S.A. Michael

Charmante Tribune küsst man nicht


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so unwirklich, wie das Land selbst.

      Angestrengt blinzelte Scip auf das Gras. Seine Augen fingen an zu schmerzen, ehe sie sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatte, und er undeutlich erkennen konnte, wo er sich befand. Vorsichtig tastete er sich an der Wand weiter und verfluchte den Umstand, mit Vala durch das Lager zu kriechen. War sein Wille überhaupt ein Befehl gewesen? Konnte er sich noch weigern? Wenn ja, könnte er, während er einen Fuß an den anderen setzte, sauer werden und es ihm brühwarm in sein Gesicht schreien. So sein Plan. Er ließ seinen wütenden Ausbruch und versuchte, seine Balance nicht zu verlieren. Das Jonglieren zwischen den schmalen Gängen war nicht leicht. Wankend wich er immer wieder dunklen Hindernissen aus, die sich unsichtbar machten, wenn er nahe an ihnen vorbei stürzte, indem sie mit ihrer Umgebung garstig verschmolzen. Stieß hin und wieder mit seiner Stiefelspitze hart gegen Kisten und aus seinem Mund drang laute ein stetiges Fluchen. Wieder einmal war Vala schneller als er, und Scip hatte das Gefühl, dass er es extra machte, nur um ihn zu quälen. Wäre auch nicht das erste Mal gewesen, wie sich Scip in diesem Moment schmerzlich erinnern konnte.

      Vala unterdessen schlich suchend über die Wiese hinter dem Lager und ließ auch nicht die Umzäunungen der Pferde außer acht. Sein Junge liebte diese Tiere und konnte sich stundenlang bei ihnen aufhalten. Klaute Äpfel aus der Küche, wann immer er konnte und erkaufte sich so ihre Zuneigung mit diesen saftigen Stückchen. Der Küchenbulle fand den Diebstahl nicht lustig. Ebenso wie Vala, der sich seine Beschwerden anhören, wenn sein Früchtchen wieder einmal auf Beutezug gegangen war, wohlwissend, dass er nur jene entfernte, die sowieso keiner mehr wirklich essen wollte. Der junge Tribun drehte sich nach ihm um und schaute sich auf der anderen Seite. An den Waldrand. Ein Fehler, den er im selben Augenblick bereute. Mit seinem Fuß stieß er gegen einen weichen Körper und rutschte seitlich auf dem Gras aus.

      Unter ihm griff der feuchte und glitschiger Erdboden nach ihm. Beraute ihn seines Gleichgewichtes, und laut schrie er auf. Mit seinen Knien landete er hart in einer klebrigen Masse, indessen seine Unterschenkel versanken und die knielange, rote Hose durchnässte. Ekel überkam ihn, und wütend fragte er sich, wer seinen Müll bei den Pferden ablud. Der Sack, auf dem er sich abstütze, gab nach, als er hastig den Entschluss fasste, aufzustehen. Die Erde unter ihm hielt ihn weiter fest und rutschte erneut im Matsch aus. Den Geruch, der von unten nach oben in seine Nase drang, kannte er gut und setze sich in seinem Magen fest. Scip bekam Panik. Sein Herz schlug schneller.

      Vala folgte dem Aufschrei des Tribuns. Aber auch die Wache, die auf dieser Seite des Lagers ihren Dienst verrichteten, schnappten sich jeder eine Fackel. Rannte zu der hysterischen Quelle des nächtlichen Aufruhr und brachten Licht in das schaurige Bild, welches sich zu Füßen Scip`s abspielte. Sein Hindernis. Der Junge des Vala`s, der leblos mit dem Gesicht nach unten auf dem Erdboden lag. Ein riesige, breite Wunde klaffte an seiner Kehle und benetzte Scip`s Beine mit dessen noch immer herausströmenden, dunkelroten Blutes. Heftig zuckte er zurück. Dem Bild des Grauens entkam er nicht.

      „Was für ein Scheiß ist das den?“, stieß er hervor und strampelte mit seinen Füßen. Seine Hand rutschte auf der Kante ab und währe nach hinten weggekippt, wenn ihn nicht Vala aufgefangen hätte, und dessen Hände unter seine Armen gab ihn den nötigen Halt.

      Dankbar schaute er ihn an. Vala sah an ihm vorbei, auf die Leiche seines Sklaven. Traurigkeit lass er in seinem Gesicht ab. Bitternis und Verzweiflung auf einen Verrat eingehend mit Folter. Unbändiger Zorn, auf jenen, der sein Gewissen beschmutzte und das Eigentum anderer schädigte, nur um an dessen Geheimnisse zu kommen. Aber auch Zweifel. Er hätte sich nicht einmischen sollen. Die Sache ruhen lassen, dann lebte der Junge noch und wurde nicht so früh aus seinem Leben gerissen.

      Vala zog den jungen Offizier nach oben. Scip huschte einen Schritt zurück.

      „Dreht ihn um“, befahl der Präfekt den beiden Wächtern, die im selben Augenblick Beine und Arme in ihre Hände nahmen, und den schmächtigen Jungen auf den Rücken drehten. Sein Kopf kippte nach hinten. Sein Nacken hielt den Schädel nur noch an einer Stelle fest. Die rostbraune Tunika war rot durchtränkt. Breite Fäden seines Blutes rannte zäh über den Stoff. Bildeten auf den Boden eine schwarze Pfütze. Die Wache legte ihn auf die kalte Erde.

