Sabine von der Wellen

Die Hoffnung aus der Vergangenheit


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heraus und krame die Bilderrahmen hervor, die Carolin zeigen. Auf einem steht sie in meiner Küche und macht sich einen Tee und auf dem anderen liegt sie in meinem Bett und schläft. Beides Schnappschüsse - mit meinem Handy gemacht. Ich hätte so viel mehr von ihr machen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Aber ich ahnte ja nicht, dass sie mir wieder entgleiten wird. Ich ahnte so vieles nicht und die Liebe und der tiefsitzende Drang, Carolin für immer für mich haben zu wollen, hatte mich verändert. Es gab viele Male, in denen ich mir in den letzten Monaten gewünscht hatte, ihr niemals begegnet zu sein und dass sie weiterhin nur in meinem Kopf existiert. Sie hatte etwas in mir aufbrechen lassen und mich mit etwas ausgefüllt, das mich unglaublich glücklich, aber auch unglücklicher machen konnte, als ich es je vorher war. Selbst als unser Halbbruder Julian beschloss, meinem und Carolins Leben ein Ende zu setzen, traf es mich nicht so tief, wie in den Momenten, als sie sich gegen mich wandte und mir ihre Liebe entzog.

      Wie oft hatte ich verzweifelt versucht wieder in meine alte, kalte Welt einzutauchen, in der ich nicht verletzt werden konnte. Die kalte Welt, die ich meine ganze Kindheit lang in mir geschürt hatte, um besser in der harten Erwachsenenwelt bestehen zu können. Es war ein Kampf gewesen, der mich viel Kraft gekostet hatte. Genauso wie der Kampf um die Zuneigung meiner Mutter. Ich hechelte hinter ihr und ihrer Zuneigung her, bis ich für mich jegliche Zuneigung ausschloss und mich entschied, ohne leben zu können. Das machte mich hart und aggressiv, was ich aber nicht zeigen durfte. Bei uns Zuhause herrschte einzig und allein das Gesetz der Gefühlslosigkeit. Aber ich wollte Gefühl und ich wollte jemanden für mich. Das sah ich aber erst später so klar.

      Mit fünfzehn hatte ich mein erstes Mal. Die junge Frau war eine von denen, die mich anhimmelten, nachdem ich ein Konzert gab. Von diesem Schlag gab es viele. Aber bis zu diesem Zeitpunkt konnte ich mit ihnen nicht viel anfangen, weil mein ganzes Sein auf dieses blonde Mädchen aus meinen Träumen ausgerichtet war, dass meine Sehnsucht nach Liebe schürte - und auf meine Mutter, die mich mit Argusaugen überwachte, obwohl sie sich da schon mit Hans traf.

      Eines Tages kam diese junge Frau nach einem Konzert in meine Kabine, trat ohne Umschweife an mich heran und küsste mich.

      In mir sprang etwas an und sie machte mir verheißungsvolle Angebote, die ich nicht ausschlagen wollte. Sie war viel älter als ich und erfahrener. Sie war blond und schlank und hatte Sommersprossen. Mir war klar, dass sie dem Mädchen aus meinen Träumen ein wenig glich.

      Sie hatte ein eigenes Auto und fuhr mit mir in das Hotel, in dem meine Mutter auf mich wartete. Aber ich hatte mein eigenes Zimmer und erklärte meiner Mutter, dass ich Kopfschmerzen habe und schlafen gehen wolle. Stattdessen wartete die junge Frau auf mich und ich fieberte nervös meinem ersten Mal entgegen.

      Sie küsste mich und fand es so aufregend, dass ich so unglaublich Klavier spielen kann. Sie lobte mich in den Himmel und zog alle Register und bei mir brach etwas hervor, das sich nicht mehr kontrollieren ließ. Sie wollte es zärtlich und sanft und langsam. Sie glaubte, meine Art zu lieben sei wie mein Klavier spielen. Aber wenn ich Sex habe, bin ich kein Klavierspieler. Beim Sex bricht bei mir eine Bestie hervor, die nach etwas giert, von dem ich bis zu dem Zeitpunkt nicht wusste, dass es das in mir gibt. Als sie mich immer wieder küsste und wollte, dass ich sie streichle und zärtlich bin, packte ich sie, riss ihr die Bluse auf und warf sie auf das Bett. Sie war erst noch fasziniert von meiner Gier. Doch schnell erkannte sie wohl, dass es für mich nur noch eins gab. Ich wollte sie besitzen und diesen Hunger in mir stillen. Es gab keine Zärtlichkeiten. Ich riss ihr die Hose vom Leib und schob mich zwischen ihre Beine. Es tat weh, weil sie nicht bereit war. Aber als ich auf diese Weise meinen ersten Orgasmus erlebte, wusste ich, das ist was ich brauche. Davor kannte ich nur feuchte Träume, die mich überkamen und vorbei waren, bevor ich sie wirklich realisierte oder ich befriedigte mich selbst, während ich auf einen Bildschirm starrte, der andere beim Sex zeigte. Aber dieses erste Mal mit diesem Mädchen befreite mich von all dem, was bis dahin in mir wohnte und mich niederdrückte. Ich fühlte mich hinterher wie erlöst.

      Die junge Frau wirkte verstört und enttäuscht und als ich ihr meine Nummer gab, nickte sie nur und ging. Ich hörte nie wieder von ihr.

