Denise Remisberger

Fidibus und der Engel von Reichenau


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hatte es endlich geschafft, zu Stefan vorzudringen und erkundigte sich höflich nach dessen Befinden.

      „Schickt dich der olle Konrad, Furdin?“, schmunzelte der junge Mann, dessen Finger mit bunten Farbtupfen übersät waren.

      „Ja, er möchte wissen, ob du fleissig lernst.“

      „So ein Unsinn, Furdin! Der interessiert sich nicht die Bohne für mich. Was führt er wirklich im Schilde?“

      „Nichts“, druckste der Ministeriale herum.

      „Na, sag schon.“

      „Die beiden Schüler“, sagte Furdin in eigenem Interesse.

      „Welche beiden Schüler?“

      „Die, welche nicht mehr hier sind.“

      „Ach die beiden.“

      „Ja, die beiden.“

      „Keine Ahnung, Furdin. Soll ich mich umhören?“

      „Ja.“

      „Und was kriege ich dafür?“

      „Von mir?“, fragte Furdin entsetzt.

      „Von dir, ja.“

      „Und was genau willst du?“

      „Einen Kuss von einem Mädchen.“

      „Von welchem Mädchen?“

      „Ist völlig egal.“

      „Und wo soll ich die schöne Unbekannte auftreiben?“

      „Das überlasse ich ganz dir.“

      6

      „Er sagt nichts“, machte sich Pirmina, Burgherrin in der Nähe von Magdeburg, wirklich Sorgen.

      „Malen kann er; das ist es also nicht“, sagte ihr Mann Gundert.

      „Wie sollen wir es bloss aus ihm herauskriegen?“, rang Pirmina die Hände.

      „Wir müssen ihn in Ruhe lassen. Er wird von selbst zu uns kommen und uns sagen, was auf dieser Insel Reichenau wirklich vorgefallen ist.“

      Der schweigende Junge sass derweil auf der Hurde der elterlichen Holzburg, schaute in die Weite Ostfalens im Stammesherzogtum Sachsen und dachte an die seltsame Nacht, in der er, Sigmund, und sein Mitschüler Peter einen Engel gesehen hatten. Er und Peter hatten sich mitten in einer mondhellen Nacht aus dem Schlafsaal der Schüler geschlichen, um auf Abenteuerreise zu gehen. Die ganze Insel Reichenau erkunden. Nicht nur in der Malschule hocken. Also waren sie von Mittelzell nach Niederzell gewandert, schön am Ufer des Bodensees entlang, und hatten schliesslich die Kirche Sankt Peter und Paul entdeckt. Irgendwann einmal musste es hier gebrannt haben, denn das Gebäude sah nicht so aus, wie eine Kirche aussehen sollte. Das Dach schien irgendwie lädiert zu sein. So genau hatten sie es im Mondlicht auch nicht sehen können. Nur den leuchtenden Engel mit ihrem Mallehrer. Die beiden hatten sie ganz genau gesehen. Und dann hatten sie auch noch etwas gehört.

      7

      „Hast du gut geschlafen, Furdin?“, wollte Ottfried, der Hospitalar des Klosters Reichenau, wissen.

      „Ja, natürlich. Ihr habt es gut hier. Ihr seid ja reich wie sonst was“, versuchte der Ministeriale des Bischofs, brisante Informationen aus dem zugänglichen Ottfried hervorzulocken.

      „Na ja, wir waren schon mal reicher.“

      „Und warum seid ihr jetzt ärmer?“

      „Sie haben zwei unserer Malschüler nachhause geschickt.“

      „Wer ist ‚sie‘?“

      „Eigentlich nur Hubertus.“

      „Und wer ist Hubertus?“

      „Unser Mallehrer.“

      „Zeigst du ihn mir mal unauffällig?“

      „Ja. Komm mit.“

      Und die beiden Verschwörer begaben sich verstohlen zur Malschule hinüber, setzten sich auf eine Bank und warteten, bis sowohl Lehrer als auch Schüler aus dem Unterrichtsraum herausströmten.

      „Dort ist er“, flüsterte Ottfried.

      „Der zarte Kerl mit dem überheblichen Gesichtsausdruck?“

      „Ja.“

      „Ist er wenigstens ein guter Lehrer?“

      „Ein sehr guter. Mit den Schülern geht er recht freundlich um. Nur uns anderen gegenüber benimmt er sich oft abweisend.“

      „Weisst du, warum?“

      „Nein, keine Ahnung. Die Leute sind, wie sie sind, Furdin. Du solltest toleranter sein. Du bist schliesslich noch jung.“

      „Und ich habe ein schwieriges Amt.“

      „Wenn du mich fragst, ist eher dein Konrad schwierig, und nicht deine Arbeit.“

      „Das kann sein“, lachte Furdin.

      8

      „Wen haben wir denn da?“, trat ein hagerer Kerl hinter einem Baum hervor und steckte sich ein paar Nüsse in den Mund, die er bedächtig zu kauen begann. Derweil spielte er ein bisschen mit einem langen Messer, das im diesigen Licht des Arboner Forsts gefährlich aufblitzte.

      „Ich bin ganz harmlos“, stotterte der erschrockene Jüngling in den feinen Kleidern.

      „Aber ich nicht. Ich bin ganz und gar nicht harmlos.“

      „Er ist Räuber Dumpfbacke. Der gefürchtetste Räuber im weiten Arboner Forst“, lächelte ein weiterer Messerbewehrter süsslich, der gerade aus dem dichten Wald auf den Fusspfad, der von Steinach am Bodensee bis nach Sankt Gallen, dem Bach Steinach entlang, hinaufführte, gesprungen war und den Jungen interessiert musterte.

      „Das ist Tropf, einer meiner zahlreichen Kumpane“, zeigte Dumpfbacke auf den Lächelnden.

      „Oh, ich stelle mich wohl auch besser vor. Ich heisse Peter und komme aus dem Stammesherzogtum Sachsen.“

      „Kenn ich nicht“, verliess Dumpfbacke langsam die Geduld.

      „Ist das weit weg?“, wollte Tropf wissen.

      „Sehr weit weg, ja.“

      „Und was willst du hier bei uns?“, forschte Tropf weiter, den ein ungutes Gefühl beschlichen hatte.

      „Ich möchte meinen Onkel besuchen, Josef von der Altenburg zu Cannstatt.“

      „Was?!“, schrie der oberste Räuber. „Den Einsiedler?“

      „Ja. Ich wollte mich zu ihm durchfragen.“

      „Josef ist ein Freund von uns. Wir bringen dich zu ihm. Komm.“

      Und die drei ungleichen Männer liefen zusammen durch den riesigen Arboner Forst, über Wildwechsel hügelauf, bis sie schliesslich auf der Lichtung anlangten, auf der die Hütte des Einsiedlers stand.

      „Josef!“, klopfte Dumpfbacke an die Holztüre, woraufhin ihm jemand öffnete.

      „Räuber Dumpfbacke! Bringst du dem armen Josef wieder irgendwelches gestohlene Zeugs, das er euch abkaufen soll?“, versenkte die Frau ihre Hexenaugen tief in die des Räubers.

      „Trude! Nein, nein, gar nicht. Wir haben eher was gefunden. Den Jungen hier. Ist der Neffe Josefs. Heisst Peter“, zitterte der grosse Räuber ein klein wenig beim Anblick der mächtigen Zauberfrau, mit der er zwar auf gutem Fuss stand, doch vor der er sich immer eine Spur fürchtete.

      „Kommt rein!“, rief Josef aus der Hütte.

      Nachdem sich die drei neuen