Sabine von der Wellen

Die Hoffnung aus der Vergangenheit


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wenig meiner Gefühle offenbart und sie mir ein Versprechen gegeben, mich wiedersehen zu wollen.

      Aber sie hatte mir auch gesagt, dass sie nicht auf blond und blauäugig steht …

      Heute weiß ich, sie hat mich belogen. Vielleicht ist die Augenfarbe egal. Aber die blonden Haare zogen sich durch ihr Liebesleben und ließen mich immer wieder außen vor.

      Ich werfe mich in dem erschreckend ruhigen Hotelzimmerbett von einer Seite auf die andere. Vielleicht hätte ich besser ein Hotel mitten in der geschäftigen Innenstadt von Köln wählen sollen. Aber ich war in diesem gelandet und nehme erneut die Bilder von Carolin in die Hand, die ich in dem seichten Licht der kleinen Nachtischlampe anstarre. Wenn alles gut gelaufen wäre, würde sie jetzt auf mich in meiner Wohnung in Alfhausen warten. Ich hatte sie schon so weit. Aber genau das hat erneut ein blonder Arsch zunichte gemacht. Genauso wie Marcel vorher immer wieder.

      Ich weiß gar nicht, wann Marcel in ihr Leben geschliddert war. Das hatte ich nie ganz herausfinden können. Er stand auf sie … schon eine ganze Zeit, und sie erhörte ihn irgendwann. So hatte er es mir zumindest mal geschildert, als ich so tat, als könnte ich sein Freund sein. Es war bei einem weiteren Versuch gewesen, Carolin wieder an meine Seite zu zwingen. Alles mit ihm lief irgendwie zur gleichen Zeit, in der auch ich in ihr Leben getreten war.

      Er war der Mannschaftführer der einheimischen Fußballmannschaft, in der auch unser Bruder Julian mitspielte. Der brachte dann wohl ihn und Carolin zusammen.

      Julian, ihr Bruder - und auch meiner. Ich ahnte, als ich ihm das erste Mal auf der Terrasse ihres Gartens begegnet war, dass er dieses Kind von meinem Vater sein musste, von dem meine Großmutter gesprochen hatte. Zu dem Zeitpunkt hatte ich schon an der Tür meines biologischen Vaters geklingelt und ihm erzählt, wer ich bin. Und Julian sah genauso aus wie er - dunkelbraune Haare, dunkelbraune Augen und dasselbe fein geschnittene, gutaussehende Gesicht.

      Ich bin wohl mehr nach meiner Mutter geraten. Darum haute es meinen Vater auch völlig aus den Socken, als ich vor seiner Tür stand. Erst wurde er blass, dann rot und dann stammelte er eine Menge dummes Zeug von wegen, er hätte immer mal an mich und meine Mutter gedacht und so.

      Ich lernte an diesem Tag auch seine Frau kennen und den fünfzehnjährigen Philip, sowie den zehnjährigen Tom und Agnes, das fünfjährige Nesthäkchen. Tom und Agnes waren ziemlich aus dem Häuschen, als mein Vater ihnen erklärte, dass ich ihr großer Bruder bin. Und Philip? Der fand das Ganze echt uncool.

      Dafür war die Frau meines Vaters sofort unglaublich nett zu mir. Aber mir war schnell klar, ich werde bei ihnen niemals wirklich dazugehören. Sie sind eine eigenständige Einheit, der ich niemals angehören werde.

      Aber für mich war damals sowieso nur Carolin wichtig. Sie war die einzige, zu der ich gehören wollte. Wir hatten uns auf der Jugendveranstaltung gut verstanden und ich brannte darauf, sie wiederzusehen. Ich wollte ihr alles erzählen - von meinen Träumen, dem Alchemisten Kurt Gräbler in mir, von dem Labor, von dem ich geträumt hatte, und das tatsächlich auf ihrem Grundstück liegt, wie sich später herausstellte, und natürlich, dass sie zu mir gehört und sie mein Herz in ihren Händen hält.

      Aber mir kam damals ein zweiwöchiges Engagement in einem kleinen Theater in Hannover dazwischen, zu dem ich aufbrechen musste. Ich hatte den Klavierpart übernommen und eigentlich freute ich mich darüber, solche Touren mitmachen zu dürfen. Aber nicht bei diesem Mal. Mein Kopf und mein Herz waren von Carolin erfüllt und zu ihr wollte ich, so schnell es ging, wieder zurückkehren. Ich wollte sie unbedingt wiedersehen und sehnte mich so sehr danach, mit ihr sprechen zu können, dass ich sie sofort zuhause aufsuchte, sobald ich meinen Part erfüllt hatte. Zwei Wochen waren da, nach unserem letzten Treffen am Lagerfeuer, vergangen. Für mich eine unendlich lange Zeit.

      Mir war an diesem Tag sogar egal gewesen, ob ich dort auf ihren Bruder oder auf sonst wen stoßen könnte. Ich wollte einfach nur Carolin schnell wiedersehen.

