J. U. Gowski

Die Harry Brown Liste


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Mürrisch. Wenn man ihn nicht gut kannte. Man hat es nicht gleich gemerkt, aber er hatte ein gutes Herz. Hat viel für den Tierschutz gespendet und für zwei Patenkinder in Afrika. Er las viel und hörte Musik. Nahm auch oft Arbeit mit nach Hause.«

      Koslowski sah sie überrascht an. In der Akte hatte er dazu nichts gelesen. Grabowski bemerkte Koslowskis fragenden Blick.

      »Am Anfang dachte ich, er wäre einsam«, fuhr sie fort. »Und irgendwie unglücklich. War aber nicht so. Er wollte allein sein. Er fühlte sich wohl dabei.«

      »Sie sagten: Er nahm sich oft Arbeit mit nach Hause. Wie ist das zu verstehen?«, hakte Grabowski nach.

      Heiderose Blaschek sah Grabowski irritiert an. »Na er hatte öfter einen Stapel Akten mit nach Hause gebracht und las darin. Was dachten Sie denn?«

      »An dem Abend auch?«, fragte Grabowski, ohne eine Miene zu verziehen nach.

      »Ja.«

      »Hatte er an dem Abend Besuch erwartet?«

      Jetzt bekam Koslowski den zweifelnden Blick ab.

      »Nein, natürlich nicht. Meinen Sie, dann hätte er sich Arbeit mit nach Hause genommen?«

      »Wahrscheinlich nicht«, stimmte ihr Koslowski versöhnlich zu. »Sie sind dann ins Kino gegangen.«

      »Noch nicht gleich«, unterbrach sie ihn. »Ich hab ihm noch einen Topf Chili zum Abendbrot heiß gemacht und warm gestellt. Schön mit angebratener Chorizo Wurst und frischem Koriander, so wie er es mochte. Dazu etwas frisch aufgebackenes Baguettebrot.«

      »Wie war es, als Sie aus dem Kino wieder in die Wohnung vom Richter kamen? Irgendjemanden aus dem Haus kommen sehen? Irgendwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

      »Nein«, antwortete Heiderose Blaschek bestimmt, ohne zu zögern und schüttelte dabei den Kopf. »Ich wunderte mich nur, als ich die Wohnungstür aufschloss, dass alles dunkel war und der Lichtschalter nicht ging. Ich hab dann gerufen, aber keine Antwort bekommen. Es war merkwürdig still. Sonst lief ja immer irgendwie Musik. Ich bin dann zum Sicherungskasten neben der Eingangstür gegangen und hab da die Sicherung wieder reingedrückt. Sie ist gleich wieder rausgeflogen. Auf der Anrichte hab ich immer eine Taschenlampe liegen. Man kann ja nie wissen. Die hab ich mir gegriffen und bin zum Telefon gegangen. Wollte den Störungsdienst anrufen. Bis zu dem Moment dachte ich, der Richter wäre nochmal aus dem Haus gegangen. Dann wurde mir aber auf einmal irgendwie eiskalt. Ich bekam ein komisches Gefühl. Ich ging mit der Taschenlampe in der Hand durch die Wohnung und zuletzt ins Bad. Da hab ich ihn gefunden.«

      Koslowski nickte. »Haben Sie sonst irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt? Vielleicht, dass etwas nicht an seinem gewohnten Platz lag? Hat was gefehlt?«

      Sie überlegte kurz und sagte dann: »Mir ist nichts aufgefallen.«

      »Waren die Akten noch vorhanden?«

      »Ja«, antwortete sie zögerlich. »Aber jetzt, wo sie es sagen, es fehlte eine auf dem Stapel. Sie war schmal und es klebten mehrere Haftzettel darauf.« Sie sah die beiden verunsichert an. »Ich weiß nicht, ob ich es damals angegeben habe. Es war mir total entfallen.«

      »Keine Sorge, so was kann passieren«, sagte Grabowski beschwichtigend.

      Koslowski beugte sich nach vorn.

      »Wussten Sie, dass Sie als Alleinerbin eingesetzt waren? Hat er mit ihnen darüber gesprochen?«

      »Nein.« Sie schüttelte energisch ihren Kopf. »Aber es ist ja auch noch nicht bestätigt. Sein Sohn fechtet das Testament an. Ich weiß auch gar nicht, was ich mit der Wohnung soll. Sie ist viel zu groß und ich bin hier zu Hause.« Sie seufzte.

      »Verkaufen Sie sie. Und mit dem Geld machen Sie sich ein schönes Leben. Ziehen Sie in die Nähe ihrer Kinder und Enkelkinder, damit Sie sie öfter sehen.«

      Sie sah Koslowski an. »Geht das denn?«

      »Warum nicht. Sie gehört ihnen ja.« Koslowski lehnte sich zurück. Frank Grabowski räusperte sich: »Noch einen guten Rat: rücken Sie ihren Kindern nicht zu dicht auf die Pelle. Das kann böse ausgehen.«

      Koslowski sah seinen Kollegen fragend an.

