Jörg Müller

Manni, kannst Du uns das mal erklären?


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      13 Zielvereinbarung

       Unser Thema des heutigen Abends:

       Was ist eigentlich eine Zielvereinbarung?

      Unterstellen wir, dass es wichtig ist, dass wir im Leben Ziele verfolgen.

      Unterstellen wir weiterhin, dass es wichtig ist, dass die Ziele, die wir verfolgen, auch für uns erreichbar sind.

      Gestehen wir denjenigen, die uns die Ziele vorgeben, zu, dass sie in erster Linie ihre eigenen Ziele verfolgen.

      Mit diesen Unterstellungen und dem Zugeständnis ausgestattet, nähern wir uns vorsichtig diesem Thema.

      Der Begriff Zielvereinbarung setzt sich aus den Worten Ziel und Vereinbarung zusammen.

      Das Wort Ziel beschreibt das Ende eines Weges, den wir selbst ausgewählt haben oder der uns von dritter Seite vorgegeben wird, und den wir dann (freiwillig) gehen (müssen).

      Das Wort Vereinbarung beschreibt die Situation, dass mindestens zwei Parteien etwas gemeinsam tun wollen, zum Beispiel gemeinsam ein Ziel erreichen.

      Wer trifft nun mit welchem Ziel mit wem welche Vereinbarungen? Wer kontrolliert die Einhaltung dieser gemeinsam getroffenen Vereinbarungen? Welche Konsequenzen werden ausgelöst, wenn die Vereinbarungen nicht eingehalten werden, das heißt, wer hat dann den Schwarzen Peter?

      Viele Fragen, die beantwortet werden wollen.

      Zum Glück hilft uns ein Beispiel aus der Welt der leitenden Sportfunktionäre weiter.

      Die leitenden Sportfunktionäre verdienen gut, reisen viel und tragen keine Verantwortung. Es handelt sich also um einen Traumjob. Das wissen diese Funktionäre natürlich. Und deshalb tun sie alles, damit ihre Jobs nicht gefährdet werden. Schauen wir deshalb einem typischen Oberfunktionär, dem Vorsitzenden des Deutschen Olympischen Sportbundes, kurz DOSB, bei seiner Arbeit über die Schultern. Ihm fällt die schwierige Aufgabe zu, beim zuständigen Ministerium die Millionen Euro locker zu machen, die erforderlich sind, damit das sorglose Leben der Funktionäre sorglos bleibt.

      Der Vorsitzende hat Glück. Vor vierzehn Tagen hat im zuständigen Ministerium ein Ministerwechsel stattgefunden. Bei der neuen Ministerin handelt es sich um eine äußerst dynamische Quotenfrau. Der Vorsitzende bekommt schnell einen Termin. Es ist der erste April.

      „Frau Ministerin, in drei Jahren stehen die nächsten Olympischen Spiele an. Und deshalb ist es wichtig, dass wir beide die entsprechenden Ziele für unser Nationalteam vereinbaren.“

      Die Ministerin schaut ihn interessiert an.

      „Konkret geht es um die Medaillen, die wir holen wollen und welcher finanzielle Aufwand dafür erforderlich ist.“

      Er legt der Ministerin ein Konzept vor. Auf der ersten Seite stehen die geplanten Medaillen:

      40 Goldmedaillen, 60 Silbermedaillen und 80 Bronzemedaillen.

      Auf der Rückseite steht der Betrag, den die Ministerin dafür locker machen muss.

      „Wie setzt sich der erforderliche Geldbetrag zusammen?“, will die Ministerin wissen.

      „Wir reden hier über 180 Medaillen, was uns nachhaltig zur Sportnation Nummer eins in der Welt machen wird. Um das Vorhaben stemmen zu können, benötigen wir 180 Funktionäre, 180 Trainer und 360 Betreuer. Das heißt, insgesamt werden 900 Personen nötig sein, wenn man die Athleten mit einrechnet. Sie werden mir Recht geben, dass die von mir kalkulierte Geldsumme recht bescheiden ausfällt.“

      Zur Überraschung des Vorsitzenden des DOSB nickt die Ministerin und steht auf.

      „Ich wusste, dass wir beide die gleichen Ziele verfolgen und vereinbaren werden und habe deshalb schon im Vorfeld unseres Termins eine Pressekonferenz organisiert. Bitte folgen Sie mir in den Nebenraum. Die Journalisten warten schon.“

      Der Vorsitzende ist sprachlos, aber es kommt noch besser.