      Aber es war niemand zuhause und so musste ich auf sie warten. Als sie endlich kam, war ich mir erst nicht sicher, ob sie sich über meine Anwesenheit freute oder nicht, denn unsere Begrüßung fiel recht kühl aus. Mir kam später erst in den Sinn, dass sie wohl wütend war, weil ich mich zwei Wochen nicht bei ihr gemeldet hatte. Als ich sie um ein Gespräch bat, dauerte es, bis sie mit mir dafür auf die Terrasse ging. Und dort brauste sie gleich auf: „Sagst du mir heute, was du letztens in unserem Garten gesucht hast?“

      Ich weiß noch, dass ich Angst hatte, dass sie mich fortjagt, wenn ich ihr mit meiner Alchemistengeschichte komme. Deshalb erzählte ich ihr anfangs, dass ich meinen Vater gesucht und gefunden hätte und sogar meine drei Geschwister kennengelernt hätte.

      Carolin war völlig platt, dass ich die noch nie zuvor gesehen hatte und sie war noch platter, als ich ihr von noch einem Kind meines Vaters erzählte, dass ich auch nicht kennen würde.

      Das ich dem wenig später begegnen würde, ahnte ich da noch nicht.

      Ich hatte an diesem Nachmittag mit voller Absicht auf die Tränendrüse gedrückt und ihr sogar weisgemacht, dass mein Vater mich und das ältere Kind extra aus seinem Leben verbannt hätte und nur seine anderen Kinder wollte. Ich weiß noch, wie Carolin völlig entrüstet gesagt hatte: „Das ist ja unglaublich! Warum hast du ihn dann gesucht? Also ich hätte den für immer aus meinem Leben gestrichen. Hundertprozentig!“

      „Das verstehst du nicht. Du kommst aus einem normalen Elternhaus mit Geschwistern und einer Mutter und einem Vater - ohne jeglichen Hick Hack. Ich wollte auch immer einen Vater und Geschwister haben“, hatte ich geantwortet. Aber ich ahnte damals nicht im Geringsten, wie es wirklich um ihre Familie bestellt war. Sie machte zwar eine Andeutung, aber ich ging nicht weiter darauf ein.

      Da ich natürlich auch mehr über das Labor des Alchemisten herausfinden wollte, hatte ich irgendwann das Thema darauf gelenkt und sie gefragt, wie lange sie schon in dem Haus des Alchemisten wohnt.

      „Seit ungefähr fünf Jahren“, hatte sie gesagt und ich hatte zu Fragen gewagt: „War der Garten schon damals so angelegt gewesen?“

      Ihr Blick war daraufhin über die Rasenfläche geglitten, als müsse sie darüber erst nachdenken und ich hatte sie dabei beobachtet, weil ich sehen wollte, ob ihr Blick irgendwo hängen blieb. Aber sie schien nichts zu wissen und zeigte nur auf ein paar Beete, die neu angelegt worden waren.

      Vielleicht belog sie mich damals. Aber das glaube ich nicht. Denn auf ihre Frage, was ich denn eigentlich suchen würde, und meine Antwort, dass ich eine Tür suchen würde, wirkte sie wirklich überrascht.

      „Du suchst eine Tür im Garten?“

      „Ja, eine Tür zu einem Kellergewölbe.“

      Sie hatte daraufhin ihren Blick erneut wie einen Scann über die Rasenfläche laufen gelassen, ohne mich als verrückt abzustempeln. Sie hatte mich nur gefragt: „Wieso meinst du, dass ausgerechnet hier ein versteckter Keller sein soll?“

      Daraufhin hatte ich ihr gesagt, dass meine Vorfahren aus der Gegend stammen und meine Oma Aufzeichnungen von ihrem Vater erhalten hatte, die das belegen. Und ich erzählte ihr von meinem Dachbodenfund.

      „Also, in der Kiste fand ich handgeschriebene Aufzeichnungen, die wohl zu der Zeit entstanden sind, als der Schreiber - mein Urgroßvater eben - im Krieg war. Er schrieb von den schönen Erinnerungen an die Zeit, die er in Ägypten verbracht hatte und er schrieb von einem Alchemisten, der ihn in Ägypten in die Lehre genommen hatte.“

      Ich sehe noch genau vor mir, wie Carolin mit großen Augen aufgebracht gerufen hatte: „Einem was?“

      Von ihrem seltsamen Ausbruch verunsichert, erklärte ich ihr etwas irritiert darüber, dass sie Unterlagen über Alchemie besitzt, in dem Haus eines Alchemisten lebt und doch völlig dumm nachfragt, wovon ich spreche: „Einem Alchemisten. Das sind Menschen, die unter anderem chemische Zusammenhänge, Naturwissenschaften, Glauben und Aberglauben zusammen verbinden, um das Geheimnis des Lebens und des Todes zu ergründen. Mein Urgroßvater war wohl eher so einer, den der Tod interessierte und wie man ihm von der Schippe springen kann.“

      Natürlich hatte sie das nur so dumm