Hermann Christen

Die Endzeitpropheten


Скачать книгу

glaube, sie übertreiben, was das mit den Vätern anbelangt. Wie der Zeitpartner meiner Mutter. Er behauptet, die Väter interessieren sich mehr für sich selber als für die Kolonie und verbieten deshalb alles, was ihnen nicht in den Kram passt."

      "Kluger Mann!"

      Steve lächelte überlegen: "Professor, wenn es so wäre, wie sie sagen, warum dürfen wir uns Filme ansehen oder Bücher lesen, die aus der Altzeit stammen?"

      Becker lachte schrill auf: "Guter Mann, wir sehen und lesen genau das, was den Vätern ins Konzept passt. Ich weiß das, weil ich moderne Historik und lunare Philosophie studiert habe. Sämtliche Errungenschaften der Altzeit, die nicht ins Konzept passen, sind umgeschrieben oder entfernt. Und ich bin Experte für die Endzeitpropheten und kenne mich bestens aus. Ich versichere ihnen, dass die Kolonisten in diesen alten Filmen und Büchern nur den Teil sehen, der niemanden auf dumme Gedanken bringt."

      "Das ist eine Behauptung."

      "Ach so? Haben sie jemals die Originale gesehen, nicht nur die zensurierten Ausgaben, die sie im Telespeak hinunterladen können? Da ist eine ganze Menge weggeschnitten. Genauso in den Büchern: Filme und Bücher aus der Altzeit sind ein billiger Abklatsch der Originale und auf reine Action reduziert."

      "Das macht es spannender", warf Steve ein.

      "Das macht es unnütz", knurrte Becker verärgert. Einige Augenblicke herrschte gespannte Stille, ehe Becker fortfuhr.

      "Nehmen wir doch die Filme. Alle Handlungen spielen in überfüllten, müllverseuchten Großstädten oder in Staubwüsten ohne Zivilisation. Wissen sie warum?"

      Steve musste gestehen, dass an der Behauptung von Becker was dran war und schüttelte den Kopf.

      "Weil die Väter und ihre Handlanger nicht wollen, dass jemand erkennt, wie begehrenswert die Erde in Wirklichkeit ist. Der Mensch gehört auf diesen Planeten und nicht in zerfallende Kuppeln auf dem Mond."

      Becker wartete einen Augenblick ab.

      "Aber das werden sie mit eigenen Augen sehen, wenn wir erst da sind."

      Die Aussicht zur Erde fliegen zu können elektrisierte Steve. Keiner aus seinem Bekanntenkreis war je auf der Erde oder auch nur in der Nähe des Raumhafens gewesen. Außer Claude, der war in der Logistikhalle als Roboteraufseher beschäftigt, aber das zählte nicht.

      Becker beobachtete seinen jungen Assistenten und realisierte zufrieden, dass er sich in ihm nicht getäuscht hatte. Globe war angefixt – aber noch unschlüssig.

      "Ich habe das Notwendige bereits veranlasst. In den nächsten Tagen werden sie mir hier im Institut zur Hand gehen. Und…", er hielt sich den Zeigefinger verschwörerisch vor den Mund, "… ich betone es noch einmal: schweigen über unsere Pläne. Bleiben sie bei der Version, dass wir eine Studienreise machen. Was eigentlich auch wahr ist."

      Steve nickte.

      Der Auftrag

      Das Gesicht des wachhabenden Offiziers leuchtete auf Hirschs Bildschirm auf.

      "Kommandant?"

      "Ja?"

      Leutnant Cook hatte keine Klasse. Blanc besaß mehr Elan im kleinen Finger und eindeutig die bessere Figur als Cook. Sie wusste, dass wichtige Nachrichten persönlich überbracht werden wollten. Cook war nur ein Durchschnittsschnüffler, der es nie über den niedrigen Entwicklungsstand des prozessgläubigen Technokraten hinausbringen würde.

      "Das Bericht-Update von Objekt 5288 steht bereit, Kommandant."

      "Danke."

      Leutnant Cook salutierte und verschwand vom Bildschirm. Hirsch rief die Daten auf den Schirm. Nur behäbige Optimisten glaubten, dass die Große Säuberung Ruhe und Besonnenheit in den menschlichen Geist gepflanzt hatte. Er wusste es besser: in jedem klugen Kopf schlummerte ein Reaktionär. Kluge Köpfe musste man für sich gewinnen oder abschlagen. Kluge Köpfe waren wie wilde Tiere oder Kinder, in denen zähnefletschende Raubtiere lauerten. Ahnungslos davon, zu was zu zerstören sie im Stande waren.

