sind.«
»Bei unsern Bauern? Die denken nicht daran, tätlich zu werden.«
Assessor Meier sagt betont: »Die Bewegung Bauernschaft ist gefährlicher als KPD und NSDAP zusammen. Ich wiederhole wörtlich einen Ausspruch des Präsidenten, nicht wahr, Herr Oberst?«
Oberst Senkpiel nickt brummig: »Hier muß am Montag Schupo her.«
Gareis lächelt noch strahlender: »Doch nicht gegen meinen Willen, Herr Oberst?«
Und Assessor Meier eilig: »Was ich Ihnen vortrug, sind Wünsche des Präsidenten. Aber ich muß Sie doch auf die erhöhte Verantwortung aufmerksam machen, wenn Sie diese Wünsche außer acht lassen.«
Meier fingert in seiner Westentasche und befördert einen Zettel ans Licht: »Bei allen ...« beginnt er und schielt kurzsichtig durch sein Klemmerglas.
Der Bürgermeister lehnt sich zurück und faltet gottergeben die Hände über seinem Bauch.
»Bei allen Demonstrationen sind zwei Gesichtspunkte zu beachten: die Stimmung der Demonstrierenden und die Stimmung der Bevölkerung.
Im hier vorliegenden Falle ist die Bauernschaft entschieden erregt, wenn nicht gar aggressiv gestimmt. Ich darf an die Ochsenpfändung in Gramzow erinnern, an die Bombe in der Villa des Regierungspräsidenten.
Dieser Gefahrenmoment wird dadurch erhöht, daß die Bauernschaft kein festes Gebilde ist, sondern etwas Fließendes, Ungreifbares. Sie kennt keine eingeschriebenen Mitglieder, keine Führer.
Bei andern Demonstrationen lassen sie sich, Herr Bürgermeister, die Führer kommen. Sie besprechen mit ihnen das Nötige, vereinbaren Route, Aufmarschart, sie haben Verantwortliche. Hier nichts. Jeder ist autorisiert und keiner.
Kommt Punkt zwei: die Stimmung der Bevölkerung. Stark sind hier am Orte nur die Parteien SPD und KPD. Daß diese Leute einem Bauernaufmarsch nicht sympathisch gegenüberstehen, versteht sich. Es gibt tausend Reibungsmöglichkeiten, unabsehbare. Ein Zuruf kann eine Schlägerei entfesseln, eine Schlägerei eine Schlacht.
Sie haben hier etwa achtzig kommunale Polizeibeamte –«
»Achtundsiebzig«, sagt der Polizeioberinspektor.
»Eben. Achtundsiebzig. Zwanzig davon dürften auf Urlaub sein.«
»Einundzwanzig.«
»Schon gut, Herr Frerksen. Es kommt mir wirklich nicht auf die Einser an.«
Frerksen knickt zusammen.
»Also ... ich subtrahiere ... Wie war das doch? Ich bitte Sie, Herr Oberinspektor ... einundzwanzig weniger ...«
»Es würden siebenundfünfzig Mann zur Verfügung sein.«
»Richtig. Siebenundfünfzig. Das heißt praktisch höchstens fünfzig, denn Sie können nicht alle Verkehrsposten aufheben.«
»Nur vierzig«, sagt der Bürgermeister.
»Also vierzig. Vierzig! Herr Bürgermeister, Herr Gareis, ich bitte Sie! Da sind dreitausend, da sind ihrer viertausend, da sind vielleicht fünftausend Bauern, die demonstrieren, und in einer feindlichen Umgebung, in einer roten Stadt – Verzeihung! ich gehöre ja selbst der Partei an! –, und Sie wollen mit vierzig Mann kommunaler ungeübter Polizei ... Wenn das nicht Wahnsinn ist! Sagen Sie selbst, Herr Gareis, sagen Sie selbst!«
»Ich will Ihnen kurz und klar antworten:
Ich verbiete die Demonstration nicht!
Ich verbiete sie erstens nicht, weil ich keine rechtliche Handhabe besitze. Ich erlaube hier jeden Tag Umzüge aller Parteien, ich kann keiner Partei eine Sonderstellung einräumen ...
Ich verbiete sie zum zweiten nicht, weil ich keine Gründe für ein Verbot sehe. Die Bewegung Bauernschaft mag sein, wie sie will: ihre Mitglieder sind nicht aggressiv. Gramzow ist grade ein Beweis dafür. Man hat passiven Widerstand geübt, man hat auch Ochsen geschlagen, keinem Menschen ist ein Haar gekrümmt worden.
