J. U. Gowski

Die Harry Brown Liste


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mochte. Er sprach deutsch, er dachte deutsch. Seine Eltern hatten bei seiner Erziehung viel Wert darauf gelegt. Sie sagten: Du hast den Vorteil zwei Welten zu kennen. Nimm das Beste davon und dann mach das Beste daraus. Den Vorteil kann dir keiner nehmen. Er hatte sich daran gehalten.

      Er betrat die Straße. Das Paul-Linke-Ufer begrüßte ihn mit kalter, klarer Luft und kahlen Bäumen. Raureif lag auf den Autos. Er ging hinüber zu seinem Jaguar, den er auf der anderen Seite geparkt hatte. Er mochte den britischen Stil, die Klasse und die Arroganz, aber auch den Humor. Drei Eigenschaften davon schienen den Deutschen zu fehlen. Nur bei der Arroganz konnten sie mithalten. Für ihn unverdientermaßen. Er schüttelte wieder unbewusst den Kopf.Auf eine gewisse Art verachtete er die Deutschen. Er lächelte, als ihm auffiel, dass er ganz schön viel verachtete und seufzte. Er wusste, er war ein Snob. Warum waren seine Eltern nicht nach Großbritannien ausgewandert? Ausgerechnet Deutschland. Aber er hatte sich fest vorgenommen, es irgendwann nachholen. Doch jetzt erst mal zu Bommer. Er stieg in den beheizten Jaguar, startete ihn und fuhr mit einem satten Brummen los.

      3.

      Salvatore Hieronymus Koslowski saß in seinem Büro. Seine Parka Jacke hatte er achtlos auf den Stuhl gegenüber geworfen. Wie es so seine Art war. Er war müde. Trotzdem er sich frisch rasiert hatte, wirkte sein Gesicht zerknittert. Wie das ging, blieb ein Rätsel. Er war eingefleischter Nassrasierer. Früher mit Gillette und nach dem sie diesen, wie Koslowski fand, bescheuerten Werbeslogan Anfang der 90er Jahre kreierten: »Für das Beste im Mann«, war er zu Wilkinson gewechselt. Seiner Meinung nach hatte er Besseres zu bieten als nur abrasierte Barthaare. Die Hoffnung, dass die Rasur ihn etwas munterer machte, erwies sich als trügerisch. 46 Jahre und kein bisschen weiser. Er lächelte vor sich hin und strich über den frischen Schnitt, den sein Kinn seit heute Morgen zierte. Ein Tribut seiner Ungeduld und der fahrigen Hände. Der gestrige Abend war lang geworden und die Nacht sehr kurz. Sein Nachbar, der fast achtzigjährige Mann, den Koslowski »den Professor« nannte, obwohl der keinen Wert auf diesen Titel legte, hatte an der Wohnungstür geklingelt und ihn auf ein Glas Rotwein und zu einem kleinen Schwätzchen zu sich eingeladen. Es wurde ein langer Schwatz, über Musik und die Kunst sie zu hören. Der alte Mann in seiner Strickjacke war Koslowski ans Herz gewachsen. Anderthalb Flaschen Rotwein später war Koslowski mit der Erkenntnis ins Bett gekommen, sich vielleicht doch endlich mal einen Plattenspieler zuzulegen. Da war es schon zwei Uhr morgens.