      Hirsch stand auf und blickte mit leerem Blick auf den Außenmonitor. Das sonst faszinierende Spiel von Licht und Schatten in der Mondlandschaft drang nicht in sein Bewusstsein vor.

      Er setzte sich wieder und las den Bericht:

      Bericht Objekt 5288 – Aktualisierung

      5288 bucht zwei Transfers zur Erdbasis V. Reisende: Objekt 5288 und sein Assistent Steve Globe (Verweis Akte Tino Campos, Politreaktionär). Beweggrund: Studienreise. Reisedatum: 28. Oktober 2344.

      Sonstige Beobachtungen: 5288 hält sich vorwiegend am Arbeitsort auf. Zeit-Agent D23 vor Ort. Keine Hinweise auf unbotmäßige Aktivitäten. Keine elektronische Kommunikation. Der Assistent von Objekt 5288 hingegen sehr gesprächig. (Verweis: Protokoll Kommunikation Steve Globe siehe Beilage 1)

      Hirsch rief Beilage 1 auf. Globes Kommunikationsnachweis belegte, dass er damit rumprahlte, dass er eine Reise zur Erde machen würde. Hauptsächlich brüstete er sich damit im Kreise seiner Freunde. Der Anhang auf dem Schirm enthielt eine lange Liste mit Posts und Bildern, in denen er seine Reise ankündigte. Über den Beweggrund der Reise schwieg er sich aus.

      Globe war einer dieser unkritischen, unbelasteten Optimisten, die sich keinen Deut darum scherten, was um sie herum vorging. Ein ziviler Cook. Für Leute wie Globe war nur die richtige Mischung aus Zerstreuung, Kalorienzufuhr, Arbeit und Sex von Belang. Und reibungsloser Verdauung.

      Was war seine Rolle? Globe gehörte weder zu den Katholiken noch war er je aufrührerisch aufgefallen. Hirsch fiel kein Grund ein, warum Becker Globe mitschleppte.

      Er beschloss, die beiden während ihrer Reise zu überwachen. Dafür kam nur ein Greenhorn in Frage, bei dem er sicher sein konnte, dass es noch nicht in den klebrigen Fäden des Netzes des Feindes zappelte.

      Seine Gedanken kehrten zu Becker zurück. Globe konnte ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver sein, um die wahren Pläne zu vertuschen. Es würde passen. Hirsch wusste, dass die Kriegstreiber der Altzeit Meister der Vertuschung und des Blendwerks waren. Und die Katholiken spielten in der Königsklassen-Liga der Kriegstreiber mit. Ein dumpfes Gefühl in der Magengegend signalisierte, dass er herausfinden musste, was Becker beabsichtigte. Und dass sich die ÜKo keine Fehler aus Nachlässigkeit erlauben durfte.

      "Kadettin Blanc wie befohlen zur Stelle!"

      Sie salutierte und stand mit durchgedrücktem Rücken vor dem Schreibtisch des Kommandanten. Hirsch salutierte zurück.

      "Entspannen sie sich, Kadett. Nehmen sie Platz."

      Mit einer höflichen Geste wies er auf den Stuhl vor seinem Tisch. Blanc setzte sich irritiert auf die Kante des Stuhls.

      "Kadett Blanc, ich habe ihre Akten studiert. Nur Bestnoten. Ernsthaftigkeit und Einsatz, wo andere denken, es sei nur eine lästige Übung."

      "Danke, Sir, ich bemühe mich."

      "Ich schätze das."

      "Danke, Sir."

      Ihr Herz pochte aufgewühlt. Kommandant Hirsch würdigte ihren Aufopferungswillen. Ihr tägliches Bemühen, mit Leistung zu brillieren, zeigte Wirkung. Der Kommandant der Akademie war blind dafür. Ein willfähriger Sadist, der nur an Feierabend dachte und seine schlechte Laune an den Kadetten abarbeitete. Das Gerücht, dass er in einem Zeitvertrag festsaß, den er gerne aufgelöst hätte, kursierte sein langem in der Akademie. Er nannte sie Streberin, Gift für die Kameradschaft und warf ihr vor, für ihre Karriere über Leichen zu gehen. Er verwechselte gesunden Ehrgeiz mit krankhafter Geltungssucht. Blanc war zutiefst überzeugt, dass es ihre Pflicht war, ihr Bestes zum Erhalt der Ordnung zu leisten.

      "Erinnern sie sich an Objekt 5288?"

      "Ja, Sir. Ich habe vor ein paar Tagen darüber berichtet."

      Sie überlegte einen Augenblick. Tiefe Denkfalten erschienen über der Nasenwurzel.

      "Da war