      8.

      Murad Ekici schwitzte trotz des kühlen Wetters. Er war spät dran, stellte er mit einem Blick auf die Bahnhofsuhr fest. Nervös strich er sich über das gegelte schwarze Haar. Er war als Terminvertreter von einer auswärtigen Kanzlei engagiert worden. Die Uhr zeigte 11.00 Uhr und um 12.00 Uhr war der Termin im Gericht. Seit Wochen fuhr die S-Bahn unregelmäßig. Ausfälle waren an der Tagesordnung. Entweder Streik oder Havarien, man konnte es sich aussuchen. Da er kein Geld für ein Auto oder Taxi hatte, war er auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen. Er hatte sich eigentlich darauf eingestellt und in den letzten Tagen hatte das mit dem Zeitfenster auch immer geklappt. Nur heute war er zu spät losgegangen. Schuld daran: seine Frau. Sie hätte sich keinen besseren Zeitpunkt aussuchen können, um das leidige Thema Haushaltsgeld anzusprechen. Sie war immer noch eine schöne Frau. Doch die Hoffnung, die sie mit der Heirat verbunden hatte, die Frau eines angesehenen und gut verdienenden Rechtsanwalts zu werden, zerbröckelte im Laufe der Jahre. Was blieb waren Verbitterung, Schulden und der vorwurfsvolle Blick ihrer Augen, ohne Liebe. Dieser lukrative Nebenjob, der keinen großen Zeitaufwand von ihm forderte, stellte so eine willkommene Einnahmequelle da, solange seine eigene Kanzlei nicht richtig lief. Und das tat sie seit Jahren nicht. Doch das würde sich demnächst ändern. Er hatte vor ein paar Wochen ein Mandat angetragen bekommen, was viel Geld einbringen würde. Mit einem Schlag wäre er die Schulden und eine Menge Sorgen los. Morgen wollte er es seiner Frau sagen.

      Er sah auf die Uhr. 11.15 Uhr. Der Bahnsteig war voll mit Menschenmassen. Es waren wieder zwei Bahnen ausgefallen. Zum Glück hatte eine Position am Bahnsteig ergattert, die sicherstellte, dass er mit der nächsten Bahn mitkommen würde. Er sah sich um. Kurz hinter sich erkannte er das Gesicht des freundlichen alten Mannes wieder, der in den letzten Tagen öfter dieselbe S-Bahn wie er nahm. Irgendetwas an dem Gesicht hatte ihn schon die letzten Male irritiert. Er kam nicht darauf, was es war.

      Er grüßte ihn: »Hallo.«

      Der alte Mann grüßte freundlich zurück.

      »Na wenigstens haben wir eine gute Ausgangsbasis. Die nächste S-Bahn ist unsere.«

      Der alte Mann nickte zustimmend und lächelte dabei. Ekeci drehte sich wieder um. Jetzt fiel ihm auf, was ihn an dem Gesicht irritierte: Es war geschminkt. Sollte der Alte schwul sein? Er schüttelte sich bei dem Gedanken. Da hörte er das Rattern der S-Bahn und er machte sich kampfbereit, als plötzlich im aufkommenden Gedränge ihn, von den anderen unbemerkt, eine Hand in den Rücken stieß. Er fiel. Sein erschrockener Schrei ging in den kreischenden Bremsgeräuschen des Zuges unter, der zehn Meter weiter zum stehen kam. Zu spät für Murad Ekici.

      Meyerbrinck sah von seinem Schreibtisch auf, als Koslowski das Büro betrat. »Na ihr habt aber lange gebraucht.«

      »Die Stadt ist dicht. Seit die S-Bahn wieder ihre Wartungsprobleme hat, kommt man in der Stadt einfach nicht vorwärts. Am S-Bahnhof Landsberger Allee hat es dann auch prompt einen Feuerwehreinsatz mit Krankenwagen gegeben. Da ging nichts mehr. Jemand ist vom Bahnsteig auf die Gleise gefallen und das vor der einfahrenden S-Bahn. Er ist überrollt worden. Frag mich bloß, was die da noch mit einem Krankenwagen wollten.«

      Koslowski zog die Parkajacke aus, hängte sie über die Stuhllehne und ließ sich dann in den Stuhl fallen.

      »Und bei dir?«

      »Ich hab den Antrag für die Bommergeschichte zu denen rüber gefaxt und die Unfallakte sollte in der nächsten Stunde bei uns sein. Sie wollten sie gleich zu uns faxen.«

      »Prima.« Koslowski verschränkte die Arme hinter den Kopf und überlegte. »Die Blaschek sagte, dass Richter Trimmel Akten mit nach Hause genommen hat. Laut ihrer Aussage fehlte eine, als sie ihn fand. Kannst du mal beim Gericht anfragen ob die vielleicht wissen, welche Akten er an dem Abend mit nach Hause genommen hat. Ich hol mir inzwischen einen