      Koslowski hatte die Beine auf dem Tisch abgelegt und versuchte trotz der Müdigkeit konzentriert in der Akte zu lesen. Die zwei Tassen Kaffee, die er schon getrunken hatte, schienen seine Konzentrationsfähigkeit nicht zu verbessern. Er rieb sich die Augen, blätterte dann in der Akte. Es war eine Marotte von ihm, sich die Zeit mit abgeschlossenen Fälle zu vertreiben, wenn das Team in der Bereitschaftszeit nicht so viel zu tun hatte. Was allerdings selten vorkam. Es waren Fälle, die ihn aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen interessierten. Wegen der Umstände, wegen der Personen. Koslowski wusste selbst nicht genau, was die Auslöser waren, warum er sich ausgerechnet diese Fälle heraus suchte. Wie den von Richter Trimmel. Ein banaler Unfall im Haushalt, wie er nur allzu oft vorkam. Der 63 jährige Richter liebte es, sich in der Badewanne bei Musik zu entspannen. Laut Aussage der Haushälterin Heiderose Blaschek badete er ausgiebig jeden Abend mindestens ein bis zwei Stunden, hörte Musik und trank dabei Bordeaux. Das Badezimmer war riesig, die Badewanne hatte einen Whirlpool. Was Koslowski irritierte: Die Musik war aus einem Kofferradio gekommen, das eigentlich auf das Bord neben der Badewanne gehörte. Er wunderte sich. Warum ein Kofferradio? Für Koslowski ein Widerspruch. Es passte nicht zusammen. Koslowskis Verständnis wie man Musik hören sollte, hatte auch etwas mit Genuss zu tun und der Klang eines Kofferradios schien für ihn dafür denkbar ungeeignet. Er würde sich eine vernünftige Hifi Anlage ins Badezimmer stellen, wenn er die Ambitionen hätte zwei Stunden in der Wanne liegend Musik zu hören. Die hatte er allerdings nicht. Er duschte lieber. Zwei Seiten weiter fand er die Erklärung. Die Haushälterin bezeichnete den Richter als alten knauserigen Knochen. Es wurde erst etwas Neues gekauft, wenn das Alte kaputt und nicht mehr reparabel war. Die alte Musikanlage im geräumigen Wohnzimmer, noch mit Kassetten-Tape und der große schwere Röhrenfernseher, sowie das alte Handy auf dem Arbeitstisch bestätigten diese Aussage. Der Richter schien ein Technikmuffel gewesen zu sein. Das erklärte vielleicht das alte Kofferradio. Es erklärte nicht, warum das Kofferradio mit Strom und nicht mit Batterien betrieben worden war und im Wasser neben der dem toten Richter lag. Die Haushälterin bestätigte noch einmal, dass der Richter im Bad immer das Kofferradio anhatte um Musik zuhören. Ob er es immer mit Strom betrieben hatte, oder nur an diesem Abend konnte sie nicht sagen. Sie hatte nicht darauf geachtet. Was sie wusste: Es stand immer neben der Wanne auf dem Bord. Koslowski schaute sich die Fotos an. Das schwache Herz des Richters hatte den Stromschlag nicht verkraftet. Das Weinglas lag zerschellt am Boden. Die 67 jährige Haushälterin fand ihn am nächsten Morgen. Sie wunderte sich, dass kein Strom ging. Die Hauptsicherung war gekommen. Der Todeszeitpunkt war auf 20.00 Uhr festgelegt. Da hatte die Haushälterin die Wohnung laut verschiedener Zeugenaussagen schon lange verlassen. Sie war im Kino, zur Abendvorstellung. Auch das konnte belegt werden. Koslowski las in ihrer Aussage. Sie stand schon seit fast zwanzig Jahren in den Diensten des Richters. Hatte für ihn geputzt, gewaschen, gekocht. Er schien sie gemocht zu haben, obwohl der Richter sich nicht großartig für andere Menschen interessierte, wie es allgemein hieß. Er hatte sie als Alleinerbin eingesetzt. Ex-Frau und die beiden Söhne gingen leer aus. Koslowski vermutete, dass der Teil der Familie es nicht auf sich beruhen lassen und Rechtsmittel eingelegen würde, um seinen Pflichtteil einzuklagen. Der Richter schien ein schrulliger Kauz gewesen zu sein. Etwas spröde. Koslowski lächelte vor sich hin. Er fand ihn sympathisch. Er las weiter. Es gab keine Einbruchsspuren. Keine Spuren, die auf die Anwesenheit einer weiteren Person schließen ließen. Das Haus hatte in dem Zeitraum von 19.45 Uhr bis 20.15 Uhr nur ein alter Mann betreten und kurze Zeit später auch wieder verlassen, wie eine Zeugin ausgesagt hatte, die gegenüber in dem kleinen Spätverkauf arbeitete. Der Mann ist nicht gefunden worden. Alle Mieter im Haus wurden befragt. Keiner hatte Besuch von einem älteren Herren gehabt. Allerdings hatte eine ältere Mieterin einen leicht verwirrten Eindruck gemacht. Sie war neunzig Jahre und nahm es mit den Wochentagen nicht mehr so genau. Die Frage ob sie einen Sohn hätte der sie vielleicht öfter besuchte, beantwortete sie mit ja. Wobei sie seinen Vornamen nicht mehr wusste. Auch nicht den ihrer Tochter, von der sie angab, sie lebe in Kanada. Wie sich später herausstellte, hatte sie keine Tochter. Es gab noch einen zweiten Sohn, einen älteren, doch der war schon zehn Jahre tot. Der jüngere Sohn hatte an diesem Tag seine Mutter nicht besucht. Es gab einen festen Rhythmus. Er besuchte sie immer am Sonntag und sie sahen sich dann gemeinsam den Tatort an. Aßen Kekse, die er mitbrachte. Der Sohn war siebzig Jahre und unverheiratet.

      Koslowski klappte die Akte zu, rekapitulierte kurz. Die Haushälterin hatte ein Alibi und den Knauser scheinbar auch gemocht. Sie hatte kein Motiv, da sie von der Erbschaft nichts wusste. Keine Spuren, die auf einen Mord hindeuteten. Es war wohl doch nur ein banaler häuslicher Unfall. Trotzdem klebte er einen gelben Merkzettel auf die Akte. Es waren sein Bauchgefühl und der unbekannte ältere Herr, die ihn zu dem gelben Haftzettel greifen ließen. Vielleicht sollte er noch mal mit der Haushälterin reden, dachte er. Er schrieb sich Anschrift und Telefonnummer von Heiderose Blaschek auf einen Zettel und legte dann die Akte auf den Stapel zu den anderen. Er hatte schon ein paar durchgesehen. Diese war bisher die Einzige mit einem gelben Zettel dran. Sein System war einfach. Kein Zettel dran, erledigt und keine weiteren Fragen. Gelber Zettel, wahrscheinlich erledigt aber noch ein, zwei offene Fragen. Roter Zettel: nachhaken, zu viel Unstimmigkeiten. Er griff sich die nächste Akte vom Stapel.

      Meyerbrinck steckte seinen Rotschopf durch die Tür. Sah zu Koslowski und rief »Kaffee Sal?«

      Koslowski nickte, ohne aufzusehen. Nach ein paar Minuten betrat Meyerbrinck mit zwei dampfenden Bechern Kaffee das Büro.

      4.

      Zarif bog in die Oranienstraße, fuhr vorbei am SO36 und der Molotow Bar. Weiter vorn in der Straße befand sich ein Imbiss. Vor kurzem hatte dessen Besitzer gewechselt und der war entschieden kompromissbereiter, was die Schutzzahlung an Nasser Al-Sharif betraf. Sein Vorgänger leider nicht. Der hatte aufgegeben nachdem die Scheiben zu Bruch gegangen und dem ältesten Sohn beide Arme gebrochen