J. U. Gowski

Die Harry Brown Liste


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du, dass mir diese übermäßige politische Korrektheit allmählich sowas von auf den Keks geht? Negerküsse heißen jetzt Grabower Schlemmerküsse. Was soll der Scheiß?«

      Koslowski antwortete nicht, nahm nur noch einen Schluck aus seinem Bierglas.

      Ecki trat an ihren Tisch und brachte ihnen zwei neue Biere. Für R.R. das Guinness und für Koslowski ein Murphys Red. »Jungs, ich muss euch was sagen.«

      Ecki sah sie ernst an.

      »Was ist los Ecki? So ernst.« Koslowski bekam ein komisches Gefühl.

      »Ja.« Er setzte sich umständlich zu ihnen und redete dann weiter: »Ich werde den Pub verkaufen.«

      Koslowski sah Ecki erschrocken an. »Das meinst du nicht ernst.«

      »Doch, sieh dich um. Das „Ostwind“ hat letzten Monat dicht gemacht. Immer mehr Hipster die Szenekneipen wollen. Gestern kam einer rein, studierte die Karte und fragte mich tatsächlich, ob das Bauernfrühstück mit Biokartoffeln und mit Eiern von Hühnern aus Freilandhaltung gemacht worden ist? Ich meine, was haben die Leute für ein Problem? Das verdammte Bauernfrühstück kostet 7,50. Es dauert nicht mehr lange dann wollen die vegane Bulletten. Obwohl, wahrscheinlich sagen die Frikadellen.«

      »Und dann, was willst du dann machen?« Koslowski sah immer noch ungläubig aus. R.R. hatte keine Miene verzogen.

      »Ich hab ein Angebot eine Kneipe in Spandau zu übernehmen.«

      »Und was soll aus uns werden?« Ecki stand auf und klopfte Koslowski auf die Schulter. Er hatte keine Antwort darauf. Als er um den Tisch gehen wollte, trat ein neuer Gast ein.

      »Haben sie Organic Tee?«, fragte der. Die drei sahen sich an und knurrten dann im Chor: »Verpiss dich!«

       Dienstag

      11.

      Koslowski stieg in seinen Wagen. Der alte Suzuki startete ohne zu murren. Aus den Boxen klangen die ersten Töne der Van Wolfen CD, die er sich auf einem Konzert in der Kulturbraurei gekauft hatte. Micky Wolf, ein Bluesrocker aus St. Pauli, der seine Kindheit im Berliner Wedding verbracht hatte. Er mochte die kleinen Geschichten, die Van Wolfen in seinen Songs erzählte, mochte seinen Blues. Koslowski hatte einen leicht pochenden Schädel, die Auswirkung des gestrigen Abends. Er wusste immer noch nicht, was er von Eckis Ankündigung zu halten hatte. Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als sich eine neue Stammkneipe zu suchen. Selbst wenn der Pub so bliebe wie er war, ohne Ecki wäre er nicht mehr derselbe. Dann lieber ganz was Neues.

      Von der Keithstraße fuhr er direkt in Richtung Friedrichstraße. Dort angelangt, gab er einer nostalgischen Eingebung nach und bog vor dem Friedrichstadtpalast, in der DDR im Volksmund wegen seiner Architektur auch als aserbaidschanischer Hauptbahnhof bezeichnet, in die Johannisstraße. Dann in die Tucholsky und über die Oranienburger links in die Auguststraße. Den Ort seiner Kindheit. Die Straße entstand als Zugang zu dem Gebäude, das der Berliner Stadthauptmann Christian Koppe zur Behandlung von kranken Menschen zum Beginn des 18. Jahrhunderts bauen ließ. Aus dem Armenhaus wurde ein Hospital. Jetzt gab es hier zahlreiche Galerien. Sie waren in den letzten zwanzig Jahren entstanden, hatten die alte Eckkneipe und den Tante Emma-Laden verdrängt. Er fuhr an Clairchen’s Ballhaus vorbei, mit seiner verblichenen Eleganz immer noch eine angesagte Institution, eine Berliner Legende seit den 20er Jahren. Sein Geburtshaus vorn an der Ecke Oranienburger Straße gab es nicht mehr. Das Vorderhaus war damals schon nicht mehr vorhanden, zerbombt im zweiten Weltkrieg. Der Schutt wurde weggeschafft, hin zu einem der Trümmerberge, die damals in Berlin entstanden. Wie die Oberbruchkippe, Mont Klamott genannt oder zum Friedrichshainer, der den Grundstein für den Volkspark Friedrichshain legte. Hinterhaus und Seitenflügel waren verhältnismäßig gut in Takt geblieben. Ihre kleine Wohnung befand sich damals im Seitenflügel, im dritten Stock. Er konnte sich an das Gestell vor dem Küchenfenster erinnern, an dem seine Mutter die Wäsche zum trocknen in die Sonne hängte. Jetzt war das Haus wegen Baufälligkeit abgerissen. Die freie Fläche wurde von der Amrit Lounge zum Abstellen ihrer Heizpilze und einer Frittenbude genutzt. Schräg gegenüber auf der Freifläche, neben dem ehemaligen Wertheimkaufhaus hatte er Fahrradfahren gelernt. Das Kaufhaus stand da schon größtenteils leer. Nur das kleine Kino, Studio Camera hatte da noch seine Heimat. Dort hatte er seinen ersten Kinofilm gesehen. Jetzt gab es das Kino nicht mehr. Das leer stehende Kaufhaus wurde nach der Wende von Künstlern in Besitz genommen. Das Tacheles entstand. Inzwischen steht es wieder leer. Das Gelände ist vor drei, vier Jahren an einen Investor verkauft worden.

