühen.

      Mit der Rezitation dieses Gebets drücken wir unseren Wunsch aus, Bodhichitta so schnell wie möglich zu entwickeln. Dieses Gebet kann nach jeder tugendhaften Handlung rezitiert werden.

      Wir sollten uns daran erinnern, daß alle Fähigkeiten, die wir haben, und jedes Wunder, das wir vollbringen können, ohne Bodhichitta keinen wirklichen Nutzen hat. Durch die Luft fliegen zu können hat keine besondere Bedeutung - auch Vögel können fliegen. Wir haben in früheren Leben oft solche übernatürlichen Kräfte und Hellsicht besessen, aber was hat uns das genützt? Jetzt ist die richtige Zeit, unseren ungezähmten Geist durch Bodhichitta zu kontrollieren. Mit Bodhichitta wird der Geist friedlich. Die Erleuchtung und Erfüllung aller unserer Wünsche ist dann nicht mehr weit entfernt.

      Es ist wichtig, daran zu denken, daß Erleuchtung nicht erlangt werden kann, wenn wir uns nicht in einem ersten Schritt mit den Methoden für die Entwicklung des Bodhichittas vertraut machen und diese auch beherrschen. Wir müssen diese Methoden so sorgfältig wie möglich praktizieren und uns ständig ermahnen, diese kostbare Geisteshaltung zu entwickeln. Heutzutage, in einer Welt des Aufruhrs, besteht eine besondere Notwendigkeit, daß die Menschen im Westen Bodhichitta entwickeln. Wenn wir durch diese schwierigen Zeiten kommen wollen, dann müssen sowohl im Westen wie im Osten echte Bodhisattvas erscheinen.

      Es gibt vier Vorbereitungen, die gemacht werden müssen, um Bodhichitta zu entwickeln. Es ist sehr wichtig, sie zu kennen, denn wenn wir uns gut vorbereiten, ist es leicht, den Erleuchtungsgeist zu entwickeln. Aus diesem Grund sollten wir (a) unseren Geist mit dem Nutzen von Bodhichitta vertraut machen, (b) eine Fülle von Verdiensten ansammeln, (c) uns von jeder Nichttugend reinigen und (d) die Methode verstehen, wie Bodhichitta entwickelt wird. Der letzte Punkt wird im folgenden Teil des Kommentars erklärt.

      BODHICHITTA ERKENNEN

      1. Die Unterteilungen von Bodhichitta

      2. Der Nutzen des anstrebenden Bodhichittas

      3. Der Nutzen des ausübenden Bodhichittas

      DIE UNTERTEILUNGEN VON BODHICHITTA

      Es ist notwendig, die Essenz des Erleuchtungsgeistes genau zu verstehen, damit unsere Bodhichitta-Meditation erfolgreich ist. Wie schon erwähnt, ist Bodhichitta der spontane und andauernde Geisteszustand, der die Erleuchtung einzig zum Wohl aller fühlenden Wesen anstrebt. Shantideva sagt, daß es zwei Formen dieses Geistes gibt: [15] den anstrebenden und den ausübenden Geist des Bodhichittas. Um die Bedeutung dieser beiden Geistesarten und ihren Unterschied zu verstehen, ist es hilfreich, mit den traditionellen Methoden zur Entwicklung von Bodhichitta vertraut zu sein.

      Bodhichitta kann durch zwei Methoden entwickelt werden: (1) die Realisation der Unterweisungen über die siebenfache Ursache und Wirkung oder (2) das Austauschen vom Selbst mit anderen. Die erste Methode wurde ursprünglich von Buddha Shakyamuni gelehrt, und anschließend in einer ununterbrochenen Überlieferungslinie von Maitreya und Asanga an Spirituelle Meister wie Serlingpa und Atisha weitergegeben. Die zweite Methode - das Austauschen vom Selbst mit anderen - wurde besonders für Schüler mit scharfer Intelligenz geschaffen. Auch diese Methode wurde von Buddha Shakyamuni gelehrt und durch Manjushri in ununterbrochener Überlieferungslinie über indische Meister an Shantideva weitergegeben. Beide Überlieferungslinien haben bis zum heutigen Tag überlebt und werden gegenwärtig von verwirklichten Meistern oder Lehrern der vier tibetischen Traditionen des Mahayana-Buddhismus gehalten.

