J. U. Gowski

Die Harry Brown Liste


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wollte, dass sie mein Mann bekam. War ein lustiges Spiel ihn an der Nase herumzuführen. Ich werde es vermissen.« Sie seufzte.

      Zarif nahm einen Schluck aus seiner Tasse, sah sie abwartend an. Sie goss sich etwas Milch in den Kaffee, gab einen Löffel Zucker hinein und fing an ihn langsam umzurühren. Zarif lächelte, er hatte Zeit.

      5.

      Zarif betrat das Bistro und begrüßte Karim, den zweitältesten Sohn von Nasser Al-Sharif. Nach dem Tod des ältesten Sohnes durch verunreinigtes Heroin vor zehn Jahren, war der jetzt der Kronprinz der Familie. Sie umarmten sich. Zarif war mit dem Älteren zusammen aufgewachsen. Durch diese Freundschaft hatte er schon früh zur Familie gehört. Das änderte sich auch nicht nach dem Tod seines Freundes. Den Schutz, den er seinem Freund damals nicht geben konnte, ließ er jetzt dessen jüngerem Bruder angedeihen. Karim’s Vater, Nasser Al-Sharif schätzte ihn und auch die Tatsache, dass Zarif den Dealer tötete, der für den Tod seines ältesten Sohnes verantwortlich war. Mohammed Javad Zarif hatte seine Bestimmung gefunden.

      Nasser Al-Sharifs massiger Körper tauchte im Gang auf, der vom Gastraum zum hinteren Bereich führte. Er hatte Zarifs Stimme gehört, bemerkte die Aktenmappe in Zarifs Hand und lächelte zufrieden. Er drehte sich um und ging wieder nach hinten.

      Nasser saß an seinem geliebten runden Tisch, als Zarif den Raum betrat. Zarif setzte sich neben ihn und reichte die Mappe zu ihm hinüber. Nasser nahm sie und legte sie ohne ein Blick hinein zuwerfen auf den fleckigen Tisch. Er sah Zarif an.

      Der überlegte kurz, dann sagte er ohne Umschweife: »Dr. Bommer ist tot. Autounfall. Freitagabend.«

      Nasser Al-Sharif nahm die Nachricht ohne eine Regung auf.

      »Hatte er die Mappe dabei?« Nasser deutete mit einem Nicken auf den Tisch.

      »Nein, das sind Kopien. Die Mappe, also seine Aktentasche ist bisher nicht gefunden worden.«

      Nasser schloss halb die Augen, ließ die Information sacken. Dann sagte er langsam: »Das bedeutet, jemand hat die Mappe und es war kein Unfall! Stellt sich die Frage: wer?« Er öffnete die Augen und sah Zarif an.

      Zarif überlegte. »Wem könnten die Informationen wichtig sein? Wer wusste, dass Bommer mit dem Material zu dir wollte?« Nach kurzem Schweigen: »Und wenn es doch ein Unfall war und er die Aktentasche irgendwo vergessen hat?«

      »Es war kein Unfall. Er hatte die Aktentasche dabei. Du weißt, er hatte sie immer dabei, immer in der Nähe. Wahrscheinlich auch im Schlafzimmer.«

      Nasser lachte kurz auf bei der Vorstellung. Zarif nickte. Er stimmte seinem Boss zu. Es sah Bommer nicht ähnlich, die Tasche einfach irgendwo liegen zu lassen.

      »Mohammed, wir haben vielleicht noch einen Spitzel unter uns.«

      Sie schwiegen. Nach einer Weile sagte Nasser: »Und ich dachte, ich hätte das Problem vor einer ganzen Weile gelöst.«

      Zarif antwortete nicht. Er wusste, wer gemeint war: der Bulle mit dem schwarzen Angeber-Porsche. Er stand auf ihrer Gehaltsliste wie einige andere auch. Nur wurde er zu gierig und bot seine Dienste gegen Bezahlung auch der Konkurrenz an. Eines Tages war er verschwunden, man erzählte sich, nach Südafrika. Zarif war klar, dass das nur ein cleverer Zug von dem Unbekannten war, den sein Boss manchmal für heikle Aufträge engagierte. Er hatte ihn noch nie gesehen. Aber er wusste, dass er existierte.

      »Gut, wir müssen uns darauf einstellen, dass jemand mit den Informationen, die er in der Mappe findet, arbeiten möchte. Wir werden Vorkehrungen treffen müssen.« Nasser sah Zarif ernst an. Der nickte stumm. »Du sagtest am Telefon, die Akte hast du von der Witwe. Wenn das nicht die Originale sind, hatte sie also Kopien angefertigt.«

      Zarif nickte wieder. Nasser schloss die Augen.