      Aber es folgten andere und ich lernte sie zum Druckablassen zu benutzen. Ich brauchte keine Gefühle und keine Streicheleinheiten. Ich brauchte nur einen Körper, in den ich meinen Frust, meine Versagensängste, und meine Sehnsucht nach diesem blonden Geschöpf aus meinen Träumen spritzen konnte.

      Um nie wieder diesen ersten Schmerz verspüren zu müssen, gewöhnte ich mir an, mit einem Finger stets zu testen, was mich erwartet, bevor ich sie schnell und hart nahm.

      Dann kam Tanja. Sie war so verliebt in mich und ich wollte das erste Mal, dass es für länger hielt, weil alles andere erschreckend mühsam ist. So bemühte ich mich um ein wenig mehr Zuwendung den weiblichen Formen gegenüber und versuchte mir etwas Zeit zu lassen. Aber meist misslang das. Wenn ich sie küsste, wollte ich sie auf der Stelle ganz. Dennoch gelang es mir, Tanja zu halten, und ich lernte einen Frauenkörper zu erkunden konnte auch etwas für sich haben. Ich tat das, wenn bei mir der erste Druck abgebaut war, um Tanja wenigstens etwa zu geben, dass sie an mich band. Aber es war nur ein schaler Abklatsch von Gefühlen und langweilte mich meistens schnell. Es brachte mir halt nichts.

      Aber irgendwann musste ich erkennen, dass man keine Frau halten kann, wenn man ihnen nichts zurückgibt. Ich schob es darauf, dass bisher keine von ihnen die richtige war. Die einzig richtige Frau existierte bis dahin nur in meinen Träumen und sie liebte ich dort auch. Sie war die eine, der ich alle meine Gefühle offenbarte und die sie mir hundertfach zurückgab. Bei ihr gab es keine Wertung meiner Person oder meines Verhaltens. Sie verstand mich blind und meine Art zu lieben war die Art, wie sie geliebt werden wollte. Aber ich konnte sie mir nicht herbeiwünschen, wenn ich sie brauchte. Sie kam meist völlig unverhofft in meine Träume, und letztendlich war es nur noch in Alpträumen mit Schreckensszenarien aus einem Labor gewesen. Erst war es nur ein dunkler Schatten, der sie darin einschloss und ihr Licht niederdrückte. Dann legte sich diese graue Welt ganz auf meine Träume, und Kurt, der mit diesem grauen Schatten erschien, legte ein Gefühl der Angst auf mein Gemüt, das sich immer öfter in meinen Träumen einschlich. Und mit jedem Mal wurde die Gefahr um das Mädchen größer, die Schatten dunkler und mein Entsetzen, weil etwas Schlimmes passieren würde, stärker. Ich war verstört und wusste bei jedem Traum, dass ich dieses Mädchen retten musste, denn sie gehört zu mir.

      Erst konnte ich Kurt in meiner Traumwelt noch Einhalt gebieten. Aber mit jedem Mal wurde meine Kontrolle über ihn schwächer und die Bedrohung für das Mädchen größer. Und dann veränderten sich die Gefahr und mein Traum. Es wurde zu einer Szene, die sich immer wieder zu wiederholen begann. Ich war in einem schmutzigen Labor und unter einem Tisch hockte ein Mädchen. Vor dem Tisch stand ein Mann, der sie mit einem Messer bedrohte. Doch die Szene änderte sich mit jedem neuen Traum. Wo ich erst glaubte, der Mann wäre Kurt und ich das Mädchen nicht klar erkennen konnte, wurde der Mann zu einem jungen Mann, der Kurt nur ähnelte, und das Aussehen des Mädchens wurde deutlicher. Ich sah ihr blondes Haar und ihre Sommersprossen in dem bleichen Gesicht.

      Für die arme Tanja muss ich wie ein Irrer gewirkt haben, der erst über sie herfiel und dann im Schlaf von Albträumen gequält in Panik ausbrach und immer wieder einen Namen rief, der nicht ihrer war. Denn mit dem Albtraum in dem Labor setzte sich auch ein Name in meinem Inneren für das Mädchen fest. Ich nannte sie Carolin, bevor ich wusste, dass das Mädchen, das ich suchen und finden würde, auch so heißen würde. Das war eins der vielen Mysterien, die wir in den folgenden Monaten noch erleben sollten.

      Tanja ging und kam nicht wieder. Ohne ein Wort verschwand sie einfach aus meinem Leben und ließ sich am Telefon verleugnen. Als ich sie aufsuchen wollte, war sie sogar weggezogen.

      Erneut folgten andere. Aber es klappte nicht mehr. Etwas blockierte mich. Ich schob das alles auf meine Albträume und dieses Mädchen darin, das ich suchen und finden musste.

      Zu der Zeit hatte ich die Bücher von dem Alchemisten Kurt Gräbler so oft gelesen, dass ich sie fast auswendig kannte. Ich hoffte, dass Mädchen in der Nähe von einem Haus zu finden, das ich schon lange aus den Geschichten von Kurt zu kennen glaubte. Ich begann zu recherchieren und fand das Anwesen des Alchemisten und beschloss es aufzusuchen, sobald ich volljährig war und mich aus den Klauen meiner Mutter befreien konnte. Ich musste