      „Schleifspuren“, meldete sich der erste der beiden Soldaten und zeigte mit einem Kopfnicken auf die durchpflügte Erde. Sie begann nicht weit von weg und zeichnete den Weg, den der Mörder genommen hatte. Vala schaute sie angestrengt an. Verlor keinen Kommentar der offensichtlichen Tatsache, denn es handelten sich um Militärstiefel. Erkennbar durch die eisenbeschlagenen Sohlen, die sich in den Erboden bohrten.

      Vala atmete schwer auf, verwandelte sich erneut in jene Statue, die er schon in seinem Zelt erfolgreich erprobt hatte. Starrte in die Nacht und spielte mit seiner runzelnden Stirn.

      Scip brach das Eis. Er fror und traute sich nicht so recht zu verschwinden, um sich wenigstens eine neue Tunika anzuziehen und nicht wie der Penner von neben an auszusehen.

      „Schafft die Leiche weg. Aber so, dass sie keiner sieht und die Männer in Panik versetzt. Nach dem vorherigen Zankerei bei Varus ein gefundenes Fressen für irgendwelche angstverbreitenden Gerüchte und Vermutungen, die keinerlei Sinn ergeben und wie ein Lauffeuer um sich greifen, nur um den Lästermäulern Zündstoff zu geben, die hinter jeder Ecke den Feind, oder irgendwelche Terroristen vermuten.“

      Vala nickte stumm und reichte der ersten Wache seinen Umhang, der ihn auf den toten Leib des Jungen bettete. Scip atmete auf. Dieses Bild würde er nie wieder aus seinem Kopf bekommen. Er hatte zwar schon Tote gesehen, aber keine, an der eine unbarmherzige, bestialische Wut getobte hatte und wünschte sich insgeheim, nie wieder einen solchen Ausblick haben zu müssen.

      Vala blickte schuldbewusst. Scip fragte sich warum. „Wenn du mich dann nicht mehr brauchst, sollte ich mich frisch machen. Es ist ein widerliches Gefühl, denn ich mich ausgesetzt fühle, und ich brauch dringend neue Klamotten“, murmelte er und kratzte an seinem Ellenbogen die schon eingetrocknete Erde an, die in Bröckchen zu

      Boden fielen und dort von dem leichten Nachtwind davontragen wurde.

      „Mach das“, atmete er schwer auf, verkniff sich eine Träne über den Verlust des Sklaven, der durch seine Schuld den Tod gefunden hatte. Scip schaute ihn an. Soviel Trauer um einen Unfreien? Diese Sentimentalität hatte er dem Präfekten nicht zugetraute, immerhin hatten Sklaven ja keine Seele. Es wäre wie bei den Tod eines Welpen, den man kurz zuvor gekauft hatte, und er auf brutaler Art und Weise von dem ersten, schweren Karren überfahren wird. Kein passender Vergleich. Aber immerhin. Oder vielleicht doch? Vielleicht heulte er aus einem ganz anderen Zweck heraus. Als Knabenliebhaber hatte ihn Scip nie eingeschätzt.

      Scip ging. Die nach Blut triefenden Klamotten fingen an auf seiner Haut an zu jucken. Es waren tausend Maden, die alles auf einmal erwachten und nun anfingen, über seinen Körper zu schliddern, um sich unter seiner Haut ein Nest zu bauen. Heftig griff er nach dem Stoff seiner Tunika, zog ihn auseinander, als er den Ausgang erreichte.

      „Warte.“ Vala hielt ihn zurück und schaute ihn nachdenklich an. Seine dunkelbraunen Auge verengten sich und angestrengt biss er sich auf seine Unterlippe. Langsam schlich er auf den jungen Offizier zu.

      Scip zuckte zurück, als er sich nah an ihn heranstellte und ihn mit seiner Hand in den Nacken fuhr. Was ihn in diesem Moment durch den Kopf schossen waren tausend Fragen, die ihn zweifeln ließ. Wollte er ihn vielleicht anmachen?. Doch eh er etwas sagen konnte, löste der Präfekt die Befürchtungen des Scip`s auf.

      Leise flüsterte Vala in sein Ohr: „Nimm das an dich und versteck es gut. Gib acht, dass es niemand findet und...“. Streng sah er in Scip`s Augen. „Sollte mir etwas zustoßen, bring es nach Rom und händige das Papier Augustus aus. Und nur ihm. Sollte dich jemand danach fragen, weißt du von nichts. Du hast es nie gesehen. Noch eins. Traue niemanden. Das ist wichtig. Hast du mich verstanden?“

      „Darf ich...?“ Vala ließ ihn los und trat zurück. „Nein, darfst du nicht. Also schwöre mir, dass du meine Worte verinnerlicht hast?“

      Scip fühlte das Papier. Aufpassen und es niemanden verraten. Wie schwer konnte das schon sein?

      „Ich schwöre es auf den Stein des Jupiters.“ Vala fühlte sich erleichtert.