      »Was für Bedingungen hat sie gestellt? Sie wird dir die Akte ja nicht einfach so herausgegeben haben.«

      »Sie möchte einen Termin bei dir.«

      Nasser stieß einen kleinen Grunzlaut aus und fragte ohne die Augen zu öffnen: »Was will sie?«

      »Ich vermute, sie will ihren toten Mann beerben, unser Rechtsbeistand werden. Die Stelle ist ja jetzt vakant.«

      Nasser nickte, er hatte sich so etwas gedacht. »Ja, leider. Erst bekommt vor zwei Jahren unser alter Dr. Bommer einen Herzinfarkt und jetzt der Unfall von Bommer. Scheint ein Fluch zu sein.«

      Er öffnete wieder seine Augen und sagte: »Ich traue Frauen nicht. Sie sind so gefühlsabhängig. Können nie klare Entscheidungen treffen. Du solltest sie mal beim Schuhe kaufen erleben.«

      »Sie scheint da anders zu sein. Sehr rational und sie macht einen cleveren Eindruck. Hör sie dir an.«

      »Clever ja, sonst hätte sie nicht die Kopien. Vermutlich hat sie noch eine. Aber warum sollte ich sie mir anhören?«

      »Weil ich es ihr zugesagt habe.«

      Er sah seinem Boss direkt an. Nasser Al-Sharif Gesicht bekam einen mürrischen Ausdruck.

      »Vielleicht tut uns ein weiblicher Part auch ganz gut, öffnet eine andere Sicht auf die Dinge.«

      »Ach, ja.« Nasser Al-Shari’s Stimme triefte vor Zweifel. Seine schweren Augenlider öffneten sich.

      »Sie ist smart, clever und so wie es aussieht, sehr abgebrüht.«

      »Ich weiß«, entgegnete Al-Sharif knapp.

      Zarif erstaunte die Antwort nicht. Vermutlich wusste Nasser Al-Sharif mehr über sie, als sie selber. Er wusste, dass sein Boss seine Geschäftspartner immer durchleuchtete. Dazu gehörte auch die Familie. Er überließ nichts dem Zufall. Zarif wartete ab.

      »Du willst hoffentlich kein Techtelmechtel mit ihr anfangen?«, fragte Nasser misstrauisch.

      »Nein. Zugegeben sie ist eine attraktive Person, wenn man mal von der Frisur absieht. Aber nein, ich habe nicht das Bedürfnis«, antwortete Zarif bestimmt.

      Nasser glaubte ihm. Erstmal. »Gut, dann tu ich dir den Gefallen. Schauen wir mal, was dabei herauskommt. Vielleicht kann sie mich ja beeindrucken. Ruf sie an und sag ihr morgen 16.00 Uhr hier bei mir im Bistro.«

      Zarif nickte. »Was unternehmen wir wegen der Bommergeschichte?«

      »Einen Schritt nach dem anderen. Erst einmal die Sicherheitsvorkehrungen. Du kümmerst dich darum. Ich ruf einen Bullen von der Mordkommission an. Er schuldet mir noch einen Gefallen.«

      »Koslowski?«

      Nasser nickte.

      »Meinst du, der sieht das genauso mit dem Gefallen und hilft uns?«

      »Nein, ganz sicher nicht.« Nasser schmunzelte bei dem Gedanken. »Das mit dem Gefallen bring ich nur, um ihn aus der Reserve zu locken. Wenn ich Zweifel an der Unfallversion bei ihm säe, wird er zum Ermittler. Zwangsläufig. Er kann nicht anders. Ist bei ihm so eine Art Gendefekt.« Nasser lachte jetzt richtig. »Er wird nicht uns helfen, er wird einen Mord aufklären wollen. Das ist sein Job.«

      »Was ist mit der undichten Stelle, wenn wir denn eine haben und es kein Zufall war?«

      »Es wussten nicht viele.« Er runzelte nachdenklich die Stirn. »Du, Karim, Abbas und die Drei für die ich die Unterlagen brauchte. Ich wollte mit jedem eine Unterredung führen. Es gibt da ein paar Unstimmigkeiten, die geklärt werden müssen. Das erste Treffen ist heute um 15.00 Uhr angesetzt. Dank deiner Witwe wird es auch wie geplant stattfinden. Mal sehen, ob sich bis dahin schon etwas ergibt. Ansonsten schauen wir, was die einzelnen Gespräche bringen. Durchaus möglich, dass einer der drei unser Mann ist.«

      Es klopfte an der Tür. Kurz darauf zeigte sich Karims schlanke Gestalt. Er brachte seinem Vater den 11.00 Uhr Tee und für Zarif arabischen Kaffee mit Kardamom, so wie Zarif ihn gerne trank. Stark und süß. Zarif lächelte dankbar.

      6.

      Das