      Die Methode des Austauschens vom Selbst mit anderen wird ausführlich im achten Kapitel erklärt. Jetzt folgt eine Erklärung der Entwicklung von Bodhichitta auf der Grundlage der Meditation über die Unterweisung der siebenfachen Ursache und Wirkung. Diese Methode blühte in Indien und Tibet und war dort weit verbreitet. Wir werden durch das Studium dieser Unterweisung erkennen, daß Bodhichitta nicht sofort erlangt werden kann, sondern daß er das Ergebnis einer schrittweisen Schulung und Entwicklung des Geistes ist.

      DIE METHODE DER SIEBENFACHEN URSACHE UND WIRKUNG

      Die Unterweisung der siebenfachen Ursache und Wirkung ist eine Methode, die die schrittweise Entwicklung von sieben Realisationen beinhaltet:

      1. Alle Lebewesen als unsere Mütter erkennen

      2. Sich an die Güte aller Mutterwesen erinnern

      3. Die Güte aller Mutterwesen erwidern

      4. Zuneigungsvolle Liebe entwickeln

      5. Großes Mitgefühl entwickeln

      6. Höhere Absicht entwickeln

      7. Der Erleuchtungsgeist - Bodhichitta

      Diese Methode wird die Unterweisung der siebenfachen Ursache und Wirkung genannt, weil diese sieben Realisationen eine Kette von Ursachen und Wirkungen bilden, die zur endgültigen Realisation von Bodhichitta führen. Zum Beispiel dient die Realisation der zuneigungsvollen Liebe als Ursache für die Entwicklung des Großen Mitgefühls.

      Bevor wir mit der Meditation über die Unterweisung der siebenfachen Ursache und Wirkung beginnen, ist es hilfreich, über Gleichmut zu meditieren. Gegenwärtig ist unser Geist unruhig und voreingenommen. Statt alle Wesen gleich und mit den Augen des Mitgefühls zu betrachten, sehen wir einige als Freunde, andere als Fremde oder sogar als Feinde. In diesem unausgeglichenen Zustand ist es sehr schwierig, alle Wesen als unsere Mütter zu erkennen, was die erste der sieben Realisationen von Ursache und Wirkung ist. Wenn unsere Meditation also erfolgreich sein soll, müssen wir zuerst versuchen, unsere Vorurteile durch die Entwicklung der Geisteshaltung des Gleichmuts zu entfernen.

      Es folgt nun eine kurze Erklärung, wie Gleichmut entwickelt wird: Zuerst sollten wir uns drei Personen vergegenwärtigen, die wir jetzt gerade jeweils als unseren Feind, als unseren Freund und als Fremden einstufen. Dann sollten wir uns fragen, weshalb wir sie auf diese Weise einordnen. Wenn wir es untersuchen, werden wir feststellen, daß die Person, die wir als Feind betrachten, von uns so eingestuft wird, weil wir durch sie in der Vergangenheit irgendeinen Schaden erlitten haben. Dieser Schaden kann klein oder groß, wirklich oder auch nur vorgestellt, körperlicher oder geistiger Natur sein. Wenn wir aber zurückdenken, dann können wir uns oftmals an Situationen erinnern, wo dieselbe Person uns große Güte entgegengebracht hat. Könnten wir in vergangene Leben zurückschauen, dann würden wir zweifellos entdecken, daß dieser sogenannte Feind in mehreren Fällen unsere selbstlose gütige Mutter war, die uns mit ihrer eigenen Milch ernährt und uns vor Angst und Schaden beschützt hat. Auch ohne frühere Leben in Betracht zu ziehen, können wir erkennen, wie vorübergehend der Status «Feind» ist und wie leicht er verändert werden kann. Wenn wir morgen unerwartet