Martina Dr. Schäfer

Allah ist unsichtbar


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für das Thema der vorliegenden Arbeit, seine Idee einer Bewegung des «Ausströmens» der einfachen Hypostasen aus den höheren Emanationen, proo­dos, und der Rückkehr, epistrophe, zu erwähnen: Es ist eine Art über­zeit­liches oder ausserzeitliches «Atmen», in welchem sich die Seele ihrer selbst bewusst werden kann. In einer steten processio und conversio bewegt sich die Seele zwischen Momenten der «Schau» und der Rückkehr zu sich selber[36].

      Dieser stetige (Erkenntnis-)Prozess kann auch als Reise, Aufstieg, leidenschaftli­che Sehnsucht oder in weiteren Metaphern dargestellt werden, welche natürlich eine gewisse Hierarchisierung oder Stufung dieses Prozesses implizieren.

      Wie bei Platon ist die Ineinssetzung der obersten Hypostase des wahren Einen mit dem absolut Schönen auch bei Plotin zu finden, wobei die eigene Anglei­chung eine Voraussetzung dieses fort schreitenden Prozesses ist: «Es werde also zuerst einer ganz gottähnlich und ganz schön, wer Gott und das Schöne schauen will.»[37]

      Ebenso ist es auch bei Plotin wieder der Eros, die Liebe, welche als treibende Kraft dieses Prozesses wirkt.

      Wie es Platon in seiner Schrift «Parmenides» schon vorgemacht hatte und es ab da auch zum stilistischen Kriterium apophatischen Schreibens schlechthin wer­den wird, umkreist auch Plotin die unmögliche Darstellung des «Einen» in dia­lek­ti­scher Ausdrucksweise. «Dabei experimentiert er mit einer neuen Sprache auf der Grund­lage unüblicher und häufig rätselhafter Wendungen und Aus­drücke, die durch­gehend mit der Partikel hoion («quasi» oder «sozusagen») qualifiziert werden.»[38]

      Die von ihm konstatierten drei transzendentalen Hypostasen verortet Plotin sowohl im Menschen als auch ausserhalb, «erwartend», [39] das «Eine» ist in Al­lem, was existiert.

      Die kontemplierende, philosophierende Seele ist in der Lage, die Schau, die Er­kenntnis dieses «Einen», welches bei Plotin nicht personal zu denken ist, zu erreichen.[40]

      Proklos bildet so etwas wie den terminus post quem in Bezug auf das corpus dio­ny­siacum. Die These, dass Dionysius Areopagites Proklos rezipierte und somit auf jeden Fall w ä h r e n d oder n a c h ihm lebte, ist heute allgemein aner­kannt.[41]

      Der etwa 150 Jahre nach Plotin schreibende Philosoph Proklos entwickelte die Idee einer hierarchisch gestuften Welt auf der Basis der drei Hypostasen Plotins weiter, die durch den Wechsel zwischen Verharren in der Quelle, Hervorgang und Rückkehr verlebendigt wird.

      Proklos entwickelte weiterhin die Lehre von den Henaden, einer Art, auch perso­ni­fizierbarer, Form von Ideen, welche sowohl am «Einen» selber teilhaben als auch überall im Vielfältigen der Welt existieren.

      Personifizierbar sind sie insofern, als Proklos sie mit der griechischen Götterwelt identisch sieht. Sie vermitteln zwischen dem Einen und der Vielfalt, haben aber eben auch religiöse Bedeutung und Funktion. Die höchsten Henaden heissen Glaube, Wahrheit und Liebe.

      Ebenso aber, wie man zwischen personalen und nicht personalen Vorstellungen in Bezug auf die transzendenten Hypostasen in der griechischen Philosophie unter­scheiden kann, so auch zwischen unterschiedlichen Vorstellungen des Eros: Mal ist «das Eine» selbstgenügsam und Eros ist die treibende Kraft der Seele «nach Hause» zurück oder dieser «Eros» geht von der Transzendenz, dem «Einen» aus und zieht die Seele an sich. [42]

      Proklos, so McGINN, in seiner starken Betonung des vom Einen ausgehenden Impulses mystischen Strebens nach Erlangung der Einung zeigt dann wohl als erster in grosser Extremität auf, wie allein die Verneinung der Negation zumin­dest in die Nähe dieses unbegreifbaren oder – beschreibbaren Einen führen könne.[43]

      Die Menschen können einzig ihr Streben selber darstellen, welches aus dem Abbild des Einen in der Seele, ihrer Anteilnahme daran, resultiert.