      Er seufzte. Es war nicht mehr viel da, was ihn an seine frühe Kindheit erinnerte. Als seine Eltern sich trennten, ist er mit seinem Vater in die Schwarzkopfstraße gezogen. Die Straße ging von der Chausseestraße, gegenüber des ehemaligen Ulbricht-Stadions ab. Später hieß es dann Stadion der Weltjugend. Nach der Wende wurde es abgerissen und zum Golfabschlagplatz umfunktioniert. Jetzt stand da die BND-Zentrale. Was soll man sagen: Vom Ulbricht-Stadion zur BND-Zentrale, das hätte sich der rote Sachse sicher nicht träumen lassen. Dort lernte er seinen Freund Roger Rudy kennen. Mit R.R. hatte er gerne Pfennige in die Schienen gelegt und sich gefreut, wenn die von der Straßenbahn platt gefahren wurden.

      In der Habersaathstraße angekommen, klingelte Koslowski an der Tür der Kanzlei. Die Tür öffnete sich mit einem Summen. Er trat ein. Die dürre Vorzimmerdame musterte ihn interessiert. Er zückte seinen Dienst-Ausweis und und hielt ihn der Sekretärin vor die Nase.

      »Hauptkommissar Koslowski. Ich möchte zu Frau Bommer.«

      Die Sekretärin erhob sich schweigend, strich den Rock glatt und stakste auf dünnen Beinen durch die nächste Tür. Nach einem kurzen Moment erschien sie wieder und sagte: »Bitte.«

      Er folgte der Aufforderung. Die Tür schloss sich hinter ihm. Die Frau hinter dem gläsernen Schreibtisch musterte den eintretenden Koslowski aufmerksam mit ihren grünen Augen. Sie hatte ein modisches dunkelgraues Kostümjäckchen mit schwarzen Knöpfen an. Darunter trug sie eine weiße Bluse. Durch ihre strenge Frisur wirkte die Kleidung an ihr wie eine Uniform. Sie erhob sich, als Koslowski näher trat und reichte ihm die Hand.

      »Guten Tag, Herr Koslowski, ich hab schon von Ihnen gehört.«

      Koslowski sah sie erstaunt an. »Mein Mann, er erzählte mir von dem Fall Lohmann.«

      Koslowskis interessierter Blick wurde vorsichtig. Er wartete ab.

      »Sie wissen doch sicher noch, der den Sie vor drei Jahren ins Gefängnis gebracht haben, der dann in der Dusche umgebracht wurde. Wie ich gehört habe, hat er bis zum Schluss seine Unschuld beteuert.«

      »Was hatte ihr Mann mit Lohmann zu tun?«, fragte Koslowski gleichmütig.

      Sie lächelte ihn an. »Nichts. Mein Mann hörte nur davon.«

      Kirsten Bommer wies auf einen der Sessel vor ihrem Schreibtisch. »Setzen sie sich doch. Möchten sie einen Kaffee?.«

      Koslowski schüttelte verneinend den Kopf und setzte sich.

      »So wie sie aussehen, könnten sie aber einen gebrauchen.« Sie lächelte wieder. Und Koslowski schüttelte wieder den Kopf. Er sagte: »Ich möchte sie nicht lange aufhalten. Es geht, wie sie sich denken können, um ihren Mann.«

      »Ja, der Unfall.«

      »Was wir noch untersuchen.«

      »Sie meinen, es war gar keiner?« Sie zog erstaunt die sorgsam gezupften Augenbrauen nach oben.

      »Wie gesagt, wir untersuchen den Vorgang noch. Können Sie mir sagen, an welchen Fällen er in letzter Zeit gearbeitet hat?«

      »Nein, er hat mich nicht in seine Arbeit eingeweiht.«

      »Glaub ich ihnen nicht.«

      Sie sah ihn gelangweilt an. Dann erwiderte sie lapidar: »Sie können es, oder Sie können es lassen.« Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Aber Sie können Gretchen fragen. Sie hat auch für meinen Mann gearbeitet.«

      »Und an was für Fällen arbeiten Sie so?«

      »Nichts