Ich verstehe ja, daß man wegen der Bombengeschichte in Stolpe nervös ist ...«
»Nervös, Herr Bürgermeister ...«
»Also nicht nervös ist. Nichts spricht dafür, daß dies Attentat von der Bauernschaft ausgeht. Der erste Verhaftete ist ein Angestellter des Finanzamts, der angegeben hat, sich an dem Regierungspräsidenten rächen zu wollen, den er aus idiotischen Gründen für schuldig an seiner Entlassung hält. Der zweite Verhaftete – nun, der ist erst recht kein Bauernschaftsmann, wie grade Sie wissen sollten, Herr Assessor.«
»Auch ich halte diese Verhaftung für einen Missgriff.«
»Wir sind einig. Darin. Also: die Bauernschaft ist nicht aggressiv. Bleibt die Haltung unserer Arbeiterschaft. Die Demonstration findet wahrscheinlich zu einer Zeit, wo unsere Arbeiter in den Fabriken sind, statt.
Und zum Schluß, grundsätzlich: man muß Demonstrationen ins Leere stoßen lassen. Je mehr Aufwand, je mehr Reibungsmöglichkeiten. Stellen Sie zwei Hundertschaften auf und den Bauern fällt erst ein, daß sie gefährlich werden könnten. Vierzig Mann sind nicht viel, aber vierzig Mann sind vollkommen ausreichend. Ich sage Ihnen: es passiert nichts.
Und ich sage Ihnen: ich tue nichts.«
Der Bürgermeister macht eine rasche Bewegung: »Ins Leere stoßen. So. Ich bin fertig. Ich bedauere; es ist etwas lang geworden. Aber ich denke, jetzt ist alles geklärt.«
Und Gareis sieht strahlend auf die andern Herren. Dabei tastet seine Hand nach hinten. In seinem Rücken hängt vom Schreibtisch die Birne einer Klingel. Er drückt einmal, zweimal, dreimal.
Assessor Meier gibt sich einen Ruck: »Nein, Herr Bürgermeister, ich muß Ihnen wiederholen: es ist noch nichts geklärt. Ihre Entscheidung ist unmöglich. Ihre Entscheidung nehme ich nicht nach Stolpe mit. Herr Regierungspräsident hat mich angewiesen –«
Die Tür tat sich auf und Sekretär Piekbusch erscheint eilig und erregt: »Herr Bürgermeister! Herr Oberbürgermeister läßt fragen, ob Sie einen Augenblick abkommen können. Es ist dringend wichtig.«
Der Bürgermeister erhebt sich: »Sie hören, meine Herren. Sie entschuldigen mich. Ich bin sofort zurück. Vielleicht sprechen Sie mit Frerksen über die Lage. Herr Frerksen kann Ihnen auch jede Auskunft geben.«
Und Gareis verschwindet.
9
Gareis steht prustend im Vorzimmer: »Laß sie schwätzen drinnen, Genosse Piekbusch, es war höchste Zeit, daß ich den Klingelknopf zu fassen kriegte. Diese Stolper – ein Knallbonbon geht los und bloß weil ihr bißchen Leben in Gefahr war, möchten sie gegen alle Welt Ausnahmegesetze machen.«
»Drüben bei Assessor Stein sitzt auch der Bauer Benthin. Ich hab ihn drüben hingesetzt, daß die hier ihn nicht zu sehen kriegen.«
»Gut. Das paßt grade.«
Und Gareis läuft über den Gang, schwankend, prustend, zum Zimmer des Assessors.
Auf dem Gang steht unschlüssig eine Frau, deren Gesicht bei seinem Anblick heller wird. Der Bürgermeister, in dessen Vorzimmer alles sitzt, was Hilfe braucht – er hat auch das Wohlfahrtsdezernat –, der Bürgermeister bleibt stehen und fragt: »Na, wollen Sie zu mir, junge Frau?«
»Ja, Herr Bürgermeister. Ja doch. Und dann hörte ich, Sie wären nicht zu sprechen. Und sie haben doch meinen Mann verhaftet.«
»Ihren Mann? Das ist schlimm. Wer ist denn Ihr Mann?«
»Der Tredup, Herr Bürgermeister, der Tredup von der Chronik, der bei Ihnen war wegen der Bilder.« Rasch und sich überstürzend: »Und wenn er jetzt vielleicht auch was ausgefressen hat und wenn das mit den Bildern nicht recht war: er ist doch ein guter Mann. Es ist ja doch nur, daß wir kein Glück haben und daß immer was Neues bei uns kommt. Und fleißig ist er und trinkt nicht und spielt nicht, und nach jeder Annonce läuft er zehnmal, und abends sitzt er bis in die Nacht und schreibt Adressen. Nur, daß alles nichts hilft