      Im Beschreiben ihres Strebens, des Aufstiegs, wird so auch das Bild des Einen selber entworfen.[44]

      Nun sind also die Weichen gestellt, Proklos setzt als erster den Wagen darauf, der uns zu einem christlichen Autor führt, welcher nicht nur das Dichten und Schreiben über das unnennbar Eine zu einem Höhepunkt führte, sondern selber in seiner besonderen historischen und religionswissenschaftlichen Ungreifbarkeit und Unbenennbarkeit ein Abbild jener grossen Unfassbarkeit lebte, dem alle Mystiker und Mystikerinnen von Stund an zustrebten.

      Vorhang auf für Dionysius Areopagites!

      3 Dionysius Areopagites

      3.1 Der Nicht-Greifbare: Mythos und Biografie des Dionysius Areopagites

      Was Dionysius Areopagites in einem seiner Briefe über den transzendenten Gott schreibt: «Was immer wir von ihm aussagen mögen, es bleibt unsagbar. Was immer wir von ihm ergründen mögen, es bleibt unergründlich.»[45] trifft ja in faszinierender Weise auch auf ihn selber zu: Was immer auch in den vergan­genen anderthalb Jahrtausenden über sein Leben ausgesagt wurde, blieb letzt­lich «unergründlich» bis auf den heutigen Tag und es ist bis heute weder bekannt, wer sich hinter dem Pseudonym Dionysius Areopagites verbarg, noch weiss man genau, wann er gelebt hat.

      Mit Müh' und Not, möchte man fast sagen, kann man auf Grund der Tatsache, dass Dionysius Areopagites die Werke des neuplatonischen Philosophen Proklos zitierte, einen terminus post quam: Proklos' Todesjahr 485, definieren. Einen weiteren bildet das Jahr 476, in welchem das Credo, auf das Dionysius Areo­pa­gites in der EH anspielt, in die syrische Liturgie eingeführt wurde – und schliess­lich die Erwähnung von Dionysius Areopagites Werken durch Severus von Antiochien (518 oder 528) und ihre vehemente Verteidigung durch Johan­nes von Sky­thopolis anlässlich eines Konfessionsgespräches zu Konstantinopel im Jahr 532/533.[46]

      Was allgemein wohl im Laufe der Zeiten die verschiedenen Theologen und Literaturwissenschaftler noch mehr erregte, als dieses unknackbare Inkognito, war wohl die poetisch-literarische Verschleierung an sich, das Deckmäntelchen eines Pseudonyms, dass Dionysius Areopagites nicht einmal in seinen eigenen Schriften konsequent aufrecht hielt, auch wenn er sich nie wirklich enttarnte.[47] Da war dann glatt von «Fälschung» die Rede, welche den gesamten Wert des CD sogleich und in toto diffamierte[48], was wahre «Fans» von Dionysius Areopa­gites mit wütender Kritik wiederum kommentierten. [49]

      Mitte der 90-er Jahre des 20. Jahrhunderts listeten Theologen 22 Hypothesen auf, wer nun wohl der wahre Dionysius Areopagites gewesen sein mochte,[50] die sich um einen biografischen Kern anlagerten, der seit Abt Hilduins (814–840 Abt der Abtei St. Denis bei Paris) dritter passio Dionysii, geschrieben 835, folgende fiktive Identitäten des Dionysius Areopagites vereint:

      – Athener Areopage, der von Paulus getauft wurde

      – ein in Rom geweihter Bischof, der

      – auf Mission das Martyrium in Paris erlitt[51]

      – Verfasser des 827 dem Frankenherrscher vom Hof zu Konstantinopel geschenkten CD[52]

      In der Variante von Regina SUCHLA umfasst das Mosaik des Dionysius Areopagi­tes:

      – der Dionysius der Apostelgeschichte,

      – der erste Bischof von Athen,

      – der Verfasser von vier Traktaten und zehn Briefen,

      – der Missionar des Frankenlandes,

      - der erste Bischof von Paris,

      – der Pariser Märtyrer.[53]

      In Zeiten, da insbesondere theologische Wissenschaften, aber teilweise auch die Germanistik z.B. durchaus mit moralischen Ansprüchen daher kamen, rückte die Verwendung eines Pseudonyms gefährlich nahe an solch abscheuliche Untaten wie Plagiat oder Fälschung heran. Dass man aber grundsätzlich die Art der Zitation im ersten Jahrtausend n.d.Z. nicht mit unseren modernen Anforde­rungen an wissenschaftliche Redlichkeit vergleichen