      Die Ministerin hält sich nicht lange mit der Vorrede auf:

      „Der Vorsitzende des DOSB und ich haben gerade eine Zielvereinbarung getroffen. Obwohl ich erst vierzehn Tage im Amt bin, ist es mir gelungen, die Voraussetzungen zu schaffen, dass wir es bei der nächsten Olympiade den arroganten Amis und den dopenden Schlitzaugen zeigen und die Sportnation Nummer eins werden. Und das alles mit vertretbaren finanziellen Mitteln. Sie sehen also, auch eine Quotenfrau kann Zeichen setzen. Näheres erfahren Sie von meinem Assistenten.“

      Der Vorsitzende des DOSB war bis zu diesem Zeitpunkt davon überzeugt, dass er der größte Blender auf dieser Erde ist, aber er muss nun neidlos anerkennen, dass er in der Ministerin seine Meisterin gefunden hat. Fünf Minuten später sitzen die beiden wieder im Büro der Ministerin.

      „Meinen Glückwunsch, Frau Ministerin. Eine wirklich brillante Vorstellung. Zum Abschluss möchte ich Sie noch auf einen wichtigen Punkt hinweisen.“

      Er hält eine Spielkarte hoch, auf der ein schwarzer Kater abgebildet und der Schriftzug Schwarzer Peter zu lesen ist.

      „Was soll das?“, fragt die Ministerin.

      „Das ist eine Schwarzer Peter-Spielkarte“.

      „Das sehe ich selbst. Steht ja groß drauf. Also was soll das?“

      Der Vorsitzende des DOSB räuspert sich und erläutert dann der jungen dynamischen Ministerin, wie wichtig es ist, bei jeder Zielvereinbarung die Rolle des Schwarzen Peter im Vorfeld festzulegen, um zu verhindern, dass man am Ende des Spiels der/diejenige ist, der/die den Schwarzen Peter in der Hand hält. Die Ministerin ist beeindruckt.

      Die parallel eingehenden Protestnoten der chinesischen und amerikanischen Regierung ignoriert sie einfach, denn die Reaktion auf ausländische Protestnoten ist Sache des Außenministeriums.

      Im nächsten Schritt werden die Prämien für die Athleten festgelegt. Hierbei lehnt sich der DOSB an Nordkorea an. Für eine Goldmedaille gibt es 1.000€, für eine Silbermedaille 10€ und für eine Bronzemedaille 1€, auf Wunsch auch als Essensmarken.

      Als die Athleten und deren Trainer am nächsten Tag von der Zielvereinbarung und der Prämienstaffelung erfahren, glauben sie an einen schlechten Aprilscherz.

      Dann ist es endlich soweit. Die Olympischen Spiele finden statt. Die 900 gut gelaunten Gäste aus Deutschland lassen es sich vom ersten Tag an gut gehen. Dementsprechend fallen die Erfolge aus. Fünf Mal Gold, zehn Mal Silber und 25 Mal Bronze.

      Zurück in Deutschland gibt der Vorsitzende des DOSB noch am Flughafen im Beisein der leicht angeschlagen wirkenden Ministerin ein Interview:

      „Natürlich können wir mit den Ergebnissen der letzten vier Wochen nicht zufrieden sein. Aus meiner Sicht gibt es zwei Gründe für die mangelnde Medaillenausbeute:

      Erstens waren unsere Athleten zu schlecht und zweitens waren die Athleten der anderen Länder zu gut. Doch es gibt auch gute Nachrichten:

      Erstens haben mir alle 900 Teilnehmer in die Hand versprochen, sich zukünftig noch mehr anzustrengen. Dies gilt besonders für die Funktionäre und Betreuer. Und zweitens habe ich mich mit der Ministerin auf eine Zielvereinbarung für die nächsten Olympischen Spiele verständigt.“

      Dies freut besonders die Funktionäre und Betreuer.

      Den Athleten und Trainern hat der Vorsitzende des DOSB geschickt den Schwarzen Peter untergejubelt. Und so werden diejenigen, über deren Köpfe hinweg Ziele vereinbart worden waren, die sie nie erreichen konnten, zu Opfern der Zielvereinbarung zwischen Oberfunktionär und Politik. Ihre Anstrengungen und Entbehrungen der letzten vier Jahre waren für die Katz und reichten nur für den Schwarzen Peter.

      Und die Moral von (in) der Geschicht‘